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Kolumne Macht„Wir sind vollständig besiegt worden“

Bettina Gaus
Kolumne
von Bettina Gaus

Unterstützung, Unsicherheit, Opposition – all das drückt sich in den 97 Prozent für Al-Sisi aus. Seit 2013 regiert der vom Westen gestützte General in Ägypten.

Ägypten, Kairo: Nach der gelenkten Präsidentenwahl schwenken Menschen Flaggen Foto: dpa

N ächtliche Straßensperren in der Innenstadt von Kairo, aber die Stimmung ist entspannt. „Das hat nichts mit Politik zu tun“, sagt eine Freundin. „Die Tochter eines Big Shot hat heute geheiratet. Da werden Zufahrtstraßen freigehalten.“

Ob das stimmt? Keine Ahnung. Interessant ist weniger die Antwort auf diese Frage als die Tatsache, dass alle Anwesenden glauben, dass es zutrifft. Wenn die Staatsmacht derart private Interessen ohne Angst vor Protesten berücksichtigen kann, dann sitzt eine Regierung ziemlich fest im Sattel.

Für den erneut gewählten ägyptischen Präsidenten Abdel Fatah Al-Sisi gilt das. Mehr als 97 Prozent der Stimmen bei der jüngsten Wahl – das ist ein hübsches Resultat. Auch wenn sich die paar Dutzend Anhänger ein wenig verloren ausnehmen, die am Abend der Bekanntgabe des Ergebnisses auf dem riesigen Tahrir-Platz fahnenschwenkend feiern.

Straßensperren nicht erforderlich

Für die wurden Straßensperren nicht für erforderlich gehalten. Offenbar wussten die Sicherheitskräfte, womit sie zu rechnen hatten. Jedenfalls nicht mit Massenkundgebungen.

Was soll's. Ernstzunehmende Gegenkandidaten des Präsidenten hatten ihre Bewerbung zurückgezogen, weil sie um die eigene Sicherheit oder die ihrer Familien fürchteten. Und wer nicht zur Wahl ging, wurde mit Bußgeld bedroht. „Nicht durchsetzbar“, meint eine Bekannte lakonisch. Dennoch gaben Millionen Ägypterinnen und Ägypter ihre Stimmen dem Mann, der 2013 den – ja, nicht schön, schon klar: islamistischen, aber eben – demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi durch einen Militärputsch von der Macht vertrieben hatte.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Seither gelten die Anhänger von Mohammed Mursi als Terroristen. Der durch die demokratische Revolution gestürzte, ehemalige Präsident Hosni Mubarak befindet sich auf freiem Fuß. Mohammed Mursi nicht. Was für eine Symbolkraft hat das!

Etwas mehr als sieben Jahre ist es her, dass der Tahrir-Platz Ende Januar, Anfang Februar 2011 zum Symbol für eine demokratische Revolution in Ägypten und in der ganzen arabischen Welt wurde. Seither ist Libyen zum „Failed State“ geworden, in Syrien herrscht Bürgerkrieg. Und in Ägypten? Werden Medien zensiert, Oppositionelle eingesperrt – und westliche Demokratien interessiert all das überhaupt gar nicht.

Gängige Erklärungen

Das alte Klischee, demzufolge die Stabilität in Ägypten irgendwie die Stabilität des gesamten Mittleren Ostens garantiere, zeigt noch immer Wirkung. Das ägyptische Militär wird – weitgehend – durch die USA finanziert, die Menschenrechtslage in Ägypten von der Europäischen Gemeinschaft ignoriert. „Die Araber“ sind halt „nicht reif“ für die Demokratie – so die gängige Erklärung. So simpel, so falsch. Der Westen hat die ägyptischen Demokraten im Stich gelassen. So simpel, so richtig.

Wann ist eine Revolution endgültig gescheitert? „Vielleicht ist die Kunst, abwarten zu können, auch eine Form des Widerstands“, sagt eine Freundin. Eine andere widerspricht: „Das ist Kitsch. Ich kann all diese Sentimentalität im Zusammenhang mit der Revolution nicht mehr ertragen. Wir sind besiegt worden. Vollständig. Da endet es. Jedenfalls für unsere Generation.“

Wahrscheinlich hat sie Recht.

Fällt jemandem auf, dass in dieser Kolumne keine Namen genannt werden, auch keine Berufe oder Alterszuschreibungen? Kein Zufall. Niemand möchte – verständlicherweise – noch mit der Revolution und den Forderungen nach Demokratie in Verbindung gebracht werden.

Vier Paare aus dem Freundeskreis sind Eltern geworden im letzten Jahr. Sie alle sind – auf sehr private Weise – glücklich. Und wollen dieses Glück nicht gefährden durch öffentliche Äußerungen. Möchte jemand den ersten Stein werfen? Ich hoffe nicht.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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3 Kommentare

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  • Danke für den Beitrag.

     

    Ergänzung: Nach russischer Oktoberrevolution 1917 hatte Lenin Ansprüche Russlands an der geheimen Übereinkunft spektakulät in der Prawda aufgekündigt und deren Existenz angeprangert - Das heutige "Einige Russland" unter Wladimir Putin scheint da entgegen Lenin anders positioniert

    Doch in Zeiten allgemeiner Chaostheorie Waltens der G 7 plus X Staaten, mit der Maxime, fordere, fördere deregulierend, finanziere in Koalitionen williger Vollstrecker über Credit Spending von Hochrüstung, Waffenhandel bizarres Sicherheitsstreben der Wenigen zu Lasten der Vielen, statt allgemeinen Wohlstand, dergestalt unberechenbare Zustände allerorten, bleiben alle Optionen auf Revolutionen, Arabellionen auf dem Tisch, dass der geringste Anlass, ein Hühnerstall im China bricht zusammen,wird von betroffenen Hühnern begackert, weltweit eine unmittelbare Wende zum Guten wie den Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 oder nahezu synchron zum Bösen, dem staatich befohlenen Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens August 1989 in Peking auslösen kann.

  • Aussagen über die Arabellion 2011, wie . „Das ist Kitsch. Ich kann all diese Sentimentalität im Zusammenhang mit der Revolution nicht mehr ertragen. Wir sind besiegt worden. Vollständig. Da endet es. Jedenfalls für unsere Generation.“ greifen zu kurz, bei Revolutionen, wenn es denn welche sind, geht es nie um eine Genrationsprojjekt sondern das Aufgreifen einer Abfolge von revolutionären Auf- und Abbrüchen.

    Die Arabellion gilt in Europa, USA Russland nicht als regional sondern global einzuordnender Aufbruch in der arabischen Welt, der 1919 in Europa, USA so gefürchtet ward wie 2011.

    Warum? auf dem Hintergrund des Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916 als geheime Übereinkunft der Regierungen United Kingdom, russisches Zarenreich und Frankreichs, deren koloniale Interessengebiete im Mittleren Osten gegen eine aufkommende arabsiche Groß-Nation als Mit-Wettbewerber am Weltmarkt abzustecken für den erwarteten Fall der Auflösung des Osmanischen Reiches nach Ende des Ersten Weltkrieges, ungeachtet britischer Hosianna Wolken Kuckucksheim Versprechesn an die arabische Welt als Mitstreiter gegen die Mittelmächte Deutsches La kaiserreich, k. u. k. Donaumonarchie, Osmanisches Reich eine eigene gtoße arabische Nation ungestört gründen zu können

    2018 wie 1919 nach dem Versailles Vertrag, ungeachtet der Folgen für die Staatsangehörigkeit, Vermögensstatus, Anrkennung von Berufsabschlüssen für Millionen Bürger, mit der Diktion Vielvölkerstaaten wie das Deutsche Kaiserreich in Teilen, die k. u. k. Donaumonarchie, das Osmanisches Reich in Gänze zu zerschlagen, einen neuen Vielvölkerstaat in Gestalt einer arabischen Nation zu verhindern durch Zergliederung des Mittleren Ostens in willkürlichen Staatsgrenzen Irak, Syrien, Libanon, Palästina, Jordanen, unter dem Völkerbund Mandat der Briten, Franzosen, wurde eine bis heute fortbestehend brisante Gefahrenlage für die ganze Region bis nach Europa, Russland sehenden Auges heraufbeschworen.

  • Das Ergebnis des arsbischen Frühlings ist leider mehr als ernüchternd. Das fehlende Interesse des Westens ist aus meiner Sicht aber genauso wenig der Grund wie die angesprochene stereotype fehlende „Reife“ des Arabers. Beides sind Klischeebehaftete Erklärungen. Demokratien müssen sich von innen selbst tragen. Aber was sind nun die Erklärungen? Ich weiß es nicht.