piwik no script img

Kolumne SchlaglochDiktatur der Niedlichkeit

Kolumne
von Georg Seeßlen

In Teilen Asiens gibt es kein Entrinnen vor Hello Kitty & Co. Kindchen, Tierchen und andere Kreaturen verniedlichen Konsum und Kapitalismus.

Hello Kitty und kein Entrinnen, dabei gibt es nicht mal eine Comic-Serie oder Animationsfilm Foto: reuters

V orgestern habe ich auf dem Platz des Himmlischen Friedens Frisbee gespielt. Mit einem Hello-Kitty-Frisbee.

Natürlich habe ich vorgestern nicht mit einem Hello-Kitty-Frisbee auf dem Platz des Himmlischen Friedens gespielt. Das wäre schon aus verkehrstechnischen und polizeilichen Gründen unmöglich. Und ich hatte zuletzt auch gar keinen Urlaub, in dem ich hätte nach China fahren können. Das mit dem Hello-Kitty-Frisbee am Tian’anmen-Platz hab ich nur geträumt.

Vielleicht nach etwas zu viel Gong Bao und Tsin Tao, auf jeden Fall nach einer Überdosis Niedlichkeit in Medien, Werbung, Öffentlichkeit und Kunst. Und nach der Erzählung von einem Hello-Kitty-Hotel, in dem alles, von der Bettwäsche bis zum Frühstücksgeschirr, mit dieser verdammten Katze dekoriert ist, zu der es nicht einmal eine richtige Comic-Serie oder eine Animationsserie gibt. Hier also, in der Alltagskultur des mehr oder weniger Fernen Ostens, fällt mir auf, vielleicht wegen der penetranten Allgegenwärtigkeit und der Nichtverschämtheit, woran ich mich daheim schon längst gewöhnt habe: das Wuchern der Bilder von niedlichen Tierchen, Roboterchen, Kindchen und Männlein und Weiblein, großäugig und grinsend, (Kě’ài) auf Chinesisch, (Kawei) auf Japanisch, (gwiyeoun) auf Koreanisch: keine Anleitung, kein Hinweis, keine Werbung, kein Gebrauchsgegenstand ohne irgendwas quietschbunt Niedliches, eine Ikonografie der gnadenlosen und allgegenwärtigen Infantilisierung, die so massiv daherkommt, dass man ihr ohne Weiteres einen gewissen Zwangscharakter zuschreiben will.

Es ist ein Zwang von oben ebenso wie ein innerer Zwang, um genau zu sein. Der öffentliche Raum ist bis in den allerletzten Winkel besetzt von niedlichen Zeichen und Zeichen der Niedlichkeit. Es gibt kein Entrinnen nirgends.

Georg Seeßlen

geboren 1948 in München, ist freier Journalist und Autor. Im April veröffentliche er zusammen mit Markus Metz „Der Rechtsruck. Skizzen zu einer Theorie des politischen Kulturwandels“ bei Bertz + Fischer, Berlin

Bei uns entspricht das einer Inflation von Kätzchen-Videos und anderer Bilder von niedlichen Tieren im Internet und speziell in den sozialen Medien, es entspricht den süßen kleinen Monsterlein in der Pharma-Werbung für Senioren, niedlichen Erklär-Helfern und anderen Übersprüngen aus der Kinderkultur (die im Gegenzug von Obszönitäten und Angstbildern aus der Erwachsenenwelt kolonialisiert wird). Influencer werden zu Agenten der Niedlichkeit und Niedlichkeit zum Medium des Influence.

Woher kommt dieser Hang und Zwang zur Niedlichkeit als kulturellem und, wenn man genau hinsieht, auch zum politischen Code? Gewiss, da ist diese durchaus ja nachvollziehbare Sehnsucht, nach beinharter Arbeit und Konkurrenz von ziemlich früh an, zurückzukehren in einen semantischen Raum ewiger und glückseliger Kindheit – oder doch Kindlichkeit, denn kaum etwas ist so dazu angetan, die Kindheit zu rauben, als die fetischistische Kawei-Kultur, die aus Kindern schon monströse Abbildungen der erträumten Niedlichkeit macht.

Da ist außerdem auch noch ein einfacher Vorgang von Projektion: Wo man nichts „Ernsthaftes“ sagen darf über die Welt, in der man lebt, da ist Niedlichkeit der naheliegende Ausweg aus der Misere. Dieser Zwang zur Verblendung mag durch politische Zensur entstehen, aber ebenso durch ein allgemeines Dispositiv, den „Ernst der Lage“ nicht auch noch in die öffentliche Zeichensprache zu transportieren.

Verdrängte sexuelle Energie wirft ihre Blasen. Aus der Infantilisierung der Ästhetik erwächst kollektive Pädophilie

Und schließlich ist das Niedliche dazu angetan, sich am schnellsten und einfachsten viral zu verbreiten, die allergrößten Widersprüche zu überwinden und Gräben zuzuschütten, eine umfassende Allgemeinheit zu erzeugen, keinen Unwillen bei niemandem zu erregen. Das Niedliche ist die postideologische Form von Massen-Ornamentik; Unterwerfung scheint völlig akzeptabel, wenn sie nur in der Erscheinung strahlender Kinder und imaginärer Begleiter daherkommt. Lasset die Kinder Fähnchen schwenken, lasset die Kinder Kreditkarten in den Kaufhäusern nutzen, lasset die Kinder über ihre Smartphones konsumieren. Auf den Heroismus der Politik folgt die Niedlichkeit des Kapitals. Im Niedlichen drückt sich der Kapitalismus ebenso perfekt aus, wie er sich selbst verbirgt.

Erst dem zweiten oder dritten Blick offenbart sich schließlich, wie vergiftet die Symbolschleudern der unentrinnbaren Niedlichkeit sind. Hier zeigt sich, wie die im Niedlichen nur scheinbar verdrängte sexuelle und sadistische Energie ihre Blasen wirft und aus der Infantilisierung der Ästhetik eine Art von kollektiver Pädophilie erwächst. Dort ist das Niedliche gleichgesetzt mit dem Konformen und Kontrollierten, als wäre ein Verstoß gegen das Niedlichkeitsgebot in etwa so gefährlich wie eine Abweichung von politischen oder religiösen Dogmen. Und wieder woanders ist die Niedlichkeit zum Synonym für kapitalistische Technologie geworden: Waffen, Maschinen, Überwachungen, Gebote und Verbote, Gefahren, ökologische und kulturelle Sünden – alles halb so schlimm, wenn es im Zeichen der allgemeinen Verniedlichung steht.

Das Niedliche beerbt schließlich das Aggressive und das Sexuelle als wirksamstes Mittel der Aufmerksamkeitsökonomie. Es ist oft ganz buchstäblich etwas Schreiendes darin, etwas, das danach verlangt, gefüttert und gestreichelt zu werden. Das Niedliche, sei’s im Spielgefährten des einsamen Kindes, sei’s als Erscheinung des social bot in der Pflege einsamer Seniorinnen und Senioren, sei’s als Anleitung zum Knopfdrücken ohne Bewusstsein für die Folgen oder als Gegenstand der Alltagsverrichtungen, die man mehr zum Schein als zur Praxis vornimmt, ersetzt als Gespenst urtümlicher Affekte und Begierden und als Auslöser urtümlicher Zuwendungsrituale, was einst Gesellschaft und Nachbarschaft war.

Und so wird das Niedliche Ausdruck der Einsamkeit. Und sehr, sehr viel Müll macht die Kultur des Niedlichen auch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ist ja nun auch nicht so neu.

  • Vor dem Abflug in die philosophisch-soziologischen Höhen hätte man die Basics checken können. z.B. dass der korrekte japanische Ausdruck kawaii ist, nicht kawei (auch nicht in phonetischer Schreibweise).

    • @TheBox:

      egal …anschließe mich. •