Urteil in Schweden: Ein Manga wird zum Kinderporno
Auch Comics können in Schweden als Kinderpornografie gelten. Eine erste Verurteilung hat eine heftige Debatte über die Grenzen von Kunst ausgelöst.
STOCKHOLM taz | Eine heftige Debatte hat in Schweden ein Urteil wegen Besitz von Kinderpornografie ausgelöst. Zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe und einer Geldbuße wurde vom Amtsgericht in Uppsala einer der bekanntesten schwedischen Mangaexperten und Übersetzer dieser japanischen Serien verurteilt.
Die Polizei hatte auf seinem Rechner 51 Zeichnungen aus Comiczeitschriften gefunden, die als „kinderpornografisch“ eingestuft wurden - unter drei Millionen nicht „suspekten“ Zeichnungen. Die Erklärung des Übersetzers, er benötige das Material aus Japan für seine Arbeit, hatte das Gericht nicht anerkannt.
Der Verurteilte selbst, der u.a. an schwedischen Universitäten in Manga-Kunst unterrichtet, gibt in seiner bislang einzigen öffentlichen Stellungnahme in einem IT-Blog an, dass es nicht 51, sondern die Dupletten abgerechnet, rund 30 Zeichnungen gewesen wären. In ihrer Mehrheit stellten sie „nackte Körper" dar und "nichts, was man mit Sex verbindet“. Einige wenige würden einen sexuellen Akt darstellen. Doch die meisten wären seiner Meinung nach zulässig, würde es sich um Fotografien handeln.
In Japan sind Comics und Zeichentrickfilme, die Sexszenen mit offensichtlich Minderjährigen zeigen, legal. Erst im Juni hatte ein Ausschuss des Parlaments einen Versuch der Stadtregierung von Tokyo abgelehnt, den Verkauf von Manga und Anime mit solchem Inhalt einzuschränken.
In Schweden ist der Besitz von Kinderpornografie seit 1999 kriminalisiert. Anfang Juli wurde das Gesetz noch einmal verschärfft: Jetzt ist auch das bloße Anschauen entsprechender Bilder strafbar. Zeichnungen und Gemälde können aufgrund einer sehr weitgehenden Definition eines Gesetzes von 1980 ebenfalls den Tatbestand einer kinderpornografischen Darstellung erfüllen. Wenn nicht der Kunstvorbehalt greift.
Die rechtliche Lage ist also ziemlich eindeutig. Der schwedische Gesetzgeber wollte demzufolge nicht nur das konkret abgebildete Kind, sondern Kinder generell schützen. Und solche Comic-Zeichnungen kränken Kinder „auf einem generellen Niveau“, so die Urteilsbegründung.
„Das widerspricht jeglicher gesunder Vernunft“, meint Leif Silbersky, der Anwalt des Verurteilten, der mittlerweile Berufung gegen das Urteil eingelegt hat: „Das sind doch nur Zeichnungen. Kein Kind ist da zu Schaden gekommen.“
Die meisten bislang veröffentlichten Medienkommentare sehen das so ähnlich. Weder das Kind noch der Täter existierten in der Realität, meint die Tageszeitung Expressen: „Wie unbehaglich und widerlich solche fiktiven Darstellungen auch sein mögen und was immer man über japanische Pornografie mit gezeichneten Kindern denken mag, es gibt ja faktisch keine Opfer.“ Auch wenn man mit dem Wort „Moralpanik“ nicht voreilig umgehen sollte, hier sei es wohl angebracht.
Für die Vermutung, Konsumenten solcher virtueller Darstellungen würden möglicherweise Gefahr laufen, durch einschlägige Bilder eher zu Tätern zu werden, gebe es in der psychologischen Forschung keine Anhaltspunkte, erklärt die IT-Forscherin Marie Eneman, Mitarbeiterin an einem Projekt über IT und Kinderpornografie gegenüber der Stockholmer Dagens Nyheter: „Wir müssen mal überlegen, was wir da eigentlich tun. Wollen wir jetzt anfangen, Gedanken zu bestrafen?“
Ein Kommentator in Aftonbladet zitiert die Webseite der schwedischen Polizei, auf der es heißt: „Gezeichnete und animierte Bilder oder Filme, die Kinder in pornografischem Zusammenhang zeigen, sind als Kinderpornografie anzusehen. Das Verbot der Schilderung oder des Besitzes gilt nicht für den, der ein solches Bild malt oder zeichnet, es aber nicht für andere zugänglich macht.“ Und kommentiert: „Diese bizarre Logik verweist auf das dunkle Motiv hinter dem Gesetz. Es geht nicht um den Schutz von Kindern (...), sondern um die Rechtfertigung der perversen Ausbreitung der Überwachungsgesellschaft.“
Das schwedische „Verbot diesen Typs geschmachloser/ekelhafter/entarteter Kunst“ werde bald in der ganzen EU gelten, wenn es nach EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström gehe, warnt Christian Engström, Europaparlamentarier der schwedischen Piratenpartei: Der von „Censilia“ vorgelegte Vorschlag für eine Zensur von Internetseiten „mit realistischen Bildern von Kindern involviert in sexuelle Handlungen“ könne auch für Mangazeichnungen gelten. „Nun können wir gerne darüber diskutieren, ob es gut oder schlecht ist, gewisse Typen von Kunst zu verbieten“, meint Engström: „Aber für eine ehrliche Debatte müssen die Verbotsbefürworter zumindest erst einmal anerkennen, dass es hier um Kunst geht, nicht um Kinder.“ Und mittlerweile gibt es auch schon eine Facebook-Gruppe mit mehreren Hundert Mitgliedern: „Stop comics censorship in Sweden!“
Fredrik Strömberg, Vorsitzender des Comiczeitschriftenverbands „Seriefrämjandet“ fragt sich, wo denn die Grenze der Strafbarkeit verlaufen solle. Die Abbildung nackter Personen, die offensichtlich minderjährig sind, sei in Manga-Zeitschriften „gar nicht ungewöhnlich“: „Die werden von großen Verlagen herausgegeben und liegen in vielen schwedischen Bibliotheken aus.“ Richter Nils Pålbrant, der Verfasser des umstrittenen Urteils sieht das offenbar so ähnlich. Viele könnten ohne es zu wissen solche strafbaren Zeitschriften zu Hause im Regal stehen haben, meint er gegenüber der Zeitung Upsala Nya Tidning: „Ich würde deshalb auch eine höchstrichterliche Entscheidung begrüßen.“
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