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Kommentar Autoritarismus-StudieDer Hass ist wandelbar

Frederik Schindler
Kommentar von Frederik Schindler

In der Leipziger Autoritarismus-Studie wird der Antisemitismus zumindest teilweise wegdefiniert. Das ist ein fatales Signal.

Getarnt als Kritik an der Politik Israels wird Antisemitismus oft verkannt Foto: reuters

D ie Leipziger Autoritarismus-Studie zeigt erneut erschreckende Befunde: Ein Drittel der befragten Deutschen stimmt rassistischen Aussagen zu, die Hälfte will Sinti und Roma aus den Innenstädten verbannen, autoritäre Sehnsüchte nehmen bundesweit zu. Das beweist: Rechtsextreme Einstellungen sind nicht nur am Rand, sondern auch in der Mitte der Gesellschaft verbreitet.

Ein Ergebnis allerdings ist irritierend: Der Antisemitismus sei weiterhin rückläufig. Schnell zeigt sich jedoch, dass die in der Studie verwendeten Fragen überhaupt nicht geeignet sind, um alle aktuell verbreiteten Erscheinungsformen des Antisemitismus zu erfassen. In der Antisemitismusforschung ist schon lange bekannt, dass der Hass auf Juden heutzutage häufig auf den Staat Israel übertragen wird – beispielsweise durch Vergleiche Israels mit dem Nationalsozialismus, durch eine Delegitimierung des jüdischen Staates oder eine Anwendung von doppelten Standards an diesen.

Auch die einzige Frage, die Israel erwähnt („Durch die israelische Politik werden mir die Juden immer unsympathischer“), ist nicht geeignet: Da Juden direkt erwähnt werden, können indirekt geäußerte Ressentiments nicht erfasst werden. Der islamistisch motivierte Antisemitismus sowie auf Kapitalismus und Globalisierung bezogene antisemitische Verschwörungsfantasien spielen in der Studie ebenfalls keine Rolle. Real existierender Judenhass wird so zumindest teilweise wegdefiniert.

Das ist verwunderlich, wurden diese Schwachstellen bereits bei der letzten Veröffentlichung kritisiert. Offenbar war man nicht wirklich bereit, das Studiendesign dementsprechend anzupassen. Die jüdischen Gemeinden werden jedenfalls nicht bestätigen können, dass der Antisemitismus zurückgeht. Im Gegenteil: Viele beschreiben, dass er lauter wird. Aggressiver. Gewalttätiger. Die Studienautoren betonen zwar, dass sie durch die vermeintlich rückläufigen Zahlen keine Entwarnung geben wollen. Doch es ist ein fatales Signal, wenn auf die Wandelbarkeit des Antisemitismus keine Rücksicht genommen wird.

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Frederik Schindler
Freier Mitarbeiter
Bis Juni 2019 freier Mitarbeiter in den Ressorts Gesellschaft/Medien und taz.de. Themenschwerpunkte: Antisemitismus, Islamismus, LGBT-Politik und Fankultur. Jahrgang 1993.
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3 Kommentare

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  • Welcher Artikel wird hier kommentiert? Ach ja, die Autoriarismus-Studie, die sich mit Rechtsextremismus und Rassismus in der deutschen Gesellschaft beschäftigt. Was fällt Ihnen dazu ein? Rassismus in Israel. Das spricht Bände.



    Ich empfehle Ihnen etwas Weiterbildung zum Thema israelbezogenen Antisemitismus:



    de.wikipedia.org/w...emitismusforschung. Ich zitiere: "Speziell in Deutschland lässt sich nicht selten eine Umkehr des Täter-Opfer-Schemas vorfinden..."



    Gern geschehen.

  • 8G
    88059 (Profil gelöscht)

    Letztlich muss ich Herrn Schindler denselben Vorwurf machen, wie er der Studie:



    Beim Thema nicht ausreichend genau zu sein. Antisemitismus, Antijudaismus und Antizionismus sollte man nicht leichtfertig gleichsetzen, da Motivation und Manifestation sich doch deutlich unterscheiden können. Und nur weil der Antizionismus zunimmt, sollte man nicht sofort unreflektiert feststellen, dass das auch für den Antisemitismus gilt, auch wenn sich dieser Eindruck aus den Medien aufdrängt.



    Darüber hinaus müssen diese auch völlig unterschiedlich bekämpft werden.