Kolumne Luft und Liebe: Im Recht, am Arsch
Das Sexualstrafrecht ist okay, sagt ein Bundesrichter. Wie aber sollen sich Frauen wehren, denen das Kämpfen abtrainiert wurde?
E s ist gut, wenn Leute, die keine JournalistInnen sind, Kolumnen kriegen. Das bringt Abwechslung. So. Fertig. Das war der frohlockende Teil der Kolumne. Jetzt der Rest.
Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt neuerdings eine Rechtskolumne auf Zeit Online: „Fischer im Recht“. Er erklärt darin, warum er die Bemühungen, das deutsche Sexualstrafrecht zu ändern, für übertrieben hält. (Hier Teil 1 und Teil 2 der Kolumne)
Im Moment ist es so, dass jemand, der sexuelle Handlungen „nur“ gegen den Willen einer erwachsenen und nichtbehinderten Person durchführt, sich nicht strafbar macht. Das Gesetz so zu ändern, dass mehr Täter verurteilt werden können, findet Fischer falsch: „Je mehr der Staat […] behauptet, er müsse ’um der Opfer willen‘ einen ’Missbrauch‘ verhindern, desto mehr verschiebt er die Grenze der Freiheit auch gegen die ’Opfer‘ selbst.“
Dass die Freiheit, die hier verteidigt wird, die „der Männer und ihrer Durchsetzungsmechanismen“ ist, hat Renate Künast, die auch Juristin ist, zu Recht geantwortet. Das dürfte Fischer nicht weiter stören. Fischer ist ein harter Hund, und hart sollen alle anderen auch sein. Dass es Erwachsene gibt, die sich fügen, wenn jemand gegen ihren Willen mit ihnen Sex will: Tja nun. Schwer zu beweisen. Jeder erträgt mal was. Zitat: „Steuerzahlen! Rasenmähen! Rechts Fahren!“
„Es gibt keinen Skandal“
Fischer und Künast diskutieren unter anderem die Frage, was eine 15-Jährige, die eine Vergewaltigung über sich ergehen ließ, „hätte besser machen sollen“. Ob sie nicht nur einmal hätte „nein“ sagen sollen, sondern 177 mal. (Paragraf 177 StGB definiert Vergewaltigung.)
Thomas Fischer kritisiert, dass das, was die OpfervertreterInnen heute wollen, schon in den Neunzigern von Feministinnen gefordert wurde: „Die neue Kampagne ist die alte Kampagne“. Macht sie das zu einer schlechten? Schon nach Tschernobyl wollten Leute aus der Atomkraft aussteigen – und nach Fukushima schon wieder. Wie retro.
„Es gibt keinen Skandal“, schreibt Fischer über das Sexualstrafrecht. Nein, man muss das nicht „Skandal“ nennen – man kann auch erklären, dass es um ein massives, hässliches, tiefsitzendes gesellschaftliches Problem geht, das sich im Strafrecht aufs Ekelhafteste widerspiegelt. Fischer, du bist Deutschland, und das ist kein Kompliment.
Fischers Fazit – „Ich empfehle, das Sexualstrafrecht endlich einmal in Ruhe zu lassen“ – könnte zynischer nicht sein. Okay. Es könnte. Er hätte auch empfehlen können, die Täter in Ruhe zu lassen.
„Hab ’n bisschen mehr Spaß!“
In einer Gesellschaft, die Mädchen und Frauen konsequent das Kämpfen aberzieht, ist ein Sexualstrafrecht mit der Botschaft „Hättest du dich mal härter gewehrt“ blanker Hohn.
Gerade hat die zehnte Staffel von „Germany’s Next Topmodel“ begonnen: eine Sendung, die im Großen und Ganzen daraus besteht, den Willen junger Frauen zu brechen. Die beliebteste Folge jeder Staffel ist das „Umstyling“, bei dem die „Mädchen“ Frisuren kriegen, die sie nicht wollen. Bis dahin hat jede Teilnehmerin mehrfach bestätigt, wie toll sie ihre Teilnahme an der Show findet. „Hast du Spaß?“, fragt Heidi Klum, oder befiehlt direkt: „Hab ’n bisschen mehr Spaß!“ In den Pausen: Werbung für Diätmittel.
Im Kino fährt gerade die Verfilmung eines Buchs Rekordgewinne ein, in dem Manipulation und Grenzüberschreitung als großer erotischer Fun verkauft werden. Wir können weiter daran arbeiten. Wenn wir Mädchen immer mehr zu Prinzessinnen und Meerjungfrauen machen, merken sie irgendwann gar nicht mehr, wie ihnen geschieht. Prinzessinnen kämpfen nicht. Sie warten und ertragen.
Es ist kein Zufall, wenn sich die Mädchen, in einer Welt, die immer pinker wird, immer weniger wehren. Damit es nicht wehtut, sollten wir ihnen noch das Nervensystem inklusive Gehirn amputieren. Dann werden sie auch – wie praktisch – ein kleines bisschen leichter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge