Kolumne Press-Schlag: Des Fußballs gutes Unrecht
Der Videobeweis wird in einigen Ligen demnächst getestet. Ist der Fußball endlich auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit?
So viel ist los in der Fußballwelt gerade, dass man darüber beinahe die Revolutionen verschläft. Als solche jedenfalls kann man die schrittweise Einführung des Videobeweises im Fußball, die nun in Cardiff beschlossen wurde, bezeichnen.
Das International Football Association Board (IFAB) – ein illustrer Personenkreis, dem Repräsentanten von acht Fifa-Mitgliedsländern angehören und der für Regeländerungen im Fußball zuständig ist – hat darüber entschieden, in circa einem halben Dutzend Ligen spätestens von der übernächsten Saison an eine zweijährige Testphase des Videobeweises einzuleiten.
Die Bundesliga soll eine dieser Ligen sein, so die Deutsche Fußball-Liga (DFL); vielleicht schon von der Saison 2016/17 an. DFL-Direktor Ansgar Schwenken ist genauso zufrieden wie der neue Fifa-Chef Gianni Infantino, der von einer „historischen Entscheidung für den Fußball“ sprach.
36 im Stadion installierte Kameras sollen den Schiedsrichtern helfen, um über spielentscheidende Situationen zu richten. Und zwar nur über diese: Bei strittigen Entscheidungen, die Tore, Strafstöße, Rote Karten und die Verwechslung von Spielern betreffen, soll das Schiedsrichterteam die bewegten Bilder zu Rate ziehen können.
Gebt Darmstadt den Elfer!
Von den Mannschaften soll in der Bundesliga keine Überprüfung angefordert werden können. In anderen nationalen Ligen – insgesamt haben sich zwölf bei der Fifa beworben – erwägt man hingegen „Challenges“ wie im Tennis. Wie diese Neuerung sich genau auswirken wird, darüber lässt sich noch nichts sagen. Was man jedoch sagen kann: Der Videobeweis wird wohl in irgendeiner Form kommen.
Ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit in den Profiligen? Na ja. Im Fußball ist Gerechtigkeit ein dehnbarer Begriff. Wenn Darmstadt 98 aufopferungsvoll kämpft und in der letzten Spielminute durch einen unberechtigten Elfmeter gegen die Bayern gewinnt, so sieht darin so mancher: Gerechtigkeit. Gerechte Ungerechtigkeit.
Im Profifußball ist Gerechtigkeit ohnehin eine Illusion. Sobald es um ökonomische Vor- und Nachteile geht, wird der Begriff zur Farce. Zwischen Vereinen wie RB Leipzig, Wolfsburg oder Leverkusen und anderen Fußballstandorten bestand von vornherein ein Ungleichgewicht, eine Ungerechtigkeit. Viele Fans empfinden es als segensreich, dass Faktoren wie Platzverhältnisse, Tatsachenentscheidungen, verletzte Spieler, Fans und Zufälle über den Spielausgang mitbestimmen. Wie eine List der Vernunft, die gewirkt hat, als 1863 erstmals Fußballregeln festgelegt wurden.
Gilt also das alte Argument, dementsprechend Fußball seinem Wesen nach ungerecht ist und gefälligst auch bleiben soll? Ja. Und doch auch nein. Denn selbst das schärfste TV-Bild, das zukünftig entscheiden soll, wird recht schnell zu einem Fall führen, der zwei Meinungen evoziert – so viel wissen wir. Und dann? Entscheidet am Ende doch wieder eine Person. Die „Ungerechtigkeit“ wird bleiben.
Akzeptiert die schiedsrichterische Allmacht!
Im Fall Roger Schmidt vs. Felix Zwayer wurde zuletzt deutlich, dass der Respekt gegenüber der Person des Schiedsrichters sinkt. Kommt der Videobeweis, wird dies kaum besser werden, der Schiedsrichter wird wohl eher als Erfüllungsgehilfe der Technik gesehen. Dabei wird jedem Jugendspieler beigebracht, dass der Schiedsrichter entscheidet, niemand sonst. Das zu akzeptieren, ist Teil des Spiels.
Der Videobeweis könnte gar das Ende der turbulenten Partie, des Schlagabtauschs bedeuten. Die faszinierendsten Matches sind die, in denen Tore, Strafstoßsituationen, Platzverweise in einem kurzen Zeitraum kumulieren. Jede Unterbrechung ist da tödlich. Da können die Verantwortlichen wie DFL-Direktor Schwenken und Infantino noch so oft darauf verweisen, dass der Charakter des Spiels sich nicht ändern soll: Er wird es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!