Kolumne Wutbürger: Der Mief der fünfziger Jahre
Wo war noch mal die Emanzipation? Bestimmt nicht in deutschen Kinderzimmern. Dort glitzern rosa Nagellack, Schminke und Schmuck.
W er sich für den aktuellen Stand der Genderdebatte interessiert, sollte es mit Sigmar Gabriel halten: raus ins Leben; dahin, wo es brodelt, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt.
Und es riecht gewaltig in Deutschlands Kinderzimmern. Gelegentlich stinkt es geradezu nach dem Mief der fünfziger Jahre. Penetrant wurde der Gestank, als ich auf der Suche nach einer Geschenkidee für meine vierjährige Nichte war. Dafür musste ich nicht mal raus, jedenfalls nicht im Gabriel’schen Sinne.
Ich las in ein paar Foren im Internet und stieß dabei auf eine Art Parallelgesellschaft, die ihre Kinder unbeirrt mit einem überkommenen Rollenverständnis aufzieht. Alle Geschenkvorschläge sind in den Foren streng nach Geschlecht getrennt. Jungskategorien sind Sportler, Tüftler, Schelm. Die passenden Geschenke: Fußball, Roboter, Dinosaurier. Mädchen wird nur die Weiterentwicklung zu „Mädchen-Mädchen“ zugestanden.
Union und SPD verhandeln über Mindestlohn und Rente. Aber wovon hängt es ab, ob sich jemand arm fühlt? Nur vom Geld? Vier Begegnungen an den Grenzen der Armut lesen Sie in der taz.am wochenende vom 16./17. November 2013 . Darin außerdem: Der deutsche Kunstmarkt muss jetzt endlich Verantwortung für die Raubzüge des „Dritten Reiches“ übernehmen, sagt der Historiker Hanns C. Löhr. Und der sonntaz-Streit: Der neue iranische Präsident Rohani gilt als verhandlungsbereit. Kann man dem Iran trauen? Nein, sagt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Eltern sind sich sicher, dass ihre Töchter noch vor der Einschulung ganz dringend Nagellack, Schminke und Schmuck brauchen. Besonders gut sei es, wenn alles rosa glitzert. Eine Mutter schreibt, ihre Tochter spiele gern Hausfrau mit kleinem Herd und Staubsauger. Dazu noch ein paar Puppen, und schon sei sie wie die Mama. „Ich weiß, ich weiß“, schreibt die Foren-Mutter, „die Emanzipation! Aber kleine Mädchen mögen halt Mädchensachen.“
Nach der Lektüre fragte ich mich, was die ganzen Diskussionen über Gleichstellung, Frauenquote und Unisextoiletten bringen. Wer sich über das mangelnde Interesse von jungen Frauen an technischen Berufen wundert oder darüber rätselt, warum sich Mütter so schnell in die Hausfrauenrolle drängen lassen, der sollte sich einen Nachmittag in den Foren umtun.
Die Mädchen landen nach der Gehirnwäsche – je nach Schicht – im Friseursalon oder bei den Kunsthistorikern. Ist ja auch niedlich. Und schlecht bezahlt. Meiner Nichte habe ich ein Buch über Kaulquappen geschenkt. Die wirken geschlechtslos.
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