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Kolumne Wir retten die WeltEine Frage der Entscheidung

Bernhard Pötter
Kolumne
von Bernhard Pötter

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte jüngst, dass Verzicht nie funktioniert hätte. Doch da liegt er völlig falsch.

Wer fliegt, verzichtet auf Venedig Foto: dpa

M eine Frau sitzt am Frühstückstisch und blättert in der Zeitung. Sie liest ein Interview mit Winfried Kretschmann Superstar. „Hier“, sagt sie und hält die Zeitung hoch, „Kretschmann sagt: Verzicht, das hat noch nie funktioniert.“ Sie nimmt einen Schluck Kaffee und blickt zu mir über den Tisch. „Außer bei meinem Mann.“

Nun ja. Vielleicht habe ich einmal zu viel gegen ein Easyjet-Wochenende in Lissabon gestänkert. Und der Familie dafür den Herbst im zugigen Wendland zugemutet. Vielleicht sollte ich nicht so die Augen verdrehen, wenn die Wurst nicht aus dem Bioladen kommt. Oder es im taz-Laden so herrlich überflüssigen Kram gibt.

Ich gebe ja zu: Ich bin auch nicht konsequent. Und vor allem eine Spaßbremse. Manche Freunde verschweigen mir ihre Urlaubspläne, weil sie nicht hören wollen, dass man nach Paris auch mit dem Zug fahren kann. Oder ob sie gegen das Kraut in ihrem Schrebergarten jetzt wirklich Monsantos „Roundup Ready“ spritzen. Eine déformation professionelle, gewiss. Und Sie, geneigte Leserinnen und Leser, kennen ja am besten den alarmierenden Zustand Ihres ökologischen Sündenkontos. Die Trekkingtour bei Einheimischen in Sri Lanka hat Ihnen letztens die CO2-Bilanz eines ganzen Jahres Carsharing verhagelt.

Aber Gottvater mit der Meckifrisur liegt trotzdem völlig falsch. Verzicht funktioniert sehr gut. Es kommt nur darauf an, worauf. Gerade die Menschen, die sich keinen Verzicht predigen lassen, merken oft überhaupt nicht, was sie so vermissen. Seltsamerweise bedeutet der „Verzicht“, der seinen Horror bis in die Stuttgarter Staatskanzlei verbreitet, das bewusste Weglassen von Dingen, die nett, aber nicht notwendig sind: die dritte Flugreise im Jahr, das Zweitauto, die erste Liga im Konsum. Also: von Luxus. Wenn wir diese Dinge nicht missen wollen, sind uns andere Dinge eben unwichtig – und zwar exakt die Sachen, die man eigentlich im Poesiealbum unter der Rubrik führt: „Was wirklich zählt im Leben.“

Kein Verbummeln wie Omas Schal

Also verzichten wir, weil wir ja nicht verzichten wollen, schnell und ohne viel Nachdenken: auf den öffentlichen Raum unserer Städte, den wir den Autos überlassen; auf eine Wiese voller Kräuter, Kröten und Krabbeltiere, wenn hier der neue Primark gebaut wird; auf die Alpengletscher, auf die Ruhe eines Tals ohne Autobahnanschluss, auf Stadtluft ohne Erstickstoff; auf Felder, in denen Vögel und Feldhasen leben statt nur die Krähen der Agrarwüsten. Und am schnellsten verzichten wir darauf, was wir im Poesiealbum „das Erbe der Menschheit“ nennen: den tropischen Regenwald, das Breitmaulnashorn, Grönland in Weiß. Auf Tuvalu und Kiribati. Und auf deren Bewohner.

Das allgemein akzeptierte Wort dafür ist „Verlust“: an Tierarten, Lebensqualität oder Inselstaaten. Aber das ist eine bequeme Lüge. Wir wissen genug über den Zustand der Welt, um einzusehen: Die Orang-Utans auf Borneo oder die Straße als Spielplatz verbummeln wir nicht wie den alten Schal von Oma.

Wir verzichten auf sie, weil wir Entscheidungen treffen, jeden Tag. Wer autogerechte Städte baut, verzichtet auf Freiräume. Wer Palmöl anbaut, verzichtet auf Menschenaffen. Wer fliegt, verzichtet auf Venedig.

„Die allermeisten Menschen wollen nicht weniger“, sagt Kretschmann. Doch. Wir wollen viel weniger. Wir sollten uns nur entscheiden, wovon.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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20 Kommentare

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  • Super Text, so ist es, vielen Dank. Es ist halt die Ignoranz dessen, was für die Bequemlichkeit ausgeblendet werden kann

  • Sehr schöner Artikel - vor allem die Erkenntnis das mit etwas erhalten, bekommen haben wollen immer auch gleichzeitig Verzicht auf etwas anderes

    bedeutet.

     

    Mal einfach den Gedanken an das luxoriöseste veschwenden was wir haben - die Zeit.

  • Sie haben ja im Prinzip völlig Recht mit dem, was Sie schreiben. Was ich allerdings nicht glaube, ist, dass man diese Ansichten so kompromisslos einer breiten Masse schmackhaft machen könnte - und genau das ist es ja, was im demokratischen System zum Erfolg eines Anliegens führt. Die Menschheit ist zu triebgesteuert und die wenigsten Exemplare diszipliniert genug, dies zu unterdrücken. Deshalb wird, wer diese prinzipiell so richtige Ansicht kompromisslos politisch durchsetzen will, am Ende weniger, oder gar das trotzige Gegenteil dessen erreichen, was er eigentlich will. Darum halte ich es für weise, nicht kritikwürdig, Kompromisse einzugehen.

    • @Ein alter Kauz:

      "Die Menschheit ist zu triebgesteuert und die wenigsten Exemplare diszipliniert genug, dies zu unterdrücken."

       

      Die alte Leier. Man muß sich wundern, warum die Evolution einen Intellekt hervorgebracht hat, wenn der Trieb die bessere Lösung war.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Sorry, aber das ist einer der populärsten Irrtümer überhaupt. Der Mensch ist nicht trieb-, sondern fremdgesteuert. Er möchte sich das bloß nicht eingestehen. Es schmeichelt ihm, wenn man ihn "wild" nennt. Er braucht dann nämlich nicht kapieren, dass er ein konditioniertes Äffchen ist, das genau die Entscheidungen trifft, die andere von im verlangen.

         

        Ja, sie verzichten auf viel mehr, als sie bekommen. Aber sie lassen sich das Gegenteil davon einreden von Vaterfiguren wie Kretschmann, die sie (ganz zu Recht) wie unmündige Kinder behandeln. Das ist weder Trieb, noch ist es Intellekt. Das ist nicht mal Natur. Das ist am ehesten ein lebenslanges Kleinkindalter.

        • @mowgli:

          Hören Sie zu, gute Frau: Diesen Triebdingensunfug behauptet Kollege ALTER KAUZ und nicht ich.

        • @mowgli:

          Sehr schön formuliert!

  • mal ein guter Beitrag in der TaZ; d.h. einer, der meiner Auffassung entspricht.

     

    Wer nicht mal bereit ist, in kleinen Dingen zu verzichten

    - Tempo 100 statt 150 auf der Autobahn

    - gewichtsreduzierte Fortbewegungsmittel statt überall Suvs

    -durchgehende Straßenbeleuchtung

    wird die Welt nicht retten.

     

    Wir werden von Wachstums-Apologeten regiert. Die Perspektiven sind schlecht, weil ewiges Wachstum nicht dauerhaft funktionieren kann.

  • Sind derartige Überlegungen wirklich der richtige Ansatz?

    Meine Fragestellung lautet, wie wohl ein Verzicht auf unnützte oder schädliche Dinge und Verhaltensweisen logisch möglich sein soll, wenn weltweit keine Gesellschaft bereit ist, auf solche Menschen in ihrer Mitte zu verzichten, die von Habgier, Vergnügungssucht und kompletter Ignoranz getrieben all das vorhandene Übel verursachen. Warum ist es so unvorstellbar, z. B. habgierbesessene Menschen isoliert nur unter sich leben zu lassen und es dann hinzunehmen, daß genau diese sich gegenseitig ausplündern?

  • Kretschmann, jetzt schon der ideologische Dealer, Pusher und Rechtfertiger der Konsumjunkies.

  • Dann kann ich Pluto nur recht geben. Das, worauf wir verzichten, wenn wir darauf verzichten zu verzichten, sind nämlich Dinge auf die wir nicht verzichten dürfen, wenn wir nicht auf ein lebenswertes Leben verzichten wollen. Und ja, Janus, das mag etwas überheblich klingen. Aber es geht hier ja nicht um Dinge die Herr Pötter ganz privat wichtig sind. Es geht um das Überleben von Tierarten, um die Heimat Millionen Menschen (Tuvalu und Kiribati wären erst der Anfang), darum diesen Planten halbwegs intakt und damit als Lebensraum für die Menschheit zu erhalten. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht trotzdem zu sagen: "Ich will aber auf nichts verzichten.", also den eigenen Luxus über die Interessen der Menschheit zu stellen, das ist wirklich Selbstüberhöhung. Abgesehen davon ist es, wie Herr Pötter sehr gut zeigt, auch kurzsichtig, weil es letztlich weit schwerwiegenderen und unfreiwilligen Verzicht bedeutet. Natürlich kann individueller Verzicht allein nicht die Welt retten. Aber zu sagen, dass Verzicht nicht funktionieren kann ist ganz einfach falsch und wohl einer der letzten Schritte von einer ökologisch orientierten Partei zu einer grüngefärbten CDU.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Wenn Kretschmann sagt Verzicht habe nie funktioniert dann geht es ihm dabei höchstwahrscheinlich nicht um den einzelnen Asketen, von denen gibt es sicher einige.

     

    Was damit wohl gemeint ist sind politische Forderungen die nur durch den freiwilligen Verzicht vieler oder aller Bürger umzusetzen sind. Und damit hat er verdammt nochmal recht. Nicht jeder möchte nach Maßstäben leben wie Herr Pötter sie ansetzt, auch wenn es möglich ist.

     

    Solch ein Leben erscheint den meisten Menschen extrem unangenehm. Und die Missionarisache Haltung die Herr Pötter an den Tag legt ist dazu äußerst unympatisch und letztlich egoistisch. Er mag ja nur gutes im Sinne haben aber anderen ins Gesicht zu sagen die Dinge die ihm wichtig sind wichtiger sind als die Dinge die ihnen wichtig sind kann man an Selbstüberhöhung kaum überbieten.

    • @33523 (Profil gelöscht):

      "Was damit wohl gemeint ist sind politische Forderungen die nur durch den freiwilligen Verzicht vieler oder aller Bürger umzusetzen sind."

       

      Sie übersehen in Ihrer egozentrischen Weltsicht etwas entscheidendes: Wenn wir so weitermachen, werden wir bald gezwungen sein, auf sehr vieles zu verzichten.

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        eben. @Janus übersieht völlig, dass wir eben nicht die absolute Freiheit haebn, alles zu tun, sodnern z.b. Öl endlich ist, Klimaerwärmung nicht umkehrbar uswusf. Also sehr egoistisch und doov, das zu ignorieren. Aber wenn Sie lieber auf gute Luft verzichten anstatt auf dauernde Fernreisen...

  • Was für ein kluger Kommentar - zumal ich mich nicht daran erinnern kann, daß die Generation unserer Eltern und Großeltern ob ihres deutlich geringeren Konsumniveaus deutlich unglücklicher durch's Leben gegangen wären; also auch noch: wofür der ganze Wahnsinn?

  • Ich jedenfalls hätte im Nachhinein lieber darauf verzichtet, aus Protest auf S21 Herrn Kretschmann in die Steigbügel geholfen zu haben. Hat sich der Herr eigentlich mal gefragt, ob er es ohne den Tumult um S21 geschafft hätte?..Wer diesen Herrn für aufrichtig hält, hat zu wenig Blickweite auf das Ganze.

  • So sieht der Marsch durch die Institutionen aus. Mitglieder der Toskana-Fraktion hatten dann auch Gastprofessuren in den USA. Wenn man statt Turnschuh und Jeans Zwirn und Budapester braucht, muss das ja irgendwie reinkommen.

     

    "Die Lieder des Berufsdichters und Liedermachers Michel (Michael) Beheim (1420 - späte 1470er Jahre) verarbeiteten vor allem Zeitereignisse, dabei war er für ständig wechselnde, auch untereinander verfeindete Dienstherren tätig, sodass er für jeden das schmeichelnde passende Lied schrieb. Er selbst drückte das mit folgenden Worten aus: 'Der furst mich hett in knechtes miet, ich ass sin brot und sang sin liet.' In der Sprichwörtersammlung von Franck ('Sprichwörter, Schöne, Weise, Herrliche Clügreden', 1541) ist noch die alte Version des Sprichwortes aufgeführt: 'Deß lied ich sing, deß brot ich iß'. Zu 'wes' und 'des' siehe auch 'Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über' "

  • Leider wird Herr Kretschmann, aufgrund seines bereitwilligen leichtfertigen Umgangs mit klingenden Namen und Worten, auch als Philosoph wahrgenommen.

     

    Herr Kretschmann sagt dies und jenes, wie es gerade opportun ist. Jetzt ist er im liberalen Siegermodus.

     

    Die Ökologie haben er und seine Brüder und Schwestern in BaWü praktisch hinter sich gelassen.

  • Eine gute Entgegnung auf die Behauptung, man wolle nicht auf alles verzichten. Danke!

  • 2G
    27741 (Profil gelöscht)

    Der Winfried hat sich ja schon richtigen Kapitalistensprech angeeignet. Im Umkehrschluss wird ein Schuh draus. Wie viel Konsum können wir uns noch leisten, ohne dass aus diesem Planeten ein großer Müllhaufen wird. Aber so ist das nun einmal, auf dem Weg nach oben werden die feinen Essen mit den Großraddrehern und Schaumschlägern dieser Welt mehr und mehr und verändern die vormaligen Überzeugungen.