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Kommentar AfD in Baden-WürttembergWenn der Jude schuld sein soll

Kommentar von Martin Reeh

Ein jüdischer Wissenschaftler soll für die AfD den Sündenbock bei einer unbequemen Entscheidung spielen – eine dummdreiste Idee.

Skrupel- oder ahnungslos? Egal – AfD-Fraktionschef Meuthen sollte zurücktreten Foto: dpa

D ie AfD befindet sich nicht nur in einer Radikalisierungsphase, sie scheut dabei auch vor keinem noch so blöden Vorschlag zurück. Der dummdreisteste kommt von Fraktionschef Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg: Ein Jude soll in der dreiköpfigen Kommission sitzen, die über den Antisemitismusgehalt der Schriften ihres Abgeordneten Wolfgang Gedeon befindet. Von deren Urteil hängt ab, ob Gedeon Fraktionsmitglied bleiben darf.

Ein weiteres Komissionsmitglied darf Gedeon selbst benennen, sodass die Einschätzung des jüdischen Vertreters ausschlaggebend sein wird. Wohlwollend kann man dies als Versuch von Gedeons Gegner Meuthen betrachten, die jüdische Perspektive in die innerparteiliche Debatte einzubeziehen.

Aber Anhänger Gedeons werden das anders sehen, wenn der Abgeordnete fliegt: Der Jude ist dann schuld – und bestätigt das paranoide Weltbild der erfundenen „Protokolle der Weisen von Zion“, nach dem das Weltjudentum hinter allem steckt. Gedeon hält die Echtheit der „Protokolle“ für wahrscheinlich. Nun, so werden Antisemiten glauben, dürfen Juden schon entscheiden, ob ein AfDler Mitglied seiner Fraktion bleiben darf.

Jörg Meuthen, dessen Rücktritts­androhung als Fraktionschef für den Fall des Nichtausschlusses Gedeons nichts bewirkt hat, sucht also nach einem jüdischen Wissenschaftler, der ihm den Posten rettet – und selbst gerne den Sündenbock abgibt. Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen. Und darauf kommt nur, wer skrupel- oder ahnungslos ist.

Bei Meuthen ist es der zweite Ausfall innerhalb kurzer Zeit: Auf dem AfD-Bundesparteitag hatte er vom „rot-grün verseuchten“ und „versifften“ Deutschland gesprochen – und damit wie die Nazis seine politischen Gegner mit Metaphern von Schmutz und ansteckenden Krankheiten belegt.

Meuthen sollte zurücktreten. Ein jüdischer Wissenschaftler für seine ominöse Kommission wird sich ohnehin kaum finden lassen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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14 Kommentare

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  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Was für ein Schwätzer, der Meuthen. Erst den dicken Max markieren - Rücktrittsdrohung wenn der Antisemit nicht aus der Fraktion ausgeschlossen wird, dann feige den Schwanz einziehen, als die Drohung nicht wirken wollte. Er hat seine Fraktion nicht im Griff, eine Abgrenzung von Naziideen findet nicht statt, er aber macht weiter. Ganz großes braun-schwarz versifftes Schmierentheater !

  • Ich schlage Hendryk M. Broder vor.

    ;)

  • Um mal ein wenig Dampf aus dem Kessel zu nehmen: Die Anregung, einen Juden ins Gremium aufzunehmen, kommt vom Vorsitzenden der nordbadischen israelitischen Gemeinde. Unsere Provinzzeitung "Heilbronner Stimme" hat dies gestern vermeldet. Tja, und Herr Meuthen übernimmt den Vorschlag.

    Ich als Mensch mit jüdischen Vorfahren habe daran nichts auszusetzen.

    • @Johannes Schön:

      Ich glaube, Sie haben recht. Zwar hält der Zentralrat der deutschen Juden heftig dagegen. Aber dessen Ex-Vorsitzender Stephan Kramer ist selbst dabei, antisemitisches Unkraut dort auszurupfen, wo es besonders sprießt: nämlich als VS-Chef im "Heimatschutz"-verseuchten Thüringen.

    • 6G
      60440 (Profil gelöscht)
      @Johannes Schön:

      Und wenn man mal nicht weiter weiß gründet man nen Arbeitskreis, gell Herr Schön ?

      Gedeon ist Antisemit, dazu braucht es keine Kommission zur Wahrheitsfindung. Wer die sog. "Protokolle der Weisen von Zion" irgendwie für echt hält, hat in der Fraktion einer demokratischen Partei nichts verloren. Den Dampf im Kessel erzeugt allein die AfD, die es in ihrer Mehrheit offenbar für legitim hält, dass sich in ihren Reihen Holocaustverharmloser, (jüdische-) Weltverschwörungstheoretiker oder Geschichtsklitterer tummeln, um ihr braunes Gedankengut unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit auszubreiten. Der Skandal ist, dass Meuthen seine Ankündigung zurückzutreten - falls eine Zweidrittelmehrheit für den Ausschluss des Gartenzwergnazis nicht zustandekommt, nicht wahrgemacht hat. Ich habe an dem ganzen Verfahren sehr viel auszusetzen - ohne meine Vorfahren hierzu befragt zu haben ...

  • Der Kommentar erscheint ziemlich abwegig. Da wird eine Kommission gebildet, die über einen Parteiausschuss entscheiden soll - das ist auch bei den anderen Parteien so. Schliesslich wird in diese Kommission auch ein Wissenschaftler einbezogen, der über jeden Zweifel erhaben ist.

    Genau darin nun Antisemitismus zu sehen, klingt absurd. Sollten wir Mitbürger_innen jüdischen Glaubens generell aus allen Entscheidungsgremien raus halten, damit diesen danach von anderen keine "Schuld" an den Entscheidungen gegeben werden kann?

    Das ist die einzige Konsequenz, die man aus diesem Beitrag ziehen könnte - und diese wäre sicher antisemitisch.

    • @Velofisch:

      Erstens geht es nicht um den Ausschluss aus der Partei, sondern um den Ausschluss aus der baden-württembergischen Landtagsfraktion.

       

      Zweitens werden solche Kommissionen (im Parteiausschlussverfahren) - so sie nicht sowieso ständig besetzt sind - aus Mitgliedern der Partei zusamengesetzt, nicht aus oder unter Einbeziehung von Nichtmitgliedern. Für einen Fraktionsausschluss ist keine Kommission nötig, das entscheidet die Fraktion selber.

       

      Die Kommission soll also lediglich darüber entscheiden, ob die Aussagen von Herrn Gedeon "antisemitisch" sind oder nicht. Wieso da einen jüdischen Wissenschaftler einbeziehen?

       

      Auch jüdische Wissenschaftler vertreten zuweilen sehr eigenständige Personen. Durch die Vorgabe wird aber der Eindruck erweckt, alle Juden seien "gleich in ihren (politischen) Ansichten". Das ist fragwürdig und ein typisch recht(sextrem)es Verständnis des Verhältnisses von Individuum und Kollektiv.

       

      Dieser "jüdische Wissenschaftler" könnte nun zu der Ansicht gelangen (was wahrscheinlich ist), Gedeons Aussagen seien antisemitisch. Mit der Folge, dass in der allgemeinen Wahrnehmung "ein Jude" über das politische Karriere-Ende eines AfDlers entscheiden würde. Das wäre nichts weiter als Wasser auf die Mühlen der zahlreichen Verschwörungstheoretiker in der AfD.

       

      Käme er aber - vielleicht nur schon aus Angst vor den Folgen - zum Schluss, dass alles sei vielleicht nicht so schlimm und im demokratischen Rahmen aushaltbar, würde er Gedeons verschrobene Thesen erst richtig "hoffähig" machen, nach dem Motto "nicht mal DIE Juden können das ernsthaft leugnen".

    • @Velofisch:

      Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es ja nicht primär um den Ausschluss aus der Partei, sondern erst einmal, ob es antisemitisch ist, wenn man in seinen Büchern schreibt, dass antisemitische Hetzschriften wie die Protokolle wahr sind.

       

      Allein, dass die AfD das überhaupt gesondert klären will, spricht ja schon für sich.

       

      Grundsätzlich gebe ich Ihnen aber insofern recht, dass man mit dem Argument, dass ja irgendjemand eine jüdische Weltverschwörung wittern könnte, nicht alle Juden aus allen Kommissionen und Ausschüssen und was es sonst noch gibt raushalten kann.

       

      Allerdings finde ich, hat es in diesem speziellen Fall einen etwas faden Beigeschmack.

  • Was sind das für Protokolle von denen im Artikel die Rede ist? Ich finde man sollte unsere jüdischen Mitbürger ganz normal behandeln und ihnen keine Sonderrechte geben, die soweit reichend sind, das sie bestimmen können ob ein AfD Mitglied raus fliegt oder nicht. Das würde für mein Verständnis die rechtsextremen Kräfte in der AfD, nur weiter verstärken

  • Dummdreist, ja, aber nicht abwegig. Das Prinzip "Schicksalsgemeinschaft" ist schließlich eins, das Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg mit Benjamin Netanjahu aus Jerusalem teilt.

     

    Der Einzelne steht für das Volk und umgekehrt – das ist die Ideologie der Rechten. Freie Entscheidungen einzelner Individuen? Kommen in ihrem Weltbild schlicht nicht vor. In sofern ist es durchaus konsequent, wenn nun ein Jude her soll als "Entscheidungsträger".

     

    Übrigens: Auf so eine Idee kommt nicht nur, wer skrupel- oder ahnungslos ist. Man kann auch einfach Nationalist sein. (In wie weit man mit Skrupeln und/oder Ahnung Nationalist sein kann, bliebe zu diskutieren.)

     

    Bleibt sehr zu hoffen, dass kein jüdischer Wissenschaftler skrupellos, ahnungslos und/oder nationalistisch genug ist, sich in dieser ominöse Kommission verhackstücken zu lassen. Die Chancen dafür stehen allerdings nicht sehr viel besser, als unter anderen Wissenschaftlern. Juden sind schließlich auch nur Menschen. Menschen wie du und ich. Und meine eigene Hand würde ich längst nicht für jeden Deutschen ins Feuer legen, wenn es zur Abwechslung gegen Deutsche ginge.

    • @mowgli:

      "Juden sind schließlich auch nur Menschen. "

       

      Schöne Feststellung. Aufgrund des von D begangenen Völkermords, sollte man zumindest als Biodeutscher Beurteilungen von "Juden" komplett unterlassen. Kritik an Israel - immer gerne, aber nicht an Juden. Das gehört sich einfach nicht.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      "Das Prinzip "Schicksalsgemeinschaft" ist schließlich eins, das Jörg Meuthen aus Baden-Württemberg mit Benjamin Netanjahu aus Jerusalem teilt."

       

      Im Unterschied zu B-W ist die Bezeichnung bei Israel nicht ganz so abwegig:

      https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/3/36/Israel_Recognition.svg/2000px-Israel_Recognition.svg.png

       

      (Staaten, die die Existenz des Staates Israel nicht anerkennen)

      • @10236 (Profil gelöscht):

        Man kann sich selbstverständlich an seinen Feinden orientieren. Muss man aber nicht.

         

        Ich weiß ja nicht, wie Sie es damit halten, aber ich orientiere mich persönlich lieber an meinen paar Freunden. Und zwar so ausschließlich, dass ich nicht einmal mit Sicherheit zu sagen wüsste, ob ich überhaupt Feinde habe. Das erleichtert mein Leben ungemein, schätze ich.

         

        Im Übrigen wäre die Welt noch sehr viel schlechter dran, als sie schon ist, wenn jeder, der dank irgendwelcher Idioten ein trauriges oder schweres Schicksal hatte, deswegen bösartig und/oder brutal werden würde – oder halt nationalistisch bzw. rassistisch. Es genügt vollkommen, finde ich, wenn es einzelne Islamisten, Nazis, Hooligans oder AfD-Wähler lebenslang nicht fertig bringen, sich von ihrem liebgewordenen Opferstatus zu lösen, weil nette Menschen ja ganz gerne Mitleid haben mit armen Opfern.

        • 1G
          10236 (Profil gelöscht)
          @mowgli:

          "Ich weiß ja nicht, wie Sie es damit halten, aber ich orientiere mich persönlich lieber an meinen paar Freunden. Und zwar so ausschließlich, dass ich nicht einmal mit Sicherheit zu sagen wüsste, ob ich überhaupt Feinde habe. Das erleichtert mein Leben ungemein, schätze ich."

           

          Das fällt natürlich schwierig, wenn die direkte Nachbarschaft nicht gerade aus Freunden besteht, sie alle noch einen Kopf größer sind und regelmäßig drohen, Sie so richtig zu verkloppen. Am besten so, dass Sie in dem großen Teich direkt hinter ihrem Haus landen.