Kolumne Konservativ: Platon versus Groucho Marx

Warum wird die Definition von „Werten“ und „Tugenden“ Konservativen überlassen? Die wissen doch auch nicht, was sie tun.

Gutes bleibt: Menschen tragen Röcke. Heute tun es nur mehr. Bild: dpa

Für Werte und Tugenden sieht es düster aus. „Unsere Werte“ sind „bedroht“ (Martin Schulz über die EU). „Preußische Tugenden“ wurden „missbraucht“ (Historiker Julius Schoeps über die Nazi-Zeit). Manchmal ist gar beides in Gefahr: „Wir ignorieren unsere Tugenden und Werte“ (Oliver Kahn 2012 über die Fußballnationalmannschaft).

Was bedroht, missbraucht oder gar ignoriert wird, braucht Verteidiger. Vor Kurzem gründeten Christsoziale daher die „Initiative Konservativer Aufbruch! – CSU-Basisbewegung für Werte und Freiheit“. Auf ihrer Internetseite beschreiben sie sich als Vertreter „zeitlos konservativer Tugenden“. Diese seien „Fleiß, Leistung, Sparsamkeit, Verantwortungsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Einsatzfreude und Hilfsbereitschaft“.

Ein paar Dinge, die in den CSUler-Sätzen durcheinandergeraten, möchte ich korrigieren. Bitte denken Sie deshalb nicht, ich sei ein humorloser Besserwisser. Ich fände es schade, wenn Sie das merkten.

Was sind „Tugenden“? Christlich geprägte Idealvorstellungen vom rechten Handeln. Ihre Wurzeln liegen im antiken Griechenland. „Nichts Unvollendetes kann für etwas Maßstab sein.“ Sagte Platon. Ihm zufolge leben wir in einer Welt bloßer Erscheinungen. Jenseits davon gebe es unveränderliche Ideen wie „das Schöne an sich“.

Marx hatte Recht

Dieses Bild zerbröselt spätestens seit der Aufklärung und der Französischen Revolution. Seither gilt Marx’ Satz: „Das sind meine Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich noch andere.“ Kluger Mann, dieser Groucho.

Was sind „Werte“? Nach der Französischen Revolution erlebten die Begriffe „konservativ“ und „Werte“ etwa gleichzeitig eine Konjunktur. Mitte des 19. Jahrhunderts galt hierzulande als konservativ, wer es für einen bewahrenswerten „Wert“ hielt, dass Adel und Kirche ihre Vorrechte gegenüber dem aufstrebenden Bürgertum behalten.

Hingegen war, wer die Einheit einer „deutschen Nation“ forderte, ein Revolutionär. Und wer Frauen wählen lassen wollte, galt als irre. „Werte“ sind abhängiger von Zeit und Gesellschaft als „Tugenden“. Und „zeitlos konservative Tugenden“ gibt es nicht.

Oder sind Tugenden etwa konservativ? Wenn ja, dann müssten Menschen, die sich als liberal, links oder progressiv verstehen, deren Gegner sein. Ich kann mich aber beim besten Willen nicht erinnern, dass jemand mir beim entkoffeinierten, lactosefreien Bio-Latte-macchiato zugeraunt hätte, er müsse los, vorm Abendessen noch schnell Tugenden schänden.

Der Geruch des Zwangs

Vielleicht ist es mit dem Teufelswerkverrichten deshalb nicht weit her, weil Linke & Co. so faul, verantwortungslos und unzuverlässig sind. Warum überlassen sie die Definition von „Werten“ und „Tugenden“ den Konservativen? Vielleicht, weil den Worten noch immer der Geruch des Zwangs anhaftet: Kirche, Partei, Staat oder Familie gaben damit vor, was als richtig und falsch galt –nicht das Gewissen des Einzelnen. Diese Zeit ist glücklicherweise vorbei.

Heute gilt Groucho Marx’ Ausspruch: „Das Geheimnis des Lebens sind Ehrlichkeit und fairer Umgang miteinander. Wenn du das vortäuschen kannst, hast du es geschafft.“

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Schriftsteller, Buchautor & Journalist. Von 2005 bis 2014 war er Politik-Redakteur und Kolumnist der taz. Sein autobiographisches Sachbuch "Das Erbe der Kriegsenkel" wurde zum Bestseller. Auch der Nachfolger "Das Opfer ist der neue Held" behandelt die Folgen unverstandener Traumata. Lohres Romandebüt "Der kühnste Plan seit Menschengedenken" wird von der Kritik gefeiert.

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