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Kommentar 60 Jahre KindergeldAb in die Rente!

Heide Oestreich
Kommentar von Heide Oestreich

Das Kindergeld ist so muffig und ungerecht wie die ganzen Fünfziger-Jahre. Jene, die am wenigsten Unterstützung brauchen, bekommen das meiste Geld.

Anachronismus mit Ansage: Das Kindergeld wird sechzig. Bild: ap

A ch, wie klingt es gemütlich: Das gute alte Kindergeld wird sechzig. Gleich tauchen adrette Muttis und Vatis mit gekämmten Kinderlein im Bewusstsein auf, die mit dem VW Käfer die Oma besuchen brausen. Und ein wohlwollender Staat, der seine warme Gießkanne über allen ausschüttet. Und dieses Bild ist ganz richtig, denn so wie die Muttis aus den Fiftys nun in Rente sind, sollte das Kindergeld schnellstens folgen. Es ist so muffig und ungerecht wie die Fünfziger-Jahre-Familie.

Es ist eine geradezu ständische Leistung: Die Reichen bekommen am meisten. Man kann nämlich anstatt Kindergeld zu beziehen auch einen Steuerfreibetrag bekommen. Ab einem Familieneinkommen von etwa 63.000 Euro reduziert sich die Steuerlast durch den Freibetrag um eine höhere Summe, als man an Kindergeld erhalten kann. Je höher der Steuertarif, desto stärker die Ersparnis, sprich: je reicher, desto mehr gibt der Staat dazu.

Am anderen Ende der Einkommensskala gibt es den entgegengesetzten Effekt: Bekommt eine Familie Sozialleistungen, dann gilt das Kindergeld als Einkommen, und das wird angerechnet. Im Klartext: Hartz-IV-Kinder bekommen: nichts.

Wie aber bekämpft man Armut? Indem man Kindern Entwicklungschancen eröffnet. Das tut man aber sicher nicht, indem Ausflüge, Musikunterricht und Karateverein unmöglich gemacht werden.Und bitte nicht mit von der Leyens Bildungspäckchen kommen: Darin gibt es 10 Euro Zuschuss für die Musikschule, die aber 120 Euro pro Monat kostet.

Nein, das Kindergeld gehört längst abgeschafft. Man muss festlegen, wie viel Geld Kinder pro Monat brauchen, der Paritätische Wohlfahrtsverband geht etwa von 460 Euro aus. Wenn sich Eltern das leisten können: prima. Wenn nicht, dann muss der Staat helfen. Aber richtig.

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Heide Oestreich
Inlandsredakteurin
Jahrgang 1968, ist seit langem Redakteurin für Geschlechterpolitik in der taz und im kulturradio vom RBB. Von ihr erschien unter anderem das Buch „Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam“. 2009 wurde sie mit dem Preis „Der lange Atem“ des Journalistenverbands Berlin Brandenburg für die Berichterstattung über Geschlechterstereotype ausgezeichnet.
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16 Kommentare

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  • Sehr geehrte Damen / Herren Redakteure,

    verwundert bin ich über den in taz.de gebrauchten Labeling-Approach :: 'Hartz-IV-Kinder' in

    >> http://www.taz.de/Kommentar-60-Jahre-Kindergeld/!147553/  vom 2014-10-13. (Ich beziehe mich hier nicht auf den Tenor des Kommentars sondern auf eine Wortwahl.)

     

    Sie verantworten eines der Presse-Organe, in dem ein Kommentar mit dem diffamierenden Begriff 'Hartz-IV-Kinder' Kinder abstempelt, welche wegen ihrer Herkunft wohl nicht (zu den Lebens-Bedingungen) zusätzlich diffamiert werden dürfen.

     

    Aufmerksam mache ich auf einen offenen Brief an Medien (aus 2010-12)

    >> http://www.didaktik-labor.de/akt-Seiten/JW_10-11_oB.pdf  und

    >> http://www.didaktik-labor.de/akt-Seiten/JW_10-11.pdf

    eingebunden über >> http://www.didaktik-labor.de/akt-Seiten/akt-10.html

     

    Mit gutem Gruß von H.M. Selzer

    • @Helmut M. Selzer:

      na dann, vermeiden wir den Begriff und denken uns etwas Unverfängliches aus, dann steht zwar ein Satz mehr zur Umschreibung im Artikel, an der Realität ändert es jedoch nichts.

      Solange der Begriff nicht auf konkrete Personen angewandt wird ist es m.E. tolerabel um ein Übel zu benennen, nicht jedoch, wenn es um eine tatsächliche Diffamierung einer Person geht. So ist der Begriff hier jedoch nicht gemeint.

  • Wer kein Geld hat, oder sich Kinder nicht leisten kann - also auch im Sinne von: den Kindern auch was bieten können! - der sollte keine Kinder haben! Schwer zu steuern, aber man kann es versuchen.

    Zur "Selbstverwirklichung", weil ein EIGENES Kind doch "so süüüß" ist, oder weil man keine Ahnung vom Verhüten hat werden Kinder in ärmliche Verhältnisse geboten: Mama und Papa müssen Vollzeit arbeiten um das zu stemmen, was der Entwicklung eine Kindes das beide Eltern so oft wie möglich in seiner Nähe braucht, nicht gerade förderlich ist.

    Der egozentrisch ausformulierte Kinderwunsch wird nämlich m.E. all zu oft auf den Schultern des Kindes ausgetragen.

    • @Chris Teuber:

      Nicht wenige kluge Köpfe in der Geschichte kamen aus sehr ärmlichen Verhältnissen und haben (trotzdem, oder gerade deshalb) durch ihre Leistungen zu unserem Wohlstand heute erheblich beigetragen. Wenn Kinder nur noch ein Privileg Wohlhabender sind, hat unsere Gesellschaft verloren.

      • @Rainer B.:

        Nicht "wohlhabend", aber nicht gerade arm, so dass der Staat für diesen Egoismus aufkommen muss.

        Von der Art wie das Kind aufwachsen muss (prekäre Verhältnisse) ganz zu schwiegen. Ob man dem Kind einen großen Gefallen damit tut hier hineingeboren zu werden?

        • @Chris Teuber:

          Na dann kontrollieren Sie mal schön.

  • Ach, Frau Oestreich, wenn man keine Ahnung hat ...

     

    Kindergeld und Kinderfreibetrag sind zwei verschiedene Dinge. Der Freibetrag ist verfassungsrechtlich geboten, weil das Existenzminimum der Kinder steuerfrei gestellt sein muss.

     

    Zudem liegt der Freibetrag auch in der Steuersystematik begründet. Wenn man durch mit dem Einkommen steigende Steuersätze erreichen will, dass starke Schultern mehr tragen, muss man auch berücksichtigen, wenn die starken Schultern doch nicht ganz so stark sind, wie es auf den ersten Blick scheint. Ein Paar mit 150.000 Euro Jahreseinkommen und zwei Kindern ist eben weniger Leistungsfähig als eines mit gleichem Einkommen, aber ohne Kinder. Man könnte natürlich das Steuersystem auf eine Flat-Tax umstellen und für alle den gleichen Steuersatz verlangen, das fände aber wahrscheinlich nicht nur ich ungerecht.

     

    Das Kindergeld dagegen ist eine Sozialleistung, damit Eltern für jedes Kind eine Mindestsumme bekommen, auch wenn ihr Einkommen zu niedrig ist, als dass sie die gleiche Summe über den steuerfreibetrag erhalten würden. Und bei Hartz-IV-Empfängern ist das Kindergeld ja schon durch die Hartz-IV-Leistungen für die Kinder abgedeckt, die genau für das Existenzminimum gedacht sind.

    • @Demokrat86:

      Sie haben zwar Recht, aber "Ahnung" hat die Autorin schon. Sie hat nur eine andere Vorstellung vom Staat, nämlich die, dass dieser sich viel mehr als Umverteiler von Einkommen betätigen soll als jetzt.

       

      Ich bin allerdings eher auf Ihrer Seite, dass dies nicht zu den Aufgaben des Staates gehört, jedenfalls nicht in dem von einigen neuerdings angestrebten Ausmaß, wonach über Familien mit Kindern einfach sehr viel Geld ausgeschüttet werden sollte und das nennt man dann "Familienförderung".

  • Alle Forderungen von Frau Oestreich haben meiner Meinung nach nur das eine Ziel, nämlich die Zerstörung der traditionellen mittelständischen Familien. Beide Elternteile sollen gezwungen werden in Vollzeit zu arbeiten und die Kinder sollen gleich nach der Geburt in eine Krippe, damit diese eine gendergerechte Erziehung genießen können.

  • ich habe 4 kinder. 4 elterngeldanträge hinter mir. 4 x jährlich kita- und hortgebührenanträge und noch einige kleinere anträge zu schreiben, alles mit einkommensnachweis und nur unter bestimmten bedingungen und konditionen, die sich auch rückwirkend wieder ändern können, wenn man selbstständig ist. ja es ist vielleicht gerecht so, aber der aufwand und die diskussionen um die einkommenssituation, erfordern viel zeit, ich bin zu hause und kann das deshalb, viele falsche bescheide wären mir nicht aufgefallen, wenn ich nicht alles am schreibtisch kontrolliert hätte, 2 arbeitende eltern können das nicht leisten.

    das kindergeld ist die einzige konstante mit der man rechnen kann, alles andere wischiwaschi und vielleicht am ende des jahres wieder was zurückzahlen.

    wenn man familien mit kindern fördern will, muß man mit der gießkanne ran, wenn familien vorher alles durchrechnen müssen und hinterher evtl doch nicht wissen, ob das alles so klappen wird, da überlegt man es sich doch, ob das mit den kindern so eine gute idee ist.

    kinderkriegen ist kein muß, der staat muß wissen was er will, nur nicht jemanden zuviel geben, oder mit einem versprechen menschen locken kinder zu kriegen, geldprobleme kommen dann ganz von alleine...

  • zur Progression hat Rainer B. ja richtig ausgeführt, dass die hohe Erstattung letztlich nur das "Spiegelbild" der zuvor gezahlten hohen Steuern ist. Das ist durchaus nicht ungerecht, weil Kinder eben auch für Reiche mit Kosten verbunden sind, so dass natürlich derjenige, der Kinder hat, steuerlich besser dastehen muss, als derjenige, der keine Kinder hat. Ist im Prinzip beim Ehegattensplitting gleich.

     

    Was die Frage des Kindergeldes für Arme betrifft, ist auch hier die Anrechnung "folgerichtig". ALG2 soll das Mindesteinkommen sichern. Dafür werden bestimmte Beträge gezahlt. Und alles, was aus anderen Quellen den Kindern dieses Mindesteinkommen sichert, muss nicht mehr als ALG2 gezahlt werden.

     

    Es greifen eben verschiedene Unstützungen nebeneinander, mit verschiedenen Systemen.

    • @Dr. McSchreck:

      Verschiedene Unterstützungen greifen da eben nicht, weil jeweils angerechnet wird. Andererseits stehen in einem finanziell gut ausgestatteten Haushalt viele Infrastrukturen zur Entwicklung der Kinder ohnehin zur Verfügung, so dass da eine staatliche Förderung entbehrlich ist.

      • @Rainer B.:

        verschiedene Unterstützungen meint: für das Existenzminimum gibt es ALG2. Das ist keine Maßnahme der Familienförderung, sondern sichert den Mindestbedarf jedes Menschen. Soweit er aus anderer Quelle (Kindergeld, Erziehungsgeld) gedeckt ist, wird das Einkommen angerechnet, weil das Existenzminimum in Höhe diese Einkünfte nicht gefährdet ist.

         

        Das Kindergeld ist eine" steuerliche Freistellung des Existensminimums für Famlien", bei Geringverdienern wird gewissermaßen der Steuerfreibetrag "aufgestockt".

         

        Beides sind keine Maßnahmen der Familienförderung, sondern zur Sicherung des Existenzminimuns bzw. zur Herstellung von Steuergerechtigkeit.

         

        Familienförderung ist z.B das "Teilhabepaket" und sind Kinderbetreuungseinrichtungen. Diese sollen den Kindern selbst und nicht den Familien zugute kommen, daher ist damit ein gewisser bürokratischer Aufwand verbunden.

        • @Dr. McSchreck:

          "Soweit das Kindergeld zur steuerlichen Entlastung nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familien (§ 31 EStG)."

           

          Mit Ausnahme von Hartz IV wird das Kindergeld einkommensunabhängig ausgezahlt. Der Kinderfreibetrag wird immer dann wirksam, wenn sich dies bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens als günstiger für den Steuerpflichtigen erweist als das Kindergeld (ab ca. 63.500/33.500€). Erst über diese Grenzen hinaus wird das Kindergeld auf die Steuerentlastung angerechnet. Von einem "Existenzminimum für Familien" kann man da wohl ernsthaft nicht sprechen.

  • Das Bild vom "wohlwollender Staat, der seine warme Gießkanne über allen ausschüttet", war schon immer grundlegend falsch. Der Staat schüttet - wenn überhaupt - maximal nur das aus, was nach Abzug der Kosten für den Staatsapparat selbst übrig bleibt von dem, was sich der Staat vorher von den Bürgern holen konnte. Aus der finanziellen Sicht des Staates gehören eben nur die zu den Bürgern, die auch einzahlen können. Das ist einerseits konsequent, andererseits höchst unstaatlich. Eigentlich müsste der Staat ein Interesse daran haben, dass möglichst viele möglichst viel Geld zur Verfügung haben. Das Gegenteil ist aber in der Praxis der Fall.

    Bei den Kinderfreibeträgen kann der, der vorher überproportional viel Einkommensteuer bezahlt hat, auch überproportional viel zurückbekommen. Darin liegt ansich nichts Ungerechtes. Ungerecht wird's aber da, wo Kindern Geld - und damit auch gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten - benommen werden, die Kindern aus finanziell besser gestellten Familien ganz selbstverständlich zugestanden werden. Da wird von Anfang an ein finanzieller Status festgeschrieben, der eine Korrektur auf Generationen hinaus nahezu unmöglich macht.

  • Knackige Formulierungen sind schön. Diese z.B.: "Im Klartext: Hartz-IV-Kinder bekommen: nichts. "

     

    Stimmt nicht wirklich, da Hartz-IV-Kinder vom Staat alimentiert werden. Es kann gern darüber gestritten werden, ob der Betrag nicht mal erhöht werden könnte aber ein NICHTS sieht anders aus.