Kolumne Konservativ: Seelenverwandt mit Putin
Russland war einst Sehnsuchtsort deutscher Konservativer – als gefühlige Alternative zur Industrialisierung. In der Krim-Krise zeigt sich: So ist es wieder.
![](https://taz.de/picture/116383/14/Putin_01.jpg)
D ie Bolschewiki mordeten sich 1921 an die Macht, da schrieb der konservative Bildungsbürger Thomas Mann schwärmerisch: „In der Tat sind es zwei Erlebnisse, welche den Sohn des neunzehnten Jahrhunderts, der bürgerlichen Epoche, zur neuen Zeit in Beziehung setzen, ihn vor Erstarrung und geistigem Sterben schützen und ihm Brücken in die Zukunft bauen, – nämlich das Erlebnis Nietzsches und das des russischen Wesens.“
Dem „russischen Wesen“ fühlen sich vor allem konservative Deutsche seit langem nah. In der Krim-Krise erweist sich ihr Glaube, Russland besser begriffen zu haben als die Russen selbst, als ungebrochen. „Der Bogen der Nachsichtigen“, schreibt der Spiegel, „reicht vom CDU-Politiker Philipp Mißfelder bis zu Alice Schwarzer, von der Linken über das gutbürgerliche Milieu bis weit ins konservative Lager“. Das hat eine lange Geschichte.
Friedrich Nietzsche, dem Thomas Mann ein Bildungserlebnis verdankte, hatte schon 1889 geschwärmt: Russland sei „der Gegensatz-Begriff zu der erbärmlichen europäischen Kleinstaaterei und Nervosität, die mit der Gründung des deutschen Reiches in einen kritischen Zustand eingetreten ist“.
Das riesige Reich schien vielen Deutschen als gefühlige Alternative zum hektischen Zeitalter der Industrialisierung, Demokratisierung und Wissenschaft. Noch 1920 schrieb Rainer Maria Rilke euphorisch: „… was verdankt ich Russland –, es hat mich zu dem gemacht, was ich bin, von dort ging ich innerlich aus, alle Heimat meines Instinkts, all mein innerer Ursprung ist dort!“
Seele gegen Krämerseele
Thomas Mann zufolge ähnelten deutsches und russisches Wesen einander in ihrer Tiefe und Unergründlichkeit. Beide könnten deshalb nie Verständnis finden in den kleingeistigen Kapitalistennationen Großbritannien und USA. Seele gegen Krämerseele. Doch wofür Russland stand, war letztlich stets weniger wichtig als das, wofür es nicht stand: den, wie Mann 1918 verächtlich schrieb, „Köhlerglauben“ der Demokratie.
Die Sehnsucht nach dem vordemokratischen Idyll hat selbst Gulag, Kalten Krieg und 65 Jahre Bundesrepublik überlebt. Zur Krim-Krise sagte der konservative Publizist und stellvertretende AfD-Sprecher Alexander Gauland: Das „Sammeln russischer Erde“ sei in der russischen Geschichte üblich gewesen. „In unserer postheroischen Zeit mag es so sein, dass wir das nicht mehr verstehen können.“
Diese Sicht entmündigt nicht nur die Ukrainer. Sondern auch alle Russen, die eine andere Meinung vertreten als der Kremlherr. Sie kommen in der Welt konservativer Putin-Verteidiger nicht vor.
Manche erfüllt der Gedanke an Demokratie im Riesenreich gar mit Furcht. Die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit schreibt: „Wenn (…) Russland erst einmal in den Westen inkorporiert sein würde – und die Damen von Pussy Riot mit staatlicher Billigung auf allen Kirchenaltären tanzen –, gehen auch auf dem Kulturkontinent Europa endgültig die Lichter aus.“
In diesem Bild gerät der Ex-KGB-Agent und Autokrat Putin zum letzten Verteidiger des christlichen Abendlandes. Dummerweise können manche das nicht mehr verstehen in unserer postheroischen Zeit.
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