Kommentar Abschuss von russischem Jet: Erdoğans gefährliches Spiel
Nach dem Abschuss einer russischen Maschine wird Putin kaum bereit sein, mit der Nato gegen den IS zu kämpfen. Das kommt Erdoğan sehr gelegen.
D er Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges durch die Türkei hat das Potenzial, erneut eine ernsthafte Krise zwischen Russland und dem Westen auszulösen. Russlands Präsident Wladimir Putin ist empört und beschuldigt die Türkei, die Terroristen zu unterstützen, gegen die Russland in Syrien kämpft. Die Türkei wendete sich dagegen prompt an ihre Nato-Partner und behauptet, lediglich auf wiederholte Luftraumverletzungen durch Russland reagiert zu haben.
Vor dem Hintergrund der Bemühungen des französischen PräsidentenFrançoisHollande, alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, also auch Russland, für eine gemeinsame militärische Kampagne gegen den „Islamischen Staat“ zu gewinnen, ist der Zwischenfall an der syrisch-türkischen Grenze eine Katastrophe.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die türkische Regierung und allen voran Präsident Recep TayyipErdoğangenau das auch mit dem Abschuss beabsichtigt hat. Denn fürErdoğanwar und ist das offene militärische Engagement Russlands an der Seite Assads eine Provokation. Es drohte jahrelange offene und heimliche türkische Bemühungen, die Anti-Assad-Kräfte, darunter auch Islamisten jeglicher Couleur, zu unterstützen, um Assad zu stürzen und eigene, islamistische Freunde in Damaskus an die Macht zu bringen, zunichtezumachen.
Zusätzlich alarmierte es Ankara, dass sich nach den Attentaten von Paris abzeichnete, der Westen, allen voran Frankreich, könnte bereit sein, den Machthaber Assad weiterhin zu akzeptieren, wenn nur Russland sich dem Anti-IS-Kampf anschließen würde. Nach dem Abschuss seines Jets wird Putin nun schwerlich bereit sein, gemeinsam mit der Nato gegen den IS zu kämpfen.
Das kommt wiederumErdoğansehr gelegen, der den IS trotz anderslautender öffentlicher Aussagen wohl immer noch als kleineres Übel gegenüber Assad ansieht und weiterhin darauf besteht, dass der Sturz Assads erste Priorität haben muss. Wenn, wie vorauszusehen, die Nato sich nun wegen des Zwischenfalls in der Türkei erneut mit Putin zerstreitet, nützt das vor allem den Schlächtern des IS.
Die Nato sollte deshalb auf dieses SpielErdoğansnicht eingehen. Der türkische Präsident hat aus eigenen Machtinteressen den IS mit groß gemacht. Bevor er nun die Solidarität des Westens einklagen kann, soll er erst einmal mit Taten beweisen, dass es ihm mit dem Kampf gegen den IS Ernst ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften