Kolumne So nicht: Früher war mehr Stöhnen
„Sex macht Spaß, Kinder und gesund“ – so sollte ein Slogan der Krankenkassen lauten. Denn: Bumsen ist vom Aussterben bedroht!
S ex auf Rezept – geile Idee. Sex gilt ja inzwischen schon als museumsreif und könnte vom Bonner Haus der Geschichte genauso gut als Objekt der Begierde in Betracht gezogen werden wie der Lkw vom Breitscheidplatz. Sex ist vom Aussterben bedroht, jedenfalls wenn man den Studien glaubt, die behaupten, dass die Deutschen immer weniger Sex und auch immer weniger Lust auf Sex hätten.
Die jüngste akademische Langzeitstudie hat festgestellt: je älter (zwischen 60 und 70) umso mehr, je jünger (zwischen 18 und 30) umso weniger Sex hätten die Landsleute. Ich kann das für meine Nachbarschaft – ein Berliner Trendkiez – bestätigen. Früher war mehr Stöhnen. Jedenfalls im Sommer, wenn die Fenster nachts offen gelassen werden.
Die Experten haben allerlei Meinungen dazu, was der Grund dafür ist. Fakt ist, dass Sex abseits der Schmuddelecke Internet vor allem als Gegenstand für Gesundheitsbewusste (also gefühlt so langsam alle) interessiert: höherer Kalorienverbrauch als beim Segway-Fahren, effektiver als 5 Liter Biozitrone-Ingwertee und 30 Mal billiger als saunieren fürs Immunsystem.
„Schatz, lass nochmal ne Runde poppen, mein Bierbauch muss weg“ ließe sich mit ganz viel Fantasie noch unter Libertinage im 21. Jahrhundert einsortieren. Aber „Schatz, lass nochmal ne Runde poppen. Wir brauchen mehr Punkte im Bonusheft“ nicht mehr.
Sex auf Rezept?
„Sex macht Kinder, Spaß und gesund“ könnte der Slogan der nächsten Ausgabe des Kundenmagazins Ihrer Krankenkasse lauten. „Sammeln Sie Bonuspunkte mit jedem Sexspiel, das länger als 30 Minuten dauert.“ Warum sollten Krankenkassen das nicht tun, wo sie auch Therapien mit Eigenurin, Eigenblut, Eigenentspannung oder Richtiggehen-, Richtigstehen- und Richtigatmen-Kurse finanzieren?
Sex dient der Gesundheit und dem Fortbestand der Landsleute. Warum also sollte, wer unter akutem Sexmangel leidet, nicht zum Arzt gehen und sich ein Rezept für therapeutischen Sex ausstellen lassen können? Die Entscheidung, ob auf dem rosa Zettel „kurativ“ oder „präventiv“ angekreuzt wird, kann den Menschen im weißen Kittel überlassen werden.
„Vorstoß“ wird genannt, wenn Politiker eine neue Idee haben. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen hatte am Sonntag einen gewagt und vorgeschlagen, dass Pflegebedürftige und Schwerkranke eine „Sexualassistenz“ verschrieben bekommen können sollten. Also Sex auf Rezept. Landen konnte sie damit allerdings nicht.
So wichtig wie die Mautgebühr
Ihr Parteikollege Boris Palmer fand die Idee was für „weltfremde Spinner“ und die meisten anderen Kommentatoren auch, weil, hahaha, OMG, das sei ja wohl totaler Bullshit in Zeiten, in denen wir nun wirklich ganz andere Probleme hätten.
Ja, haben wir vielleicht. Aber darüber zu reden, welche Rolle Sex heute spielt und ob er nicht vielleicht längst nur noch als Medikament wahrgenommen wird, ist nicht ganz unwichtig. Nichts gegen Sex als Medikament. Der Sex vieler Ehepaare ist wahrscheinlich weniger aufregend und weniger gesund als der mit einer „Sexualassistentin“.
Aber der Horror ist das sich immer mehr sterilisierende Leben, das immer prüder werdende Leben, in dem Sex auf einer Stufe mit Aspirin steht. Sex ist nicht die Lösung. Aber mindestens ein so wichtiges Problem wie die Mautgebühr.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Absturz der Kryptowährung $LIBRA
Argentiniens Präsident Milei lässt Kryptowährung crashen
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?