Kolumne Macht: Päpste sind leider auch nur Menschen
Keine Neuigkeit, dass der Ex-Papst Bendedikt die 68er verabscheut. Nun versucht er ihnen den Missbrauch in der Kirche anzuhängen.
W enn man dem ehemaligen Papst Benedikt glauben möchte, dann muss das Bedürfnis nach Ruhe und Abgeschiedenheit irgendwann überwältigend gewesen sein. Schweigen wollte er nach seinem Amtsverzicht 2013, nichts als schweigen und beten. Und „für die Welt verborgen“ bleiben.
Der Wunsch zu schweigen besteht inzwischen offenbar nicht mehr. Päpste sind eben auch nur Menschen. Leider, muss man sagen angesichts dessen, was Benedikt jetzt in einem Aufsatz geschrieben hat. Wobei interessanter als dessen eigentlicher Inhalt die Frage ist, was der Text über ihn und sein Verhältnis zur Kirche verrät.
Manches spricht dafür, Rentnern mehr durchgehen zu lassen als anderen Leuten. Sie können keinen Schaden mehr anrichten, jedenfalls nicht in beruflicher Hinsicht. Sollen sie doch reden und schreiben, wenn es ihnen Freude macht. (Ja, das ist altersdiskrimierend formuliert – und in diesem besonderen Fall auch genau so gemeint.)
Das ehemalige Oberhaupt der katholischen Kirche hat sich mit einem derart hanebüchenen Unfug zu Wort gemeldet, dass die gebotene Nachsicht einem fast 92-jährigen gegenüber an ihre Grenzen stößt. Auch in den eigenen Reihen. Bei vielen katholischen Theologen herrscht helles Entsetzen.
„Völlige sexuelle Freiheit“
Zusammengefasst macht Joseph Ratzinger, so der bürgerliche Name von Benedikt XVI., die 68-er-Bewegung für den sexuellen Missbrauch mitverantwortlich, den katholische Würdenträger an Kindern begangen haben. Die Revolution von 1968 habe „völlige sexuelle Freiheit“ erkämpfen wollen, „die keine Normen mehr zuließ“, schreibt der ehemalige Papst. „Zu der Physiognomie der 68er-Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde.“ Nein. Das ist falsch. Der Behauptung würde zu viel Ehre erwiesen, wenn man sich die Mühe machte, sie im Detail zu widerlegen.
Zeitgleich habe sich „ein Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte“. Jetzt wird es interessant. Da bezeichnet also ein ehemaliger Papst die Kirche, der er sein Leben geweiht hat, als „wehrlos“ gegenüber einer linken Protestbewegung. Warum tut er das? Wenn er Recht hätte – er hat es nicht! – dann wäre das eine vollständige Bankrotterklärung seiner Institution. Weniger Selbstbewusstsein ist kaum vorstellbar. Eigentlich müssten doch gerade in Zeiten der Anfechtung die wahrhaft Gläubigen standhaft bleiben? Was sagt es über Joseph Ratzinger, dass er meint, junge katholische Theologen seien so leicht verführbar gewesen?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Zweierlei. Zum einen: Prägende Erfahrungen jüngerer Jahre verschwinden nicht einfach so, sie bleiben. Offenbar kehren sie im Alter sogar verstärkt zurück. Für Ratzinger scheinen die Erfolger der 68-er traumatisierend gewesen zu sein, warum auch immer. Ja, er verabscheute sie, das ist keine Neuigkeit. Sondern bekannt. Die zweite Erkenntnis, die sich aus seinem Text ergibt, ist wichtiger: Er traut der Kirche nichts zu, gar nichts. Keine Festigkeit im Glauben, keine Fähigkeit zum Widerstand. Und das sagt ein früherer Papst? Um die katholische Kirche muss es deutlich schlechter bestellt sein, als die Öffentlichkeit bisher ahnte.
Es ist kein Wunder, dass katholische Theologen entsetzt sind. „Zutiefst beunruhigend“, ein „beschämendes Schreiben“, eine „peinliche, falsche Erklärung“, so die Reaktionen. Er sei „sprachlos“, schreibt der Fundamentaltheologe Magnus Striet. Benedikt XVI. baue einen „Popanz“ auf. Wirksam wäre es gewesen, die Bischöfe anzuweisen, mit den jeweiligen Staatsanwaltschaften zusammen zu arbeiten. Dem ist nichts hinzuzufügen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid