Kolumne Weltbilder: Linke Ärgernisse
Intoleranz in Hamburg, Toleranz in Frankfurt: Eine kleine Reise mit Start bei Claude Lanzmann, Zwischenstop im "Club Voltaire" bis hin zum platon'schen Demokratieverständnis.
I n Hamburg verhinderte das antiimperialistische Zentrum B5 mit Gewalt die Vorführung von Claude Lanzmanns 1973 gedrehtem Film "Pourquoi Israel" mit der Begründung, dass es sich um einen zionistischen Propagandafilm handele. Tatsächlich vertritt Lanzmann in seinem Dokumentarfilm die These, dass der Sinn der zionistischen Staatsgründung erst durch den Holocaust seine volle Rechtfertigung erhalten habe. Man muss dieser These nicht zustimmen; indes, einen Film zu verhindern, der dies zu belegen versucht, ist nicht nur illiberal, sondern schlicht antisemitisch.
Intoleranz in Hamburg, Toleranz in Frankfurt. Der Club Voltaire in der Frankfurter Hochstraße, eines der ältesten Foren der sozialistischen Linken, hat vor kurzem seinen Ruf verspielt, als er der Kölner Gruppe "Arbeiterfotografie" einen Auftritt ermöglichte. Antideutsche Aktivisten störten die Veranstaltung, es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, später trat der Vorsitzende des Programmausschusses zurück.
Dazu muss man wissen, dass sich die in Köln ansässige Gruppe "Arbeiterfotografie" einem paranoiden Weltbild verpflichtet sieht, weshalb sie etwa behauptet, dass Jörg Haider ein aufrechter Antimperialist gewesen und daher vom israelischen Geheimdienst umgebracht worden sei.
Eröffnet wurde diese Veranstaltung von Heiner Halberstadt, dem Gründer und Mentor des Club Voltaire, seines Zeichens über Jahrzehnte prominenter Sozialdemokrat, sogar persönlicher Referent des ehemaligen Oberbürgermeisters Hauff – und inzwischen eine der führenden Persönlichkeiten der Linkspartei in Frankfurt.
Das zeigt: Offenbar war das Wahlprogramm der nordrhein-westfälischen Linkspartei mit seinem verbalradikalen Fundamentalismus kein Ausrutscher. Nein, auch jene, die sich als gemäßigte oder radikale Linke in der Partei gleichen Namens verstehen, entpuppen sich bisweilen als bar jeder Vernunft.
Bei einer in Frankfurt geführten Podiumsdiskussion über die Bedingungen einer rot-rot-grünen Koalition vergaß der Vertreter der Linkspartei, ein ehemals prominenter Gewerkschafter, dass der Wahlkampf vorbei ist, und agitierte das etwa dreißigköpfige Publikum unter anderem mit einem feurigen Plädoyer für den politischen Streik.
Der Hinweis, dass eine Partei, die vor allem Menschen vertritt, die, weil arbeitslos, gar nicht streiken können, mit derlei Parolen nicht weiterkommt, wurde nicht akzeptiert; der demokratietheoretische Hinweis gar, dass man, um unbequeme Gesetze zu ändern, neue parlamentarische Mehrheiten benötige und es undemokratisch sei, frei gewählte Abgeordnete unter Druck zu setzen, stieß auf völliges Unverständnis.
Einig waren sich schließlich ein linker Sozialdemokrat und der wortgewaltige Gewerkschafter, dass der rot-rote Koalitionsvertrag in Brandenburg inakzeptabel sei. Am Ende dann, die Mikrofone waren schon abgeschaltet, bemühten sich Sozialdemokrat und Linker, Realitätssinn zu beweisen.
Mit gesenkter Stimme versicherten sie unisono: "Also, zehntausend Arbeitsplätze abzubauen, das schreibt man einfach in keinen Koalitionsvertrag" – um nach einer kurzen Pause flüsternd hinzuzufügen: "Das schreibt man nicht rein, das macht man einfach, notfalls mit KW-Vermerken!"
Einen Tag später gab Alain Badiou in einem langen Gespräch mit der liberalen Zeit zu Protokoll: "Schon Platon war gegen die Demokratie!"
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