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Kolumne Wir retten die WeltVerantwortung zum Mitnehmen

Wir kümmern uns nicht um unseren Schrott, die Rechnung zahlen andere. Wenn sie regiert, wird die Verantwortungslosigkeit schlimm.

Zu verschenken: Sollen sich doch andere um die Entsorgung kümmern Foto: dpa

D as ausgediente Sofa stand an der Straßenecke im nasskalten Nieselwetter, durchgeweicht und dreckig. Jemand hatte einen Zettel drangeklebt: „Zum Mitnehmen!“ Ein paar Straßen weiter ausrangierte Blumentöpfe: „Zum Mitnehmen!“ Dann zerlesene Kinderbücher: „Zum Mitnehmen!“

Wer zu faul ist, seinen Müll zu entsorgen, stellt ihn in Berlin einfach auf die Straße. Und tut noch so, als täte er anderen etwas Gutes: „Bitte, hier, bedienen Sie sich an unserem Schrott!“ Statt den Krempel zum Müll oder in den Secondhandladen zu bringen, einfach raus damit und auf den Mitnahmeeffekt hoffen. Wird sich schon jemand drum kümmern!

Natürlich ist auch daran unser Überflusskapitalismus schuld. Wir leben ins Saus und Graus, die Rechnung zahlen andere. Wir bauen Atomkraftwerke und wissen nicht, wohin mit dem Müll, produzieren Chemiedreck und ignorieren, was er anrichtet, füttern das Vieh mit Antibiotika, die Atmosphäre mit CO2 und die Meere mit Plastiktüten und machen für unsere Kinder einen Zettel dran: „Zum Mitnehmen!“.

Am schlimmsten aber ist Verantwortungslosigkeit, wenn sie regiert. Wenn sich also die Sondiristas der Groko in bester FDP-Manier sagen: „Lieber keinen Klimaschutz als schlechten Klimaschutz!“ und das Ziel als unerreichbar aufgeben. Dumm für sie: Schuld sind nicht wie sonst die Vorgänger. Denn das sind sie selbst. Und sie haben immer erzählt, das sei alles nicht so eilig mit dem Umweltschutz. Erst war Krise, da kann man die Wirtschaft nicht belasten. Dann war Aufschwung, da will man nichts abwürgen. Jetzt ist Boom und alles zu spät.

Umwelt- und Sozialziele werden hierzulande mit großem Hallo verkündet und dann ignoriert. Biolandbau? Verfehlt. Pestizideinsatz? Mehr statt weniger. Sicherung der Artenvielfalt? Nicht dran zu denken. Schluss mit dem Flächenfraß? Ein Lacher. Ganz schlimm ist die „Freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie“. Damit werden vernünftige gesetzliche Regelungen abgemeiert, dann wird nichts erreicht. So bei den Autobauern und dem Spritverbrauch, der Lebensmittelindustrie und den Dickmachern bei Kindern, der Textilwirtschaft und ordentlichen Arbeitsnormen.

Fazit: Wer die Welt retten will, indem er Ziele aufstellt, diese aber nicht mit konkreten Zwischenzielen, einer Finanzierung und Sanktionen ausstattet, wird mit Großer Koalition und kleinen Wahlergebnissen nicht unter vier Jahren bestraft. Politiker, die Probleme derart auf die lange Bank schieben, werden an der Straßenecke im Nieselregen und mit einem Schild ausgesetzt: „Zum mitnehmen!“

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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1 Kommentar

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  • Der Autor hat das Problem ja ganz schön dargestellt, kommt nur zum falschen Schluss. Ein Politiker, der ernsthaft alle denkbaren, notwendigen oder zumindest für notwendig erachteten Maßnahmen in sein Wahlprogramm schreibt, steht spätestens am Ende des Wahltages (zusammen mit dem zum Altpapier verkommenen restlichen Wahlprogramm) am Straßenrand.

     

    Die Kehrseite einer Demokratie. Das macht jedoch im Ergbebnis auch nix aus. Die von der UN festgestellten Gründe, aus denen das gewünschte Klimaziel mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht zu erreichen sein wird, liegen fast alle außerhalb Europas. Da kommt man schnell auf den Gedanken, dass sich ja auch nix geändert hätte, wenn wir vor zehn Jahren auf die schönen Autos, Fernreisen, Kreuzfahrtschiffe, das Öl oder die Kohle verzichtet hätten.