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Kommentar ÄgyptenBürgerkrieg nicht ausgeschlossen

Demonstranten in Kairo gehen gewaltsam aufeinander los. Die Muslimbrüder und ihr Präsident Mursi haben die demokratische Legitimation verspielt.

Polizisten in Kairo in der Nacht zum Donnerstag, in der fünf Menschen ums Leben kamen. Bild: reuters

J a, der ägyptische Präsident ist demokratisch legitimiert. Ja die Muslimbruderschaft trägt die volle Verantwortung für die brutalsten Straßenschlachten in Kairo seit dem Sturz Mubaraks. Und nein, Ägypten befindet sich nicht im Bürgerkrieg – noch nicht.

Was die ägyptische Hauptstadt in den letzten Tagen und Stunden erlebt hat, hat die politischen Gräben am Nil fast unüberwindbar vertieft. Seit Dienstagnacht geht es nicht mehr um einen Verfassungsentwurf und die Machtbefugnisse des Präsidenten. Es geht darum, dass die Muslimbrüderschaft mobilisiert hat, weil sie die Straße nicht ihren politischen Gegnern für einen Tag überlassen konnte.

Es war ein kurzfristiger Sieg, den die Muslimbrüder am Donnerstagmorgen vor dem Palast feierten. Ihre demokratische Legitimation hatten sie mit diesem Einsatz, sechs Toten und über 500 Verletzten verspielt. Politisch war das dumm, denn in nur zwei Wochen wäre ihr Verfassungsentwurf in einem Volksreferendum wahrscheinlich durchgekommen. Für die Gegner von Muslimbrüdern und Salafisten wäre es wesentlich schwerer geworden, weiter gegen Präsident und Verfassung vorzugehen.

Bild: privat
KARIM EL-GAWHARY

ist Nahost-Korrespondent der taz in Kairo.

Nun liegt viel zerschmettertes Porzellan auf Kairos Straßen. Die beiden großen Strömungen, die zusammenarbeiten müssten, um das Land zusammenzubringen, sind von den nötigen Kompromissen meilenweit entfernt. Beide Seiten haben mieses Krisenmanagement bewiesen, wobei Mursi, der als Präsident den Staatsapparat kontrolliert, eine größere Verantwortung zukommt.

Die Zukunft des Landes ist völlig offen. Wenn die Opposition die Legitimität des Präsidenten abstreitet, wer bekommt dann diese Legitimität? Und an die Muslimbrüder gerichtet: Wenn die Opposition auf der Straße „erfolgreich“ in die Schranken gewiesen wurde, was passiert als nächstes? Jetzt muss sich zeigen, ob es die richtigen Signale geben kann. Wenn nicht, sind weitere Eskalationen vorgezeichnet.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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2 Kommentare

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  • ML
    Maria Lacina

    Warum bringt man nicht auch die Tatsache, dass die Opposition die ehemaligen Mubarak-Leute mit allen Mitteln wieder an die Macht putschen will?

  • A
    auguste

    Ich glaube das so nicht. Ich bin kein MB-Fan, aber ein Fan des gesunden Menschenverstandes. Der MB wurde bisher eine geradezu diabolische Klugheit und Geduld zugeschrieben und auch ich habe trotz anderer politischer Vorstellungen ihr politisches Geschick respektiert - und weigere mich anzunehmen, dass sie nun plötzlich den Verstand verloren hätten. Und das müsste schon passiert sein, wenn sie ausgerechnet jetzt, in einer so brisanten Lage, auf die Idee kämen das gegen sie gerichtete Feindbild zu bedienen, noch dazu in dieser plumpen Weise, von dem sie sich bisher aus gutem Grund distanziert haben. Als Europäerin ist mir die Vorstellung, dass es V-Männer geben könnte, die terroristische Aktionen anstacheln, nicht fremd. Von daher ist mir der Gedanke wesentlich plausibler, dass das Ganze eine Aktion der alten Mächte ist - denn sie sind die einzigen, die durch Mursis Dekret AKUT bedroht waren und sie sind auch die einzigen, die wirklich Gewinn von dem haben, was da jetzt läuft. Und es ist ein Jammer, ein bitterer Jammer zu sehen, wie ein ganzes Volk sich von Parolen statt vom gesunden Menschenverstand steuern lässt und, sich von Gerüchten und Stimmungsmache diktieren lässt, was es zu sehen hat, statt den eigenen Augen zu trauen.