Kommentar 5-Prozent-Hürde: Weimar ist nicht mehr
Es ist höchste Zeit, die Fünf-Prozent-Hürde in eine Drei-Prozent-Hürde umzuwandeln. Fast jeder sechste Wähler ist nicht im Parlament vertreten.
D ie Fünf-Prozent-Hürde ist fester Teil des bundesdeutschen Sicherungssystems, das Rückfälle in die Weimarer Republik verhindern soll. In der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie hatte es nach 1918 bis zu 17 Parteien im Reichstag gegeben. Diese Zersplitterung war nicht schuld an 1933 – aber sie schwächte das Immunsystem der Demokratie gegen den Totalitarismus.
So in etwa lautet seit 60 Jahren die Begründung für die Sperrklausel. Und von Wahl zu Wahl wirkt sie gewollter. Muss diese Demokratie wirklich noch die Gespenster der Vergangenheit beschwören, um sich selbst zu erklären? Es sieht eher so aus, als gebe es diese Fünf-Prozent-Hürde nur noch aus Gewohnheit.
Höchste Zeit, diese Gewohnheit zu überprüfen. Denn fast jeder sechste Wähler ist nach der jüngsten Bundestagswahl nicht im Parlament vertreten. Und wie bigott ist es, die Krise der Repräsentation in der Mediendemokratie zu beklagen, aber achselzuckend hinzunehmen, dass fast sieben Millionen Stimmen unter den Tisch fallen? Zum Vergleich: Linkspartei und Grüne zusammen wurden von 7, 4 Millionen Menschen gewählt. Das kann nicht der adäquate Ausdruck des Wählerwillens sein.
Es gibt gewiss auch gute Gründe für eine Sperrklausel. Nicht jede Partei, die ein oder zwei Prozent bekommt, muss im Bundestag vertreten sein. Aber die Schwelle von fünf Prozent grenzt einen relevanten Teil der WählerInnen politisch aus.
Wer ein politisches Desinteresse beklagt, muss sich deshalb fragen, ob unser hermetisches politisches System dies nicht fördert. Und ob eine Hürde von drei Prozent nicht klüger wäre. Weil sie die Beteiligung der WählerInnen wirksam erhöht, ohne die rationalen politischen Machtbildungsmechanismen außer Kraft zu setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker