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Kolumne Überleben in der KriseDie Zukunft ist leider schon da

Firmenanteile gegen Kündigungsschutz – ein schlechter Tausch. Die Krise verschärft das Lohn- und Arbeitsrechte-Dumping und die Gewerkschaften verlieren an Macht.

Arbeitnehmerschutz war gestern. Bild: dapd

W er die Stichwörter „Euro“, „Krise“ oder „Sicherheit“ googelt, sieht, was die Menschen beschäftigt: Wie sicher ist der Euro? Und: Wie sicher ist mein Geld? Es geht um Anlagen und Inflationsängste. Und es spiegelt den politischen Diskurs, nach dem die Hauptziele der Krisenpolitik sind, das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen und die Geldwertstabilität zu erhalten. Dabei ist es weit weg von dem, was derzeit tatsächlich passiert. Denn da tun sich ganz andere Fragen auf: Wie sicher sind eigentlich Löhne? Arbeitsplätze? Persönliche Zukunftsperspektiven?

Denn nicht nur in Griechenland oder Spanien, sondern zum Beispiel auch in Frankreich oder Großbritannien wird derzeit im Arbeitsrecht herumgefuhrwerkt. Aber offenbar ist es noch nicht ins Bewusstsein vorgedrungen, dass es den EU-Regierungen nicht um vorübergehende Lohnkürzungen und „Zugeständnisse“ bestimmter Berufsgruppen in den Krisenländern geht, sondern um dauerhaft angelegte Maßnahmen: Tschechien, Ungarn und Polen haben die Arbeitszeiten verlängert.

Arbeitnehmer nur noch befristet oder in Leiharbeit zu beschäftigen ist in allen Krisen-, aber auch etlichen anderen Ländern leichter geworden. Ebenso Massenentlassungen: Einige Regierungen haben Kündigungsfristen verkürzt, andere Abfindungsregeln aufgeweicht; Großbritannien hat den Zugang zu Arbeitsgerichten erschwert, wo Kündigungsschutzklagen eingereicht werden müssten.

Besonders nachhaltig wirken wird aber die Zerschlagung der Flächentarifsysteme, also der branchenweiten Lohnverhandlungen mit dem Euro-Plus-Pakt von 2011. Darin hat sich die EU explizit das Recht zur „Überprüfung der Lohnbildungsverfahren und erforderlichenfalls des Grads der Zentralisierung im Verhandlungsprozess“ zusichern lassen. Dahinter steckt die – durch keinerlei Empirie gedeckte – neoklassische Vorstellung, dass betriebliche Lösungen immer die besten sind.

Tarifverträge gefährdet

Bild: taz
Beate Willms

ist langjährige Redakteurin der taz. Seit 2011 leitet sie das Ressort Wirtschaft und Umwelt. Gewerkschaften hält sie für unverzichtbar, wünscht sich von ihnen aber deutlich mehr europäisches und internationales Bewusstsein.

Die Kolumne „Überleben in der Krise“ erscheint wöchentlich. Im Wechsel schreiben unter anderem: Rudolf Hickel, Gesine Schwan, Jens Berger, Ulrike Herrmann und Eric Bonse.

Zusätzlich Druck macht die Troika aus EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank. Sie knüpfen ihre Kredite an Griechenland und Co an das Aufbrechen nationaler Tarifverträge. Das Gleiche fordert die EZB von Spanien und Italien im Gegenzug für Anleihenkäufe. Zudem greifen etliche Staaten mit ihrer Austeritätspolitik auch direkt in die eigentlich verfassungsgemäß garantierte Tarifautonomie ein.

Wie gesagt: Das alles geschieht nicht nur in den Krisenländern, sondern überall in Europa. Welche Schleusen das geöffnet hat, zeigt etwa der Vorschlag des britischen Finanzministers George Osborne, Beschäftigte sollten gegen Firmenbeteiligungen ganz auf Kündigungsschutz verzichten – also nicht nur ein essentielles Arbeitnehmerrecht aufgeben, sondern auch das Unternehmerrisiko mittragen.

Dass die Regierungen nicht sehen wollen, dass das Lohn- und Arbeitsrechte-Dumping nur dazu führt, die ökonomische Stagnation in Europa zu verfestigen – geschenkt. Nicht aber, dass hierzulande der große Aufschrei der Gewerkschaften ausbleibt. Offenbar haben sie noch nicht verinnerlicht, dass die Krisen genutzt werden, um ihnen das bisschen Macht zu nehmen, das sie noch haben.

Grundsätzlicher Richtungswechsel

Sie haben den Rettungsschirmen zugestimmt, um „Zeit zu gewinnen“. In dieser unterstützten sie Vorschläge wie Eurobonds oder die Forderung, die EZB möge als Kreditgeber letzter Instanz agieren, vergaßen aber, dass beides nur mit einer grundsätzlich geänderten Politik von EU und Zentralbankern sinnvoll wäre.

Sonst wäre der Einsatz beider Instrumente wieder mit den gleichen Bedingungen verknüpft, die jetzt Griechenland, Spanien und Portugal in die Rezession getrieben haben. Die Finanzinvestoren nutzten den Aufschub besser: Sie zogen ihr Geld aus den Krisengebieten ab und schoben das Risiko den öffentlichen Kassen zu.

Die „Zukunft der Gewerkschaften“ lässt sich ja auch googeln. „Was würde eigentlich passieren, wenn es keine Gewerkschaften mehr gäbe?“, liest man da. „Wahrscheinlich müssten wir unser Geld selber auf Arbeit mitbringen. Arbeiten bis zum Umfallen. Bezahlte Pausen und Urlaub wollen sich die Unternehmen dann nicht mehr leisten.“ Na super. Die Zukunft ist schon da.

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Beate Willms
Ressortleiterin Wirtschaft und Umwelt
Beate Willms
Ressortleiterin Wirtschaft und Umwelt
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5 Kommentare

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  • W
    wauz

    Gewerkschaft ja - DGB nein!

     

    "Gebauer, wo bleiben die Weiber?" - Dieser Satz umschreibt den Zustand nicht nur der IG Metall ganz genau. Der DGB hat hart daran gearbeitet, so etwas wie ein Streik-Monopol zu erhalten und missbraucht es jetzt dazu, Arbeitskämpfe zu verhindern. Deswegen spucken sie jetzt Gift un Galle, wenn andere Gewerkschaften tatsächlich erfolgreich kämpfen. Unsolidarisch nennen sie das.

    Wo bleibt die Solidarität der DGB-Gewerkschaften z.B. mit den Zeitarbeitern und anderen Geringverdienern? Tatsächlich sind die Zustände so, WEIL die DGB-Gewerkschaften geholfen haben, sie zu errichten. ALLE DGB-Gewerkschaften haben diese bescheuerten Tarifverträge, die die IG-Metall (nicht die eigentlich zuständige ver.di!) ausgehandelt haben.

    Wer sagt, wir brauchen Gewerkschaften, muss auch helfen, diesen Moloch DGB zu beseitigen!

  • R
    Revoluzzer

    Selbst die Gewerkschaften sind mittlerweile zum Popanz verkommen.Warum also überhaupt noch Beiträge zahlen?Das Kapital macht alle zu Knechten.Da ist eigentlich die Politik gefragt-, wäre die nicht auch schon ein Häufchen Elend, was vom Kapital durch die Gosse gezogen wird. Aber weil sie das verdrängen wollen, bedienen sich die Parteien mit am großen Kuchen. Für das Volk bleiben demnächst- oder schon- nur noch die Krümel.Die einzige Notwehr wäre der Generalstreik-und zwar so lange, bis man sich das Verlorene bei denen zurückholen muss, die es vom Volk genommen haben. "Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt".

  • N
    naseweiser

    Gesellschaftspolitisch von Gewerkschaften noch etwas Entscheidendes zu erwarten ist doch naive Illusion . Ebenso wie es illusionär ist zu erwarten ,es werde nach der sich weiter drehenden Abwärtsspirale auch wieder winmal aufwärts gehen . Das kapitalistische Wirtschaftssystem pfeift auf dem letzten Loch : kein denkbares , noch nicht vorhandenes Produkt ist zu entdecken , dessen profitable(!) Produktion riesige Mengen brachliegenden Kapitals und von Arbeitskraft binden könnte . Schon seit Jahren werden von den Unternehmen fast nur noch Rationalisierungs- und Modernisierungsinvestitionen vorgenommen . Gesellschaftlich angesagt ist Vereinzelung und Kampf aller gegen alle , was schon Schüler spätestens ab der Klasse 10 mitbekommen und verinnerlichen .

  • D
    Detlev

    Beate Willms hat Recht: Wir brauchen (starke) Gewerkschaften.

     

    Nur in den Gewerkschaften herrscht eine gewisse Ratlosigkeit, wie wir alle wieder zusammen finden koennen. Momentan kann ein Leih- oder Zeitarbeiter seine Situation konkret durch den Beitritt zu einer Gewerkschaft nicht verbessern. Das ist ans sich schon unfair, aber Produkt der SPD-Agenda 2010. Die feiert der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und will sie fortsetzen.

     

    Da liegt das Problem. Ohne Gesetzesaenderungen passiert gar nichts. Der DGB kann mal versuchen seine realitaetsfernen Tarifvertraege zu erneuern. Dort sind armutslöhne drinnen, die vor einem Gewerkschaftsbeitritt effektiv abschrecken. Das waere ein Anfang.

  • G
    Geraldt

    Guten Tag Frau Willms,

    es tut sehr gut, einmal auf eine Kolumne zu stoßen, die dieses große Problem, das sich zur Zeit in Europa abspielt, aufmerksam macht.

    Ich verfolge schon länger in den Medien die Berichte über das sinkende Arbeitsrecht der Arbeitnehmer in Europa, bin aber der Meinung, dass dieses Problem von den Medien nicht stark genug aufgegriffen wird.

    Und noch trauriger ist es, wie sie es ja auch anmerken, dass von Seiten der Gewerkschaften kein Aufschrei kommt.