Kolumne Press-Schlag: Deutschland sucht das Mittelmaß
Abstieg oder Champions League? Hopp oder top? In der Bundesliga gibt es keinen Ort mehr, wo man sorgen- und hoffnungsfrei vor sich hin vegetiert.
D as Mittelfeld ist ein finsterer Ort. Jedenfalls dann, wenn es um den Teil der Bundesligatabelle geht, wo die Vereine wohnen, die keinerlei Hoffnung mehr haben – also weder Meister werden noch die Chance haben, sich in spektakulären Spielen vor dem Abstieg retten zu können – sondern einfach nur da sind.
Diesen finsteren Tabellenort stellt man sich am besten wie ein öffentliches Gebäude einer mittelgroßen Kleinstadt vor, das vor vielen Jahrzehnten von einem nur mäßig begabten Architekten errichtet wurde, der vor Beginn seines Studiums noch davon geträumt hatte, eines Tages spektakuläre Fußballstadien zu bauen, in denen ein Serienmeister kicken würde. Und manchmal sogar die Fußballnationalmannschaft. Daraus wurde jedoch nichts.
Es gab bloß langweilige Jobs, wie den leidlich quadratischen Verwaltungsbau, voller langer, finsterer Flure, mit trittschallgedämpftem beigefarbenem Linoleumersatz ausgestattet, der auch mehr als ein Vierteljahrhundert nach seiner Verlegung noch aussieht und riecht wie am ersten Tag – abgesehen von den eingebrannten Zigarettenlöchern, die vom schon leicht tüddelig gewordenen Amtsleiter Y. hinterlassen worden waren – damals, als das Rauchen in öffentlichen Gebäuden noch erlaubt war.
Man betritt so ein Gebäude entweder oft, weil man dort arbeitet, oder nur im absoluten Notfall, weil man unbedingt muss – in jedem Fall aber ohne Begeisterung.
33 Punkte sind noch zu holen
So sieht es also aus, im Mittelfeld, jedenfalls grob. Bleibt die Frage, welche Vereine nun dort ihr trauriges Dasein fristen. Der notorische Im-Grunde-jetzt-schon-Meister Bayern München nicht, aber ein paar Klubs könnten noch theoretischer Überraschungstitelgewinner werden, weswegen die Suche nach dem Mediokren besser am Tabellenende bei den möglichen Absteigern begonnen wird.
Realistisch betrachtet sind das – 33 Punkte könnten schließlich noch bis Saisonende zusätzlich erreicht werden – verdammt viele. Ein paar blöde Verletzungen und einige empörende Schiedsrichterfehlentscheidungen, gepaart mit immerhin lustig anzusehendem Stürmerversagen vorm gegnerischen Tor, und schwupps läge beispielsweise Eintracht Frankfurt auf einem Abstiegsplatz. Oder Hannover. Oder der BVB.
Also zurück zur Tabellenspitze. Und zu den Teams, die vermutlich in der nächsten Saison an der Champions League teilnehmen und damit eigentlich auch kein Mittelfeld sein können.
Tja, das könnte nun sogar auch noch dieser Verein schaffen, dem offenbar alles zuzutrauen ist: die Eintracht aus Frankfurt. Was die Sache nicht einfacher macht, denn wie schon festgestellt, steht man dort praktisch schon mit einem halben Bein in der Zweiten Liga. Eine solide Lösung muss her: Das neue Mittelfeld sind die Plätze, die zur Teilnahme an der Europa League berechtigen: Man darf zwar durch Europa touren, aber eben nicht bei der glamourösen Champions League mitmachen. Langweilig eben. Ein Verwaltungsbau. Mit langen finsteren Fluren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen