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Kolumne MithulogieDystopia für Sexarbeiter*innen

So wie Sonnencreme nicht die Sonne schützt, schützt das Prostituiertenschutzgesetz nicht die Prostituierten. Wann endlich begreifen das alle?

Einen Hurenausweis gab es das letzte Mal im Nationalsozialismus Foto: Björn Kietzmann

W as wäre, wenn die Bundesregierung morgen entscheidet, dass Journalismus ein ganz gefährlicher Beruf ist und Journalist*innen sich registrieren lassen müssen. Um zu verhindern, dass Menschen dazu gezwungen werden, in Nachrichtenagenturen zu schwitzen, gibt es zusätzlich Zwangsberatungen. Besteht dort Verdacht, sie würden nicht freiwillig tippen, bekommen sie keinen J-Ausweis, den sie bei sich tragen müssen, wann immer sie sich einem Computer nähern, sonst machen sie sich strafbar – auch wenn sie nur einmal im Jahr etwas veröffentlichen, und auch wenn sie noch nie etwas veröffentlicht haben und das ihr erster Artikel ist.

Doch Mist. Das ist keine Dystopie. Sondern seit einem Jahr Realität für Sexarbeiter*innen in Deutschland. Ich komme gerade vom Hurenkongress in Berlin und kann gar nicht so viel trinken, wie ich heulen möchte.

Einen Hurenausweis gab es das letzte Mal im Nationalsozialismus. Das ist peinlich, bloß nicht den Politiker*innen, die die Überwachung einer ganzen Berufsgruppe fröhlich in Kauf nehmen und nach noch mehr Kontrollen – sprich Razzien – rufen, wenn sie dafür „nur eine einzige Frau vor der Zwangsprostitution retten“. Tun sie aber nicht, wie die Forschung bereits vor dem ProstSchutzG nachgewiesen hat: In den letzten 10 Jahren ist kein einziger Fall von Menschenhandel durch Kontrollen aufgeflogen. Der Verein Doña Carmen kommentiert: So wie Sonnencreme nicht die Sonne schützt, schützt das Prostituiertenschutzgesetz nicht die Prostituierten.

Bitte Redakteurin durch Prostituierte*r ersetzen

Doch zurück zur Anmeldung. Beamter: So, so, Sie sind also Redakteurin der taz? Wie viele Leute arbeiten denn für sie? Redakteurin: Wir haben einen Pool an Autor*innen. Beamter notiert „ist Arbeitgeberin von 50 bis 100 Angestellten“ und leitet das an die Steuerbehörde weiter, die daraufhin das Jahreseinkommen schätzt.

Bitte Redakteurin durch Prostituierte*r ersetzen. Kein Scherz. Sexarbeiter*innen werden bei der Anmeldung nicht selten gefragt, wie viele Kunden sie haben (kein *, da Behörden sich keine Kundinnen vorstellen können), und dann kommt der Brief vom Finanzamt. Solche Fragen sind nicht legal, aber sie werden gestellt. Ebenso wie Jobcenter gerne den Hurenausweis sehen wollen oder ihn direkt beim Gesundheitsamt anfordern. Dabei sind die Beratungen anonym, und Daten dürfen nur weitergeleitet werden, wenn Gefahr im Verzug ist, und damit ist nicht die Gefahr gemeint, Hartz IV­ auszahlen zu müssen.

Deshalb fordere ich: Wenn eine Berufsgruppe plötzlich durch ein Minenfeld von legalen Fallstricken navigieren muss, muss sie auch Anspruch auf legale Unterstützung haben. Und zwar von Jurist*innen, denen sie vertrauen. Und auf Kosten des Staates, der diese Anmeldung obligatorisch gemacht hat. Schließlich geht es hier um Schutz von und nicht vor Prostituierten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

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Mithu Sanyal
Autorin
Dr. Mithu M. Sanyal, Kulturwissenschaftlerin und Autorin Themen: Sex, Gender, Macht, (Post)Kolonialismus, Rassismus, Wissen schreibt eine regelmäßige Kolumne für die taz "Mithulogie" Bücher u.a. "Vulva" (Wagenbach), "Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens" (Nautilus.)
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8 Kommentare

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  • Prostitution ist immer Schwarzarbeit so wie Freibier immer umsonst ist. Wenn ein Kunde keine Rechnung will, dann zahlt auch der Handwerker keine Steuern ... geschätzt wird selten.

  • Verdient eine Prostituierte so wenig, dass sie aufstockend vom Jobcenter Alg 2 beziehen muss?

  • "Einen Hurenausweis gab es das letzte Mal im Nationalsozialismus"

    Ob es noch weitere Regelungen oder Entwicklungen, die zum Beispiel in Bezug auf die Minderheiten heute, nur oder auch in der Zeit des Nationalsozialismus vorkamen?

    Wenn ja, dann müssen Journalisten darüber schreiben, damit eine Diskussion entsteht und die Verantwortlichen davon erfahren und das ggf. ändern.

  • Wie im Artikel deutlich gemacht worden ist, ist es leider so, dass Prostitution eine große Einnahmequelle an Steuern ist und die Rechte vieler Minderheiten hierzulande werden oft verletzt und beispielsweise Datenschutz missachtet.

  • Haha, ein Malverbot gab es auch das letzte Mal im Nationalsozialismus (also, bevor es vor drei Wochen für 1 tag am Hambacher Wald verhängt wurde). Haha, ne, moment, heul heul heul

  • Sonnencreme sollte nie die Sonne schützen.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "J-Ausweis"

    Echt jetzt?

    Die Prostituierten sollen alle Rechte der Welt haben. Aber der Vergleich mit Journalisten hinkt doch etwas.

    Wieviele Journalisten sind Opfer von Menschenhandel? Wieviele haben Zuhälter?

  • So ein Stuss, wenn wir als Handwerksbetrieb keine Ausgangsrechnungen für die Kunden vorweisen könnten, würden unsere Einnahmen von Finanzamt auch geschätzt werden. Und da wird nicht vom minimalen Level ausgegangen,



    Prostitution ist ein legales Gewerbe? Kein Problem, aber dann mit den gleichen Pflichten.



    Was hier von der Autorin gefordert wird, ist nichts anderes als Sonderrechte, mit der umfassenden Möglichkeit der Steuerhinterziehung, der Hinterziehung der Sozialversicherungsbeiträge und dem Sozialleistungsbetrug.



    Ach ja, und die Rechtsberatung für unseren Betrieb müssen wir übrigens auch selber bezahlen.