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Kolumne Wir retten die WeltGurkenrepublik Deutschland

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Minister machen, was sie wollen, keiner regiert. Sind wir eine Bananen-Repubik? Keineswegs. Der Rest der Öko-Welt hätte gern unsere Probleme

Geht doch, ganz ohne Staatskrise: Rot-Grün-Rot Foto: dpa

Unglaublich“, knurrt Kollege M., als er über Glyphosat-Minister Schmidt schreibt. „Wie in einer Bananenrepublik.“ In der Tat: Gerade die Law-and-Order-CSU macht auf „Legal, illegal, scheißegal“. Schmidts konfliktscheue antiautoritäre Erzieherin belässt es bei einem mahnenden Zeigefinger.

Das Land ist für ein halbes Jahr ohne Regierung, und im Bundestag kommen die Abgeordneten auf dumme Gedanken: Man könnte ja auch ohne Chefin Gesetze machen! Alle reden von „Staatskrise“. Glauben wir den Talkshows, fühlt sich Berlin-Mitte an wie Mogadischu.

Bananenrepublik? Da denke ich an süße Früchte mit viel Vitamin B. In der Realität sieht unsere Staatskrise so aus: Ein Gericht verurteilt einen Pleitemilliardär und schickt seine Kinder in den Knast. Ein anderes Gericht untersagt dem Energiekonzern RWE trotz einer gewonnenen Klage die Rodung des Hambacher Forstes. Das nächste Gericht untersucht jetzt, ob dieser Konzern für den Klimawandel haftet. Staatsversagen geht anders.

Nicht mal die Politik macht ernsthaft auf Failed State. Seit Wochen regen wir uns über grüne Themen auf. Das ist internationale Spitzenklasse. Ein Agrarminister schummelt bei der Zulassung eines Ackergifts? In anderen Ländern würden darüber nicht mal die Zeitungen berichten. Das Schicksal einer Regierungsbildung hängt am Kohleausstieg? Klimaschützer überall auf der Welt gäben viel dafür, wenn ihr Thema so wichtig wäre.

Einen Dieselskandal gibt es eigentlich nur in Deutschland, obwohl die EU-Grenzwerte auch in 27 anderen Staaten deutlich überschritten werden. Und eine Partei, die warnt, man solle sich „nicht mit den Bienen und Schmetterlingen anlegen“, wird nicht aus dem Parlament gelacht, sondern kommt fast in die Regierung.

Vielleicht ist es die viel gescholtene „German Angst“. Aber immer mal wieder diskutieren wir wirklich Überlebensfragen wie Klimaschutz oder Artensterben. Bananenrepublik? Da wären wir krumm und gelb mit schwarzen Stellen. Nein, Deutschland im Herbst 2017 ist eher eine Gurkenrepublik: Von außen kräftig grün, innen nur noch wässrig. Gern in Essig eingelegt und echt sauer, früher mal exakt nach EU-Norm gebogen. Und alles in allem ziemlich geschmacklos.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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5 Kommentare

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  • Wenn das ständig wachsende Prekariat bei der Beurteilung der gesellschaftlichen Lage keine Rolle spielt, die Zunahme des Rechtsrtadikalismus ebenso wenig, noch nicht einmal die Klärung der NSU-Verbrechen und die Rolle des Verfassungsschutzes, dann mag ja eigentlich alles im grünen Bereich liegen.

    Das ist kein Schönreden, das ist Realitätsverweigerung.

    Es fehlt an kritischen Geistern in den Medien.

  • Naja, da ließen sich auch genügend (mehr) Gegenbeispiele bringen. Da geht doch allerhand verloren durch diese relativierende Darstellung. Ist doch alles nicht so schlimm? Oder was soll das den Lesenden vermitteln? Froh sein, auf einer Demo nicht erschossen zu werden oder danach nicht in einem Gefängnis zu verrotten, oder wie? Froh sein, HartzIV zu kriegen? Froh sein, nicht NSU-Opfer geworden zu sein? ...

  • Das Verwirrt mich: Bananen-Republik in der Gurken-Republik, die dank der Bauernkriege zur Glyphosat Republik geworden ist.

    Wer hat die grössten Kartoffeln in diesem Land nach den Bauernkriegen und dem dreissigjährigem Krieg 1618 - 1648? Bei soviel Gift im Boden wundert mich das Gift in unserer Politischen "Kultur" überhaupt nicht. Ein System der Selbstentleibung? Letzte Rettung scheint die Digitalisierung zu sein? Die Chinesen bestäuben ihre Blüten manuel (digital nach digitus der Finger) weil sie keine Bienen mehr haben.

    Früher in der guten alten Zeit gab es noch den Autodiebstahl! Jetzt werden ganze Völker gestohlen: Bienen Völker!

    • @Peter Meisel:

      Die Chinesen bestäuben ihre Blüten nicht manuell, weil sie keine Bienen mehr haben, sondern a) weil es um Zucht geht (da bestäubt man auch anderswo mit der Hand) und b) weil es dort einen Markt für handbestäubte Produkte gibt. Bienen haben die jede Menge, deren Honigexport ist nicht eingebrochen...

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    Vielleicht wäre es angebrachter gewesen, die Zeit für das Artikelschreiben zu nutzen, um eine redaktionsinterne Diskussion über Rassismus zu führen.

    Bananenrepublik, wenn ich so etwas höre, werd' ich sauer wie eine Spreewaldgurke!

     

    'Vergurkt' würde ich den Artikel mal nennen. Denn er schreibt am Problem vorbei. So traurig wie es ist - für viele Menschen stellt nicht zuerst Klimaschutz und Artensterben eine so genannte Überlebensfrage dar, sondern die Agenda 2010, das Präkariat und Hartz IV. Wenn die Bienen- und Schmetterlingspartei, die diese Asoziale Agenda mitzuverantworten hat, nicht einmal auf zehn Prozent der Wähler kommt, dann hat diese Gurkentruppe genauso versagt wie die SPD! Solange die grüen und die soziale Frage nicht zusammengebracht werden.

     

    Was bringt es wenn ein Viertel der Bevölkerung sich die heißgelobten Bioprodukte und veganen Alternativen nicht leisten kann und derweil diejenigen, die es sich wirklich etwas leisten können, eine Ressourcenvergeudung und Mitweltverschmutzung sondersgleichen an den Tag legen?

    Reichtum ist genauso gefährlich für die Mitwelt wie Armut! Wir könnten an zig Stellen jetzt und hier mit der Vergeudung Schluss machen, wenn wir es ernst meinen würden mit der Überlebensfrage!

     

    Das fängt mit der nächtlichen Beleuchtung in den urbanen Räumen an. Schalten wir die Beleuchtung an den den Werbetafeln und die Bestrahlung urbaner Gebäude doch einfach ab.

    Verbieten wir Kryptowährungen, die mit dem Proof-of-Work-Prinzip arbeiten (oder dem Proof-of-Space-Prinzip).

    Führen wir doch eine persönliche CO2-Statistik beim Fliegen ein und machen jeden Flug teurer als den vorhergehenden, mit einer ansteigenden Steuer.

     

    Besteuern wir Transportunternehmen je nach Länge ihrer Transportwege. Birnen aus China und Äpfel aus Neuseeland müssen viel kosten, Bananen könnten dadurch subventioniert werden. Eine Transportsteuer ist die Alternative zu einer Renationalisierung des Handels auf der einen und einem ungebremsten Freihandel auf der anderen Seite.