piwik no script img

Kommentar AußenpolitikAuf eigene Rechnung

Kommentar von Ralph Bollmann

Merkel degradiert Westerwelle zum "Tourist in kurzen Hosen". Mit ihrer Ablehnung des Türkei-Beitritts spielt sie aber auch die Populisten-Karte. Das müsste nicht sein.

D ass in Deutschland über Außenpolitik gestritten wird, ist nicht neu. Um Westbindung, Wiederbewaffnung und Ostpolitik wurden schon ganze Wahlkämpfe geführt, um die Beteiligung an Kriegen ebenfalls. Der Riss ging bisweilen durch die Regierungen selbst: Gerhard Schröders Antiamerikanismus behagte seinem Vize Joschka Fischer nicht, über den Umgang mit Russland oder China gingen die Ansichten in der großen Koalition auseinander. Solche Differenzen innerhalb einer Regierung wurden aber nicht offen ausgetragen.

Deshalb ist es ein Novum, wenn Kanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Guido Westerwelle nun innerhalb eines Vierteljahres mit zwei grundverschiedenen Botschaften in die Türkei reisen. Der Außenminister stellte bei seinem Besuch im Januar einen EU-Beitritt des Landes in Aussicht und lobte das freundliche Klima im Umgang mit seinen Gesprächspartnern. Aus Merkels Umfeld hieß es dagegen schon vor der Reise wie gehabt, eine Erweiterung am Bosporus verderbe den Charakter der Union. Ihre Gespräche mit dem türkischen Kollegen verliefen stets ehrlich und offen, zu Deutsch: konfrontativ.

Schon im Januar gab es in der Türkei kritische Nachfragen, ob Westerwelle in diesen Fragen überhaupt die Prokura habe. Nun degradiert Merkel ihren Vizekanzler zu jenem Touristen in kurzen Hosen, der er noch im Januar partout nicht sein wollte. Wie schon zuvor in der Debatte um die Griechenlandhilfe, in der Westerwelle schwieg und Finanzminister Wolfgang Schäuble opponierte, macht Merkel einmal mehr Außenpolitik auf eigene Rechnung.

Bild: taz

Ralph Bollmann ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Dabei widerspricht das doppelte Non, das Merkel Ankara und Athen entgegenschleudert, der bisherigen Argumentationslinie. Die Seriösen unter den Erweiterungsgegnern begründeten die Zurückweisung der Türkei gerne mit dem Argument, eine Vertiefung der Union sei dann nicht mehr möglich. Seit dem Brüsseler Gipfel gilt die Kanzlerin jedoch als eine Frau, die auch die Kern-EU nicht gerade als eine Familiengemeinschaft begreift.

Ihre beiden Positionen haben nur eines gemein: Sie werden von einer Mehrheit der Deutschen geteilt. Dabei könnte Merkel den Vorwurf des Populismus leichter abstreifen, wenn sie sich in der Türkeifrage genau so positionieren würde wie gegenüber Griechenland: Für eine strikte Einhaltung der Kriterien - nicht weniger, aber auch nicht mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • A
    Amos

    Westerwelle ist doch ein Idiot-, der würde doch seine

    eigene Großmutter verkaufen um seine neoliberalen Interessen durchzusetzen.

  • M
    Maria

    Ich bin eine Frau, Europäerin und letztendlich eine Deutsche. Wie kann ich für den Beitritt der Türkei in die EU sein, wenn ich gleichzeitig lesen muss, dass laut der Umfrage der Zeitung Hüriyet 30% der türkischen Studenten den Ehrenmord für legitim halten?

     

    Siehe Wikipedia:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Ehrenmord

     

    Wenn schon die Elite dieses Landes so denkt, was denkt dann der "einfache" Mensch in der Türkei? Ich kann nur hoffen, dass unsere Kanzlerin uns vor der Wirtschaftslobby schützt, die aus rein wirtschaftlichen Interessen den Beitritt der Türkei mit aller Macht durchsetzen will, deswegen auch ist Westerwelle so positiv in dieser Sache, er wird mit Sicherheit von den Lobbyisten gesteuert.

     

    Ich bin strickt gegen den Beitritt dieses Landes, solange dort so eine schreckliche frauenfeindliche Stimmung herrscht.

  • E
    Erratum

    Das Problem mit der Türkei ist die Tatsache, dass die Kriterien, die angeblich erfüllt sind, bis jetzt nur auf dem Papier erfüllt wurde. Gewalt gegen Frauen ist z.B. auf dem Papier strafbar, die Anzahl der Ehrenmorde wird aber nicht kleiner, die türkische Regierung will es nicht, oder kann es nicht, bestimmte Gesetze durchzusetzen.

     

    Was nützt es dann, wenn sich die türkische Regierung bemüht die Kriterien zu erfüllen, wenn sie nur theoretisch erfüllt werden? Die Türkei konnte bis jetzt nicht überzeugen, dass sie mit uns die säkularen und humanitären Werte teilen möchte, ganz im Gegenteil, die Regierung Erdogan fährt einen strickten islamistischen Kurs der sie eher nach Saudi Arabien als nach Brüssel bringen wird.

  • M
    Marlis

    DAS VOLK DER RICHTER UND HENKER (again)

    KARL KRAUS

  • V
    vic

    Leider richtig. Von der Türkei wird mehr verlangt (von Merkel und ihren Wählern) als die Türkei sofort leisten kann. Andere wurden ohne diese Bedenken "aufgenommen". Ob das wohl eine Frage des mehrheitlich moslemischen Glaubens ist?

    Hier hat die Christenunionkanzlerin mit orthodoxen Griechen natürlich gar kein Problem.

    Hey Türken, Hey Griechen. Btw: Ich mag euch alle;)

    Auch richtig: Westerwelle agiert wie ein Tourist. Benimmt sich so, sieht so aus, seine Reisen dienen privaten Familienbedürfnissen, und vom heimischen politischen Auftrag ist er völlig losgelöst.

    Muss toll sein, sich auf diese Weise seine Alterversorgung zu sichern.

    Was ´ne Regierung!