Kolumne Macht: Denn sie wissen nicht, was sie tun
Die Wahlperiode des Bundestags soll mal eben verlängert werden. Eine bessere Wahlwerbung hätte sich die AfD nicht wünschen können.
W enn ich an Verschwörungstheorien glaubte, dann hätte ich einen ganz großartigen, neuen Stoff. Aber ich glaube eher an die Universalität der menschlichen Dummheit. Und deshalb denke ich, dass das parteiübergreifende Bündnis, das jetzt für eine Verlängerung der Wahlperiode des Bundestags eintritt, nicht etwa der AfD zusätzliche Stimmen verschaffen will – obwohl dies das unausweichliche Ergebnis sein wird –, sondern dass die Geistesgrößen der Politik einfach nicht wissen, was sie tun.
Eine bessere Wahlwerbung hätten sich die Völkischen, die mit ihren knapp zehn Prozent Gefolgschaft unbeirrt behaupten, „das Volk“ zu vertreten, gar nicht wünschen können. Gut eine Woche vor den nächsten Wahlen wird der Bevölkerung signalisiert, sie solle demnächst seltener als bisher über den künftigen Kurs entscheiden dürfen. Alle, alle Altparteien sind sich einig, dass das sinnvoll wäre.
Auf einem anmutigeren Silbertablett ist die Möglichkeit selten serviert worden, den Vorwurf der Kungelei zu erheben. Dabei gibt es gute Gründe, die für eine Verlängerung der Legislatur sprechen. Mindestens sechs Monate dauert es, bis sich ein neues Parlament und eine neue Regierungskoalition eingearbeitet haben, die ersten Vorboten des Wahlkampfs zeigen sich regelmäßig nach etwa zwei Jahren. Ein bisschen weniger Hektik im politischen Betrieb täte langfristigen Planungen komplexer Reformen gut.
Aber über so etwas muss ausführlich geredet werden. Es ist auch kein Fehler, den Versuch zu unternehmen, eine Mehrheit der Bevölkerung vom Sinn einer solchen Verfassungsänderung zu überzeugen – statt sie mal eben hopplahopp in Aussicht zu stellen. Das Thema eignet sich gut dafür, auch weitere Aspekte zu erörtern. Die Begrenzung der Amtszeit von Kanzlerin oder Kanzler auf zwei Legislaturperioden beispielsweise, wie in vielen anderen Ländern üblich.
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Das sorgt erfahrungsgemäß für eine Belebung der innerparteilichen Debatte in der stärksten Regierungsfraktion und verhindert Überdruss am Spitzenpersonal. Geredet werden kann – und sollte – auch über eine Erweiterung der Möglichkeiten direkter Demokratie. Ich selbst bin keine Anhängerin von Volksentscheiden auf Bundesebene, aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass der Ruf danach lauter wird. Und wenn sich am Ende einer seriösen Diskussion eine Mehrheit dafür abzeichnet, dann soll es eben so sein.
Die Betonung liegt auf „seriös“. Verfassungsänderungen sollten niemals im Eilverfahren durchgepeitscht und auch nicht mit geradezu aufreizender Beiläufigkeit zur Sprache gebracht werden. Die Mitte einer Legislaturperiode, in der noch mit langem Atem diskutiert werden kann, ist dafür ein geeigneter Zeitpunkt. Die Art und Weise jedoch, in der das Thema jetzt verhandelt wird, zeugt von geringem Respekt vor dem Grundgesetz.
Populisten müssen sich nicht einmal öffentlich dazu äußern, wenn sie es nicht wollen. Es genügt, wenn an Stammtischen darüber geredet wird. Reicht die Fantasie der Verantwortlichen wirklich nicht aus, um sich auszumalen, was dort jetzt unterstellt wird? Dass die Abgeordneten sich damit doch nur länger ihre angeblich so fetten Pfründen sichern wollen, dass das Volk noch seltener als bisher nach seiner Meinung gefragt wird, dass solche Vorschläge nur dem eigenen Machterhalt dienen … und so weiter und so weiter.
Derlei Vorwürfe sind ungerecht und platt. Aber niemand sollte sich wundern, wenn sie erhoben werden und die letzten Tage des Wahlkampf schleichend vergiften. Eindrucksvoller ist ein Thema, das wichtig ist und die Debatte lohnt, selten versemmelt worden. Das wird sich rächen – bei den Wahlen und noch lange danach.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!