Kolumne Schlagloch: Iran im Smog
Propaganda hat einen Krieg mit Iran denkbar gemacht. Die Grundlage dafür bildet das überholte Freund-Feind-Denken des Westens.
E rinnert sich noch jemand an die Hoffnungen nach dem Abschluss des Nuklearvertrags, an den Jubel auf Teherans Straßen? Die Szenen wirken heute wie versunken hinter einem Gebirge von Zeit. Eine solche Gedächtnisschwäche ist kein Zufall, sondern eine wenig beachtete Folge von Kriegspropaganda. Die Fantasie wird verstümmelt, genauer: das geistige Vermögen, eine friedlichere Welt für machbar zu halten, für realistisch, für einforderbar.
Es ist gleichfalls eine Folge von Propaganda, wenn im öffentlichen Reden Ursache und Wirkung nicht mehr unterschieden werden. Aus dem Bruch des Nuklearvertrags durch die USA wurde eine „Iran-Krise“, aus der einseitigen Verletzung von Völkerrecht „Spannungen“, aus einer asymmetrischen Konstellation erwuchs eine vermeintlich symmetrische Kriegsgefahr. Nicht, dass da ein Mastermind am Werk wäre. Die Propaganda ähnelt eher Smog, der allmählich die Öffentlichkeit einhüllt, auch dort, wo seine primären Verursacher, die Washingtoner Kriegshetzer, weit entfernt scheinen.
Langsam, fast unmerklich haben sich Parameter verschoben, wurde der Angriffskrieg auf Iran denkbar – sofern Teheran ihn nicht durch ein „Einlenken“ abwende. Wie entstehen solche Orwell’schen Begriffsumdeutungen? In den Schwaden des Smogs lassen sich wenige Täter und viele Mitläufer erkennen, naive Gehilfen am Fließband der Nachrichtenproduktion, die aus Mangel an Sachkenntnis zu Opportunismus und Alarmismus neigen und den Brandgeruch riechen, bevor etwas brennt.
Zum Beispiel: Seit Anfang Mai sanktioniert die US-Regierung auch Firmen von Drittstaaten, die sich an der Ausfuhr von angereichertem Uran und schwerem Wasser aus Iran beteiligten, also an genau jenem Abtransport von Nuklearmaterial, den der Atomvertrag vorschreibt, damit Iran nicht bombenfähig wird. Trump zwang Teheran mit diesem Schritt in eine absehbare eigene Vertragsverletzung hinein, was indes kaum ein Medium korrekt berichtete. Irgendwie wird Iran schon selbst schuld sein.
Das Versagen von Europas Öffentlichkeit
Wenn man sich heute fragt, warum Europa so beschämend wenig getan hat, um seinen Worten Taten folgen zu lassen und entgegen dem US-Druck wenigstens einen gewissen Handel mit Iran aufrechtzuerhalten, so findet sich eine Antwort hier: Das Versagen Europas ist auch das Versagen seiner Öffentlichkeit.
Gewiss, in den USA ist der Smog toxischer. Prominente US-IranerInnen aus Politik und Wissenschaft, die Kriegspläne ablehnen, wurden Opfer inszenierter Rufmordkampagnen, während gefakte Produkte von Regime-change-Trollen in außenpolitischen Magazinen auftauchten. Ein alter Hass auf Iran reicht bis tief in die Reihen der Demokraten.
ist freie Autorin und wurde mit ihren Reisereportagen aus muslimischen Ländern bekannt. Im März 2017 erschien von ihr: „Der neue Iran. Eine Gesellschaft tritt aus dem Schatten“ (dtv).
Um zu verstehen, welche Reflexe am Werk sind, hilft es, den Umgang mit Iran und Saudi-Arabien zu vergleichen. Man stelle sich vor, der Mord an Khashoggi wäre in einem iranischen Konsulat geschehen und Mohammed bin Salman wäre Iraner. Als Saudi aber ist der Kronprinz zwar ein bastard, but our bastard. Die sogenannte Iran-Krise zeigt, wie wirksam die abgestandenen Ideologien von Freund und Feind, von Wir-und-sie noch immer sind.
In die Ära um 1979, als die Islamische Republik gegründet wurde, fällt das westliche Hochpäppeln der Taliban, damals gegen die Sowjets in Afghanistan. Über die Lehren daraus wurden zahllose Studien verfasst, während die Taliban dieser Tage am Verhandlungstisch ihren Triumph über die amerikanischen Streitkräfte genießen. Was sich indes nicht geändert hat: Mit der unsympathischsten Variante von Islam, die sich in Saudi-Arabien nicht minder präsentiert als bei den Taliban, wird immer noch kooperiert, wenn es den eigenen Interessen dient, den geschäftlichen wie den strategischen.
Humanitäre Katastrophe
Jüngst gab Riad der Junta im Sudan grünes Licht für ein Massaker an der unbewaffneten Opposition. Im Jemen haben vier Jahre Krieg und Kriegsverbrechen unter saudischer Führung zu einer kaum vorstellbaren humanitären Katastrophe geführt. Wie seltsam still es um all das ist. Nein, es soll hier nicht aufgerechnet werden – in diesem Juni vor zehn Jahren hat Iran die Grüne Demokratiebewegung niedergeschlagen; auch dies sei unvergessen. Aber Saudi-Arabien für alle Vergehen mildernde Umstände einzuräumen, damit Riad our bastard bleibt, das nährt das Kriegsszenario gegen Iran.
Vielleicht muss man noch tiefer bohren, um die Ideologie des Wir-und-sie zu verstehen. Iran hat seine nationale Souveränität errungen, indem es sich westlichen Interessen entzog. Saudi-Arabien, wo die Moderne erst spät in Gestalt von US-Ölfirmen eintraf, hat sich hingegen in enger Allianz mit den Amerikanern zu jener Regionalmacht entwickelt, die es heute ist. Beide Länder stehen für höchst unterschiedliche Entwicklungspfade.
Und der Islamischen Republik wird nicht verziehen, dass sie nach vier Jahrzehnten Anfeindung so stark ist. Zeigt ihr Beispiel doch: Staaten können in Konfrontation zum Westen durchaus überleben. Mehr noch: Seit jener 444-tägigen Geiselhaft von US-Diplomaten, die 1979 begann, wirkt Teheran wie ein Spiegel für die Erosion amerikanischer Macht. Trump ließ den jüngsten Wirtschaftskrieg an einem 4. November beginnen, historisches Datum der Geiselnahme, doch die Symbolik spielt gegen ihn. Iran wird, soweit absehbar, nicht kollabieren. Obwohl nun selbst ein Sirup gegen Magenverstimmungen von Babys nicht mehr erhältlich ist.
Der Zynismus, der seit einem Jahrhundert die Nahost-Politik des Westens kennzeichnet, ist bei Trump abgeschmolzen zu einer persönlichen Eigenschaft, so haltlos wie maliziös. Dieser Zynismus hat in der Teheraner Führung einen adäquaten Gegner, denn dort ist wiederum die Kaltblütigkeit zur Mentalität geronnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge