Kolumne Wir retten die Welt: Rasierschaum als Vernichtungswaffe
Alle fürchten jetzt brennende Handys. Aber was ist mit den echten Gefahrgütern im Alltag? Über Rasierschaum, Jeans und Kettensägen.
A m Dienstag hat es auf dem Dach des Berliner Europa-Center gebrannt. Dicker schwarzer Qualm zog über die Innenstadt, das Gebäude wurde geräumt. Bislang weiß niemand, wie die Flammen entstanden. Außer Twitter: Da oben brenne ein Samsung Galaxy Note 7.
Die überhitzten Smartphones sind für Samsung kein Witz. Der Rückruf kostet Milliarden und bringt den Konzern ins Trudeln. Und das Internet lästert: Das Telefon erscheint da als Handgranate oder eingewickelt in eine Branddecke, aufzuladen nur von einem Kommando zur Bombenentschärfung.
Das ist nicht schön. Ich hätte auch nur ungern ein Handy, das zu spontaner Selbstverbrennung neigt. Aber ob deswegen die Welt so schnell untergeht, wie derzeit berichtet, ist fraglich. Die US-Verbraucherbehörde berichtet von knapp hundert überhitzten Geräten, von 26 Bränden und 55 Feuerschäden sowie 13 Verletzten. Bei einer Million Geräten keine so schlechte Quote. Wenn bei einer Million neuer Autos auf den Straßen nur 13 Verletzte in der Bilanz stünden, wäre das ein Grund zum Feiern. Aber okay, ein Auto trage ich auch nicht in der Hosentasche.
Gefahr lauert überall
Allerdings sollte das Samsung-Desaster uns daran erinnern, mit welchen Gefahrgütern wir jeden Tag hantieren. Vom Automobil war schon die Rede, mit dem jeder seinen Beitrag zu Atemnot, Verkehrstod und Klimakollaps leisten kann. Aber es geht weiter: Die Druckerpatrone in Ihrem Arbeitszimmer ist voll giftigem Kleinstaub und heißt nicht zufällig „Patrone“.
Der Lack an Ihren Fenstern ist entweder toxisch oder hält kein Wasser ab. Die Wärmedämmung Ihres Hauses belastet das Abwasser mit giftigen Rückständen. Und das Ticket für den Flug in den Urlaub? Für die Umweltorganisation Transport and Environment „eines der umweltschädlichsten Güter, die man für Geld kaufen kann“.
Mir fallen noch ein paar andere ein. Die Alufolie, die unser Dönerladen so verschwenderisch um seine gefüllten Fladenbrote wickelt – ein Ressourcenkiller erster Ordnung, weil der Abbau von Aluminium unglaublich Energie frisst und Natur zerstört. Für meinen goldenen Ehering wurden (Gewicht mal 550.000!) 4,5 Tonnen Materialien benötigt. In jeder meiner Jeans stecken 8.000 Liter Wasser – ein Bewohner der Sahelzone muss mit dieser Ration neun Monate lang auskommen.
Bilder der Woche 8.-14. Oktober
Es ist haarsträubend, welche banalen Ursachen ökologische (Beinahe-)Katastrophen haben können: Der Rasierschaum und das Haarspray, das unsere Eltern benutzten, haben fast die Ozonschicht gekillt und weite Teile der Welt zu Hochrisiko-Gebieten für Hautkrebs gemacht. Das waren echte Massenvernichtungwaffen.
Smartphones sind auch ohne Feuer schlimm
Oder hier: Erst mit der Erfindung der Kettensäge ging es dem Amazonaswald so schnell an die Wurzel. Pestizide und Düngemittel verseuchen auch Vorstadtgärten, in denen so gern die Landlust gelesen wird. Und da wir hier von Smartphones reden: Der „ökologische Rucksack“ dieser Wissensvernichtungswaffen wiegt so schwer wie vier dicke Koffer, 75 Kilo Material für ein 80 Gramm leichtes Gerät. Von den Rohstoffen, die aus Konfliktgebieten kommen und Kriege finanzieren, mal ganz zu schweigen.
Die Samsung-Handys fangen Feuer, sagen Experten, weil die Akkus damit überlastet seien, zu schnell zu viel Leistung zu liefern. Das klingt vertraut wie in der Bankenkrise: Burn-out wegen ungezügelter Gier. Immerhin hat Samsung uns gewarnt. Schließlich hat die Firma ihren neuesten heißen Scheiß selbst innovativ und passend bewertet: Galaxy Note 7. Bisher war der Tiefpunkt bei einem ordentlichen „Ungenügend“ – Sechs, setzen! – erreicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden