Kommentar Abschiebungen nach Spanien: Eine Frage der Glaubwürdigkeit
Innenminister Horst Seehofer feiert die Vereinbarung mit Spanien als „Erfolg“. Dabei ist der Deal nichts als Grenz-Micromanagement.
M an weiß nicht so recht, ob man Seehofer mittlerweile ernsthaft bedauern sollte. Erst legt er sich ständig mit der Kanzlerin an, dann mit weiten Teilen der CDU, schließlich mit der eigenen CSU sowie mit der SPD. Und nun auch noch mit der Glaubwürdigkeit.
Ja, richtig gelesen, mit der Glaubwürdigkeit. Oder wie soll man seinen neuesten Coup, das ab Sonntag gültige Rückführungsabkommen mit Spanien, bezeichnen, wenn nicht als grandiosen Fake?
Der Reihe nach: Geflüchtete, die in Spanien einen Asylantrag gestellt haben und später nach Deutschland kommen, sollen innerhalb von 48 Stunden in das iberische Land zurückgebracht werden. Die Gruppe, die von diesem „Erfolg der Migrationspolitik“ betroffen sein dürfte, ist bislang erstaunlich klein. Denn das Abkommen gilt nur für diejenigen, die an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden. Expert*innen sprechen von gerade mal etwa 100 Geflüchteten in den ersten Monaten dieses Jahres.
Man muss sich das bildlich vorstellen: Eine, sagen wir eritreische Familie kommt mit dem Boot aus Libyen über das Mittelmeer nach Spanien, ist erschöpft, müde, desorientiert. Die Erwachsenen stellen für sich und die Kinder in einer spanischen Erstaufnahmeeinrichtung einen Asylantrag. Was machen sie dann? Machen sie sich umgehend auf den Weg nach Deutschland? Wie kommen sie dorthin? Mit dem Zug? Mit dem Flugzeug? Zu Fuß? Woher haben sie das Geld für die Tickets?
Sie ziehen trotzdem los und kommen – was für ein Zufall – ausgerechnet an der deutsch-österreichische Grenze an. Dort werden sie von den Behörden festgehalten und binnen von zwei Tagen nach Spanien zurückgeschickt. Aber nur die Eltern. Denn für Kinder gilt die neue Regelung nicht.
Am Samstag kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Spanien, um mit Ministerpräsidenten Pedro Sánchez unter anderem das Migrationsthema zu besprechen. Spanien ist das neue Hauptziel der nach Europa drängenden Migranten aus Afrika. Das Land begegnet den Neuankömmlingen bisher mit ungewöhnlich offenen Armen. (dpa)
Zugegeben ein drastisches und unrealistisches Szenario. Wer ernsthaft nach Deutschland gelangen will, versucht das unbemerkt. Kritiker*innen bezeichnen Seehofers „Rückführungsabkommen“ deshalb zu Recht als „heiße Luft“ und „Lachnummer“.
Spanien erwartet für diesen Deal bislang keine Gegenleistung. Wozu auch? Was sollte Seehofer dem Land auch bieten? Die wahren Herausforderungen erwarten den Innenminister ohnehin bei Verhandlungen zu Rückführungsabkommen mit Italien und Griechenland. Das weit nach rechts gerückte Italien hat seine Asyl- und Migrationspolitik heftig verschärft, am liebsten würde es alle Geflüchteten dorthin schicken, wo sie hergekommen sind. Oder irgendwohin in Europa, Hauptsache weg. Und Griechenland, so ist aus dem Innenministerium zu hören, dürfe man jetzt nicht mit solchen Themen belästigen. Das Land habe wegen der Waldbrände genug zu tun.
Und dann sind da auch noch all die notwendigen Gespräche mit Staatschefs von Ländern wie Nigeria, Ghana, Senegal, Tschad, Jemen. Von dort Geflüchtete haben hierzulande kaum oder keine Chance auf Asyl. Die Menschen fliehen trotzdem aus ihren Ländern – aufgrund von Dürre, Hungersnöten, Armut. Wenn sie nicht in einem anderen afrikanischen Land „hängen bleiben“, versuchen sie nach Europa zu kommen. Und von hier werden sie alsbald zurückgeschickt.
Diese Kreisläufe sind für die Betroffenen grauenhaft, ein unnötiger Leidensweg und vergeudete Lebensenergie. Das zu ändern, ist eine enorme Aufgabe für Innenminister Seehofer. Eine überaus harte Nuss. Man kann Seehofer wirklich bedauern.
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