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Kolumne LiebeserklärungWeg mit der Bahnsteigkarte

Kolumne
von Martin Reeh

Die Christdemokraten in Hamburg lassen den ohnehin angeschlagenen SPD-Bürgermeister Olaf Scholz noch etwas schlechter aussehen.

Das Ticket richtet sich in der Praxis weniger gegen Revolutionäre als gegen Bettler und Obdachlose Illustration: TOM

D ie Hamburger CDU hat einen kleinen PR-Coup gelandet – einen, der den ohnehin angeschlagenen SPD-Bürgermeister Olaf Scholz noch etwas schlechter aussehen lässt: Sie fordert die Abschaffung der Bahnsteigkarte im öffentlichen Nahverkehr. Und der rot-grüne Senat lehnt ab.

Das ist zunächst einmal komisch, weil die Bahnsteigkarte im linken Gedächtnis seit langem mit einem Lenin-Zitat verknüpft ist: „Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas. Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Olaf Scholz ist bekanntlich ein besonders rechter Sozialdemokrat, der mit revolutionären Umtrieben so wenig am Hut hat, dass er sie nicht einmal vorausahnte, als er die Welt zum G20-Gipfel in die Autonomen-Hochburg Hamburg einlud.

Nun verteidigt sein Senat die Bahnsteigkarte, als gelte es, „Teddy“ Thälmann vom Hamburger Aufstand abzuhalten. Die Bahnsteige „stellen keinen Aufenthaltsbereich für Personen dar, die dort nichts zu suchen haben. Damit sorgen wir auch für Sicherheit und Ordnung“, verkündete die Sprecherin der SPD-geführten Wirtschaftsbehörde.

In der Praxis richtet sich die Bahnsteigkarte weniger gegen Revolutionäre als gegen Obdachlose und Bettler. 30 Cent kostet das Ticket und gilt eine Stunde. Wer es nicht hat, ist wegen Beförderungserschleichung dran. Die Deutsche Bahn hat die Bahnsteigkarte schon seit Langem abgeschafft. Unter den Großstädten hat nach CDU-Recherchen nur noch das ebenfalls SPD-regierte München ein solches Ticket.

„Law and order is a Labour issue“ – dieses Tony-Blair-Zitat mag vielleicht nicht im verlotterten Berlin gelten, wohl aber im Scholz-regierten Hamburg. Dem Bürgermeister, der damals Innensenator war, sitzt noch immer der verlorene Wahlkampf 2001 gegen den Rechtspopulisten Ronald Schill in den Knochen. Der Richter versprach damals das große Aufräumen in der Hansestadt, auch in der Drogenszene am Hauptbahnhof.

Deshalb kann die CDU so lange über die Bahnsteigkarte als „Relikt aus den frühen Tagen des Eisenbahnzeitalters“ spotten, wie sie will – solange der „Scholzomat“ regiert, dürfte sie bleiben. Weil Scholz' Image als Hardliner schon durch den Juli-Krawall in der Schanze gelitten hat, wird er gegen Drogensüchtige und Obdachlose hart bleiben.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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1 Kommentar

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  • war das jetzt ernst gemeint?

     

    Bahnsteigkarten sind ja sowas von 50er Jahren.

    Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass es sowas noch geben soll.

    Schon ab Mitte der 60er gab es das in NRW jedenfalls nicht mehr.