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Kolumne Leuchten der MenschheitIm Tross der dunkel Gekleideten

Tania Martini
Kolumne
von Tania Martini

Das Höfische, die Mozartkugel, das Klassensystem: Überall regiert wieder mal das Alte. So auch auf der Frankfurter Buchmesse.

Und gelesen wird auch noch Foto: dpa

I n Österreich regieren jetzt Alpha-Plus-Menschen. Die regieren mehr oder weniger aus dem Fitnessstudio, dabei sind sie sehr jung und könnten getrost noch ein paar Jahre warten, bis sie mit dem Sport anfangen. Sie sehen irgendwie geklont aus. Vielleicht liegt das aber nur an ihrem jungen Alter. Oder am vielen Sport. Aber so modern, wie sie tun, sind sie halt auch nicht.

Der Kulturminister nämlich, ich glaube, er heißt Blümel, hat auf der Buchmesse jeden einzelnen österreichischen Verlagsstand besucht. Okay, so viele sind das jetzt auch wieder nicht, aber von einem Alpha-Plus-Menschen hatte ich einfach weniger kaiserliches Traditionsgedöns erwartet. Wenigstens hat er keine Mozartkugeln verteilt, was ich angenommen hatte, irgendeinen ideologischen Kitt braucht es ja in der Gesellschaft, und die Österreicher lieben ihre Mozartkugeln. Mehr als ihren Mozart. Ging aber ganz ohne.

Der Alpha-Plus-Mensch hatte einen sehr großen Tross aus dunkel gekleideten Männern dabei. Die sahen krass aus. Also jetzt nicht so existenzialistenmäßig, sondern eher ritterlich, halt ohne Schwert. Auch ein Journalist durfte den Minister begleiten. Ein Alpha-Plus-Journalist mit Alpha-Plus-Infos. Krass. Ich habe den Alpha-Plus-Minister angequatscht und ihm eine CD von Harry Rowohlt geschenkt, die kann er dann beim Sport hören.

Er hat freundlich gelächelt und sich bedankt. Aber wahrscheinlich müssen die jetzt erst mal die ganzen Leute aus dem Alpha-Plus-Sicherheits-und-Repräsentations-Tross verhören, nicht dass der Minister einer Spaßguerillataktik aufsitzt. Die waren alle sehr nervös.

Aber Spaßguerilla ist ja jetzt die Sache von außerparlamentarischen Rechten, Kubitschek und so. Denen fällt halt nie was Neues ein.

Kaum mehr als 1.000 Euro im Monat

Am taz-Stand will ein Rechtsextremismusforscher, dass ich sein Buch rezensiere. Nachdem er mir dreimal erklärt hat, dass die anderen Rechtsextremismusforscher das gar nicht gut finden, dass er ein Buch geschrieben hat, weil sie seine Konkurrenz fürchten, habe ich beschlossen, das Buch zu ignorieren. So weit ist es schon gekommen mit der Vereinzelung, denke ich. Auch kein origineller Gedanke, aber das denke ich am selben Tag noch einmal.

Beim Suhrkamp-Kritikerempfang in der Unseld-Villa, wo ein Autor einem sehr bekannten TV-Literaturkritiker erzählt, dass er kaum mehr als 1.000 Euro im Monat zur Verfügung hat, und der Kritiker schockiert fragt: „Ja haben Sie denn keine Rücklagen?“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ein Leben ohne Rücklagen und ohne Erbe. Ja, da handelt es sich in Ihrem Fall aber wirklich um eine Ausnahme, Herr Autor.

Das Höfische, die Mozartkugel, das Klassensystem, überall regiert das Alte. Da ist es nur konsequent, dass sie in Frankfurt gleich wieder ihre alte Altstadt aufgebaut haben, wo die Leute in ihren Retro-Nineties-Techno-Sneakern mit ihren Retro-Eighties-Bauchtaschen rumlaufen und auf ihre neuen Smartphones schauen.

Die Zukunft spielt keine Rolle mehr.

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Tania Martini
Politisches Buch/Kultur
Redakteurin für das Politische Buch und Diskurs im Kulturressort. Mitherausgeberin des Buches "Nach dem 7. Oktober. Essays über das genozidale Massaker und seine Folgen (Edition Tiamat). Jurorin des Deutschen Sachbuchpreises 2020-2022 sowie der monatlichen Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandradio. Lehraufträge in Kulturwissenschaften und Philosophie. Von 2012 bis 2018 Mitglied im Vorstand der taz. Moderiert (theorie-)politische Veranstaltungen. Bevor sie zur taz kam: Studium der Gesellschaftswissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse in Frankfurt/Main; Redakteurin und Lektorin in Wien.
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