piwik no script img

Kommentar Abschuss von russischem JetErdoğans gefährliches Spiel

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Nach dem Abschuss einer russischen Maschine wird Putin kaum bereit sein, mit der Nato gegen den IS zu kämpfen. Das kommt Erdoğan sehr gelegen.

Abgeschossen: ein russischer Kampfjet vom Typ Sukhoi Su-24. Foto: dpa/Russian Defence Ministry

D er Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges durch die Türkei hat das Potenzial, erneut eine ernsthafte Krise zwischen Russland und dem Westen auszulösen. Russlands Präsident Wladimir Putin ist empört und beschuldigt die Türkei, die Terroristen zu unterstützen, gegen die Russland in Syrien kämpft. Die Türkei wendete sich dagegen prompt an ihre Nato-Partner und behauptet, lediglich auf wiederholte Luftraumverletzungen durch Russland reagiert zu haben.

Vor dem Hintergrund der Bemühungen des französischen PräsidentenFrançoisHollande, alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, also auch Russland, für eine gemeinsame militärische Kampagne gegen den „Islamischen Staat“ zu gewinnen, ist der Zwischenfall an der syrisch-türkischen Grenze eine Katastrophe.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die türkische Regierung und allen voran Präsident Recep TayyipErdoğangenau das auch mit dem Abschuss beabsichtigt hat. Denn fürErdoğanwar und ist das offene militärische Engagement Russlands an der Seite Assads eine Provokation. Es drohte jahrelange offene und heimliche türkische Bemühungen, die Anti-Assad-Kräfte, darunter auch Islamisten jeglicher Couleur, zu unterstützen, um Assad zu stürzen und eigene, islamistische Freunde in Damaskus an die Macht zu bringen, zunichtezumachen.

Zusätzlich alarmierte es Ankara, dass sich nach den Attentaten von Paris abzeichnete, der Westen, allen voran Frankreich, könnte bereit sein, den Machthaber Assad weiterhin zu akzeptieren, wenn nur Russland sich dem Anti-IS-Kampf anschließen würde. Nach dem Abschuss seines Jets wird Putin nun schwerlich bereit sein, gemeinsam mit der Nato gegen den IS zu kämpfen.

Das kommt wiederumErdoğansehr gelegen, der den IS trotz anderslautender öffentlicher Aussagen wohl immer noch als kleineres Übel gegenüber Assad ansieht und weiterhin darauf besteht, dass der Sturz Assads erste Priorität haben muss. Wenn, wie vorauszusehen, die Nato sich nun wegen des Zwischenfalls in der Türkei erneut mit Putin zerstreitet, nützt das vor allem den Schlächtern des IS.

Die Nato sollte deshalb auf dieses SpielErdoğansnicht eingehen. Der türkische Präsident hat aus eigenen Machtinteressen den IS mit groß gemacht. Bevor er nun die Solidarität des Westens einklagen kann, soll er erst einmal mit Taten beweisen, dass es ihm mit dem Kampf gegen den IS Ernst ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • "Nach dem Abschuss einer russischen Maschine wird Putin kaum bereit sein, mit der Nato gegen den IS zu kämpfen. Das kommt Erdoğan sehr gelegen." Und Putin auch.

  • 8G
    8545 (Profil gelöscht)

    Erdogan, 2012:

    "A short-term border violation can never be a pretext for an attack,"

    http://www.bbc.com/news/world-middle-east-18584872

  • Wir sollten uns hüten, aus der Ferne Richter zu spielen und dabei Erdoğans, bzw. Putins Propaganda auf den Leim zu gehen. Aufklären können das nur Russland und die Türkei. Gespräche zwischen Staatsmännern beider Länder wären in diesem Fall das einzig Richtige!

     

    In dieser Situation hätte der für heute vorgesehene Besuch des russischen Außenministers Lawrow in der Türkei ein „Glück im Unglück“ sein können, um die Sache aufzuklären. Aber statt die Gelegenheit zu nutzen, hatte Lawrow nichts Dümmeres zu tun, als diesen Besuch abzusagen (Die TAZ berichtete dies leider nicht)!

     

    Warum? Hatte Lawrow Sorge, er könnte in Erklärungsnot geraten? Oder hat Russland als „Weltmacht“ automatisch immer Recht und Gespräche zur Klärung nicht nötig? Egal. Fest steht nur, hier wurde eine wichtige Gelegenheit verpasst!

    • @Pfanni:

      "Aufklären können das nur Russland und die Türkei."

       

      Das wird niemals stattfinden. Siehe auch MH17.

  • Eine schöne Analyse der Interessenlagen. Allerdings liegen Sie in einem Punkt falsch.

     

    "Nach dem Abschuss seines Jets wird Putin nun schwerlich bereit sein, gemeinsam mit der Nato gegen den IS zu kämpfen."

     

    Putin möchte auch weiterhin eine große Koalition (jetzt vielleicht ohne die Türkei) zu Beendigung der Bürgerkrieges in Syrien. Russland soll aber in dieser Koalition gleichberechtigter Partner sein und will nicht unter NATO oder US-Kommando (ist eigentlich auch das Selbe) kämpfen. Daran wird sich auch sobald nichts ändern.

  • Russland trifft den IS und damit auch die Türkei dort, wo es am meisten schmerzt: Am Geldbeutel!

     

    Letzte Woche haben russische Bomber an die 4000 Tanklastzüge vernichtet.

     

    Da der IS das Öl für $32-33 pro Barrel an Zwischenhändler verscherbelt, die es dann in der Türkei weiterverkaufen - eine Win-win-Situation für Erdogan und den IS dürften täglich mehrere Million Dollar futsch sein.

     

    Es ist offensichtlich: Die russische Strategie wirkt. Zeit dass Frankreich mit den Russen zusammenarbeitet...

    • @Jens Frisch:

      Nach Gerüchten kauft ein Sohn des Sultans das Groß der per LKW angelieferten Ölmenge auf...

      Wär nur logisch wenn die Familie dann verärgert ist.

  • Jein, Herr Gottschich. Sie bewerten einige Faktoren ein Bisschen falsch. Erdogan fürchtet die Normalisierung der Kurdischen Mini-Staat am Grenzen viel mehr als das Überleben der Assad-Regierung. Zweitens versucht er eher einige NATO-Länder wie Frankreich von Zusammenarbeit mit der Russen abzuschrecken, als die Russen davor abzuschrecken. Solche Zusammenarbeit wäre die leichteste Weise dieser Krieg zu beenden. Das bedeutete aber, dass sowohl die Assad-Regierung als auch die Kurden eine große Rolle spielen würden. Für Erdogan wäre das inakzeptabel.

  • Putin ließ Muskeln spielen und dachte, Türkei wird wie Schweden reagieren es kam aber anders. Es war nicht die erste Verletzung des Luftraums der Türkei aber bestimmt der letzte. Hoffe, Russen werden Putin irgendwie absetzen können...

    • @Tenedor Alfonso:

      Na, ich glaub' da eher, dass sich das russische Volk hinter Putin sammelt, je stärker er in der Lage ist bzw. in die Lage versetzt wird, sich als Wahrer der (gross-) russischen Interessen zu präsentieren.

       

      Im übrigen, Erdogan dürfte was das angeht, gar nicht so weit von Putin entfernt sein.

       

      Der einen wahr die (gross-) russischen, der andere die (gross-) türkischen Interessen.

  • Ich bin der Meinung, Erdoğan ist weder an Demokratie, noch an Frieden interessiert. Man mus schon von schwerer Demenz, sowie mit Blind- und von Taubheit geschlagen sein um unter solchen Umständen die Absichten dieses Herrschers nicht zu erkennen...

     

    Und sie haben nichts mit Frieden zu tun...

  • Noch scheinen ja auf beiden Seiten die Profis das Ruder in der Hand zu haben. Russland hat sich nicht zu einer übereilten Vergeltungsaktion hinreißen lassen. In dem Fall wäre wohl die Agenda des NATO-Treffens eine andere gewesen. Und keiner soll mir erzählen, daß das nicht Erdogans Kalkül war. (Man könnte sogar darüber spekulieren, ob die Aktion der Türkei mit Teilen der NATO abgestimmt war.) Das NATO-Treffen endete jedenfalls mit einem zwar unangemessenen aber nicht eskalierenden „Vertragt Euch, Kinder“. Das heißt, es besteht zumindest kein Konsens darüber, einen Konflikt mit Russland zu suchen.

    Nachdem Obama immer noch in der Absicht, das Gesicht der USA zu wahren, vorhersehbar reagierte, bin ich jetzt ehrlich gespannt auf Hollandes Reaktion. Und wenn ich einen Wunsch an Herrn Gottschlich frei hätte, würde ich ihn fragen, wie denn das türkische Militär zur mehr oder weniger offenen Unterstützung der syrischen Dschihadisten (Nusra und IS) durch die Regierung und die damit verbundenen Risiken steht.

    • @jhwh:

      dummerweise hat hollande genau das stöckchen apportiert, was sultan erdogan ihm vor die füße geworfen hat: in der Pressekonferenz mit obama erneuerte er genau die bedingung, die gestern bereits obsolet erschien - er würde fest an der seite obamas stehen und putin solle jede unterstützung für assad unterlassen., wenn er teil der anti-is-koalition sein wolle. was für eine farce!

  • Türkei in die EU? Ehm - nein!

    • @Honey Bear:

      Ach herrjeh, die Diskussion hat sich doch schon vor Jahren erledigt. Hätte die EU positivere Signale gesendet, hätte es Erdogan mit seinem semiislamistischen, grosstürkischen Programm vielleicht auch nicht so leicht gehabt. Aber wer weiss das schon. Aber Türkei in die EU? Die Türken haben schon längst das Interesse verloren.

      • @Konrad Ohneland:

        Ja, wer weiss das schon. Wenn die Türkei das Interesse verloren hat, ist das doch nur gut. Das kann sich aber auch wieder ändern.

    • @Honey Bear:

      ... aber bitte auch nicht mehr in der NATO.

      • @jhwh:

        Da wird's schon komplizierter.

        • @Honey Bear:

          Die EU besitzt für evtl. Beitrittskandadaten doch gar keine Attraktivität mehr. Das hat man bereits beim Beitritt Kroatiens gemerkt, der lustlos und unbejubelt vonstatten ging.

           

          Die NATO hat per Definitionem ihre Daseinsberechtigung mit dem Zusammenbruch des sogenannten Warschauer Paktes verloren. Was jetzt noch frühlich Urständ feiert, ist der Selbsterhaltungstrieb einer milliardenschweren Organisation, die im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen nicht in der Lage ist, auf Veränderungen zu reagieren.

          • @Khaled Chaabouté:

            Die EU verteilt viel Geld in arme Regionen. Dann herrscht ein offener Arbeitsmarkt. Das ist für viele attraktiv. Abgestimmt wird mit den Füßen. Nach Russland und Kroatien wollen kaum Flüchtlinge. In die USA, Deutschland und Schweden schon eher.