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Kolumne SchlaglochMehr Haltung, bitte

Kolumne
von Jagoda Marinić

Teile der Politik ermächtigen sich gerade des Nachrichtenwesens. Und viele Journalisten schauen einfach nur lethargisch zu.

Aufgabe der Medien wäre es, politische Vertreter mit Ideen aus der Zivilgesellschaft zu konfrontieren Foto: dpa

E s ist Zeit, mal wieder ein paar Gedanken auf die Lage der vierten Gewalt im Land zu verwenden. Was wurde sie nicht malträtiert, seit Pegida durch die Straßen lief und Medienvertreter- und Institutionen sich aufs Übelste beschimpfen ließen. Die vierte Gewalt setzte sich nicht stolz zur Wehr, sie gab klein bei. Als Selbstkritik lässt sich diese Selbstbeugung nicht mehr beschönigen. Warum sich so viele durch den Vorwurf „Lügenpresse“ vor sich hertreiben ließen, bleibt das Geheimnis der verantwortlichen Medienmacher.

Die nächste Stufe, auf der sich die Medien jetzt hörnen lassen: Die Politik selbst ermächtigt sich des Nachrichtenwesens und möchte mit eigenen Newsrooms die Öffentlichkeit informieren. Das althergebrachte Pressebüro tut es natürlich nicht. Das Komische daran, wenn es nicht für die Demokratie so tragisch wäre: Auf die Idee kamen sie wahrscheinlich durch das Agieren der Medien selbst. Nachrichtensender arbeiten schon länger so, als wären sie Lautsprecher der Politiker. ­Geschliffene Phrasen und Statements der Politiker werden wie politische Berichterstattung gehandhabt. Polittalks inszenieren bevorzugt Duelle zwischen Parteipolitikern, statt die Konfrontation der Politik mit Experten oder Vertretern aus der Zivilgesellschaft, Kunst und Kultur zu ermöglichen.

Klar denken Parteien jetzt, das mit den Nachrichten können wir auch selbst. Da kann man sich die Live-Schalte zu Unzeiten sparen, aber auch den Kauf von Medienanstalten, wie Berlusconi das noch musste. Man baut einfach die Gegenöffentlichkeit über soziale Medien und tauft den Pressereferenten zum Chef vom Dienst des Newsrooms. Vielleicht bietet Netflix ja bald den Parteien eigene Kanäle an.

Journalisten berichten so lethargisch über diese neuen Partei-Newsrooms, als ginge es hier nicht um einen Angriff auf die vierte Gewalt. Man brauche schließlich eine Strategie in den sozialen Medien, diese Plattform dürfe man nicht den Rechten überlassen. Statt das Geschehen auf den Plattformen stärker gesetzlich zu regeln, werben sie Medienschaffende mit digitalen Kompetenzen ab. Der schwache Stand der Medien zeigt sich auch daran, dass unter den aktuellen Arbeitsbedingungen die Guten kaum zu halten sind.

Zu wenig Analysen von Autoren ohne Machtinteresse

Die zu Newsrooms aufgeblasenen Pressebüros sind eine Bloßstellung der Medien und ihrer selbst verschuldeten Schwäche. Die CDU spielte das Problem mit dem Konzept „Newsrooms“ probeweise durch: Beim Werkstattgespräch zum Thema Migration im Konrad-Adenauer-Haus waren Journalisten vor Ort ausgeladen. Sie durften über Live-Streams über die Ereignisse berichten. Und das beim Thema Migration, das laut mancher Panikmacher aufgrund der Ereignisse 2015 die große Konfliktschneise für dieses Land sein soll.

Migration, das Thema, bei dem sich manche Medien selbst Vorwürfe machen, zu viel Verständnis für Humanität und Menschenrechte gezeigt zu haben. Als wäre es nicht Aufgabe der Medien, die Umsetzung von Grundrechten zu überwachen und auf Missstände hinzuweisen. Stattdessen diskutierte man, ob Menschen ertrinken zu lassen, wenn keine Rettungsstrukturen vorhanden sind, überhaupt ein Missstand ist.

Das Mikro hinzuhalten reicht nicht. Journalisten müssen mehr denn je die Komplexität der Realität vermitteln

Journalisten, zumal schlecht bezahlte, müssen sich fragen, welche Auswirkungen die Nähe zu potenziellen Arbeitgebern auf die Kritikfähigkeit des Journalismus hat. Unter Obama sprach man oft von Hofberichterstattung über das Weiße Haus, weil er die Journalisten in Washington um den Finger zu wickeln wusste. Auch deutschen Politikern fehlen die Kritiker, und es fehlen Medienformate, die sie mit dem breiten Meinungsspektrum konfrontieren. Es fehlen die prominent platzierten Analysen jener, die selbst kein Machtinteresse haben.

Gerade Migration ist ein Zukunftsthema. Die eine Million Menschen, die nach Deutschland kamen, waren eine Schockkonfrontation mit der Lage der Welt. Jetzt wird seitens der Politik oft so getan, als ginge es vor allem darum, die alte Verdrängung wiederherzustellen, den Europäer in seinem Privilegiertsein also nicht zu stören. Motto: Solange Migranten vor den Außengrenzen bleiben, ist das kein europäisches Problem.

Guter Journalismus verhindert sich durch Haltungslosigkeit

Unterlassung als Politik. Es wäre Aufgabe der Medien, die politischen Vertreter mit Ideen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Kunst zu konfrontieren. Doch sie berichten vor allem über die politische Ideenlosigkeit der Verantwortlichen und fördern deren Selbstinszenierung.

Bild: imago/Jürgen Heinrich
Jagoda Marinić

ist Autorin und Kolumnistin. Bei S. Fischer erschien soeben ihr Buch SHEROES – Neue Held*innen braucht das Land. Sie twittert zum Zeitgeschehen unter @jagodamarinic.

Guter Journalismus verhindert sich derzeit durch Haltungslosigkeit selbst. Faktenbasierter Journalismus bedeutet keineswegs, ein Journalist habe zu den Geschehnissen keine Haltung. Als CNN den Menschenhandel in Libyen aufdeckte, galt es nicht nur, vom Sklavenhandel im 21. Jahrhundert zu berichten. Es galt auch, den Zu­schauern zu erklären, welche Gesetze gebrochen werden und wer zu wenig tat, um all das zu verhindern. Aufgabe des Journalismus ist es eben nicht, nur ein Negativbild vor Ort zu erstellen, das man der Öffentlichkeit zu Hause eins zu eins zeigen kann.

Auf der Basis demokratischer Grundwerte muss jeder Journalist einordnen. Kritisch hinterfragen. Das heißt nicht, das Mikro hinzuhalten und vor allem die Öffentlichkeit der Verantwortlichen zu vergrößern. Es heißt, die Komplexität der Realität zu vermitteln, damit eine demokratische Öffentlichkeit sich ihre Meinung bilden kann.

Aus Angst vor sogenanntem Haltungsjournalismus lassen zahlreiche Medienschaffende derzeit zu, dass ihre Arbeit ausgehöhlt wird. Wer Newsrooms für Pressebüros hält, hat Journalismus nicht verstanden. Oder er blieb so lange verschont von kritischem Journalismus, dass er druckreife, parteiintern abgestimmte Statements für Nachrichten hält. Wenn zu viele so tun, als sei Berichterstattung ohne Haltung möglich, entmachtet sich die vierte Gewalt selbst.

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6 Kommentare

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  • Tja und wer machte sich als einzige Sendung über die gefakten journalisitschen Formate der Parteien her? Die "Heute Show", das sagt alles über den Zustand des Journalismus bei uns.....

  • @ Redaktion



    "Teile der Politik ermächtigen sich gerade des Nachrichtenwesens"

    vielleicht eher 'bemächtigen'?

  • Die Medien in Deutschland sitzen inzwischen in ihren selbst geschaffenen Blasen fest und glauben, der durchschnittliche Leser wird es nicht bemerken!

    Seit Jahren lese ich sehr viele Nachrichten, in so ziemlich allen verfügbaren Online Portalen, die ich finden kann und schreibe auch Kommentare zu den Artikel Kolumnen und Kommentaren, die mich interessieren, aufregen, oder berühren!

    Vermehrt muss man aber feststellen, dass die Medienmacher Kommentare, die ihnen nicht in ihre Mainstream Einstellung passen, einfach nicht veröffentlichen, zumeist mit dem Verweis auf deren Netiquette, obwohl man nur darauf hinweist, dass es Fehler bei der Recherche oder es sich um eine Meinung eines Journalisten handelt, welche jeder tatsächlichen Grundlage entbehrt!

    So etwas passiert häufiger als man denken würde, denn hier wird über diesen Weg versucht, die Meinung der Leser in eine Richtung zu zerren!

    Das merkt natürlich auch die Politik, welche sich dann daran orientiert, diese Möglichkeiten in eigener Regie zu lenken und Meinungen zu erzeugen, welche ihrem Anliegen nützt!

    Es wird immer schwieriger, selbst eine Meinung als Kommentator zu posten, wenn sie dem Medienunternehmen nicht in den Kram passt!



    Auf Grund dessen muss der Journalist auch verstärkt damit rechnen, dass seine Berichterstattung auf seinen Wahrheitsgehalt verstärkt überprüft wird, auch wenn dabei oft durch falsches Verständnis eine andere Sichtweise unterstellt wird, wie vom Journalisten vorgesehen war!



    Häufig werden so Berichte dann in der Kategorie Fake News platziert!

    Auch die häufig überzogene Wortwahl einiger Journalisten trägt dazu bei, dass diverse Menschen nicht mehr in der Lage sind, dem zu Folgen, über was dort berichtet werden sollte, so dass von vornherein eine Ablehnung erfolgt!

    Wichtig wäre, dass die Medienschaffenden sich wieder der Gruppe annähern, für die sie berichten will, die breite Masse der Öffentlichkeit!!!

    • @urbuerger:

      Besonders ekelhaft ist es, dem für doof gehaltenen Medienkonsumenten ständig Adjektive unter die Nase zu reiben wie z.B. die "rechtspopulistische" Partei XY in Italien oder die "linkspopulistische" Partei YZ usw. usw.



      Nur die Mainstreamparteien werden damit verschont.

  • XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX Ich finde, der Journalismus ist -sorry- grottenschlecht geworden. Früher wart ihr auf meiner Seite und heute seid ihr meistens auf der Regierungsseite. Viele Berichte hören sich an, als wären Sie Bewerbungsschreiben, in der Regierungsmaschine mitfliegen zu dürfen. Früher hat z. Bsp. Monitor was rausgefunden und die Presse nannte das "große Enthüllung". Heute endteckt Irgendeiner eine Schweinere und Monitor schreit "Verschwörungstheoretiker". Ich mag´s nicht mehr gucken.

  • Eine lesenswerte Kolumne. Schon wegen ihrer Widersprüchlichkeit.

    Die zentralen Sätze hieraus: "Nachrichtensender arbeiten schon länger so, als wären sie Lautsprecher der Politiker. ­Geschliffene Phrasen und Statements der Politiker werden wie politische Berichterstattung gehandhabt. " Das kann man aber auch auf andere Medien übertragen, die vornehmlich bemüht sind, nicht durch klassische journalistische Tugenden aufzufallen. Stattdessen Erziehungs- Belehrungs- oder Propagandajournalismus, wo Meinungen und Informationen als Cocktail serviert werden.



    Wer hätte gedacht, dass z.B. die taz eines Tages so eine Art Lehrwerkstatt für den Springer Verlag wird oder für die Deutsche Welle oder Dumont? Von der taz zur WELT. Wen interessiert das noch, wenn sowieso kaum noch journalistische Qualität gefragt ist?



    Die Ulrike Hermann scheinen auszusterben.