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Kolumne Knapp überm BoulevardMacrons Zauberformel

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Ist es seine Begeisterungsfähigkeit, sein Charisma? Macron hat beides, entscheidend ist aber etwas anderes. Es ist, was er beim Einzelnen auslöst.

„Den Einzelnen in der Massengesellschaft vorkommen lassen“ – Macron kann das Foto: reuters

D ie politische Landschaft Frankreichs ist völlig neu strukturiert: Der alte Gegensatz, Sozialdemokratie versus Konservative, wurde durch einen neuen Gegensatz abgelöst. Einen, der besser zu den heutigen Verhältnissen zu passen scheint.

Im Parlament sind Macrons Hauptgegner nun Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon. Es geht also nicht mehr um links gegen rechts. Die neue Demarkationslinie verläuft eher zwischen Konsens und Konflikt. Denn die wesentliche Opposition bilden nunmehr politische Kräfte, die Politik als Kampfplatz sehen, auf dem Gegner gegeneinander antreten. Ihr Diskurs ist die Kampfrhetorik.

Macron hingegen hält beiden Offensiven sein Konzept des Konsenses, des Gemeinsamen – kann man sagen: entgegen? Kann man den Konsens gegen den Konflikt in Stellung bringen? Ist das noch Konsens, Wohlwollen, wie Macron es nennt?

In jedem Fall aber werden andere Emotionen geweckt. Die Opposition braucht und mobilisiert „negative“ politische Leidenschaften für den politischen Kampf. Macrons Bewegung und nunmehrige Partei hingegen bedarf „positiver“ Leidenschaften, Emotionen, die eben nicht auf den Gegner, sondern auf das Gemeinsame gerichtet sind – Begeisterung also. Begeisterung, das ist jene politische Leidenschaft, jenes politische Gold, nach dem heute alle suchen. Woher aber rührt die Begeisterung, die Macron weckt?

Es ist nicht einfach nur das Charisma des Shootingstars. Es ist auch das neue politische Modell, die neue Form, die er angeboten hat. Denn diese ist es, welche das politische Bedürfnis, das politische Begehren heutiger Bürger trifft.

Der Wunsch, gehört zu werden

Das, was Menschen heute politisch bewegt, berührt, antreibt, ist ein Hunger nach Partizipation. Aber diese Partizipation ist nicht so sehr Teilhabe an Entscheidungen. Es ist vielmehr der Wunsch, gehört zu werden, gemeint zu sein, vorzukommen. Kurz gesagt – es ist der Wunsch nach Anerkennung.

Diese Anerkennung ist aber nicht die alte Anerkennung als Teil einer Gruppe, als Teil einer Klasse, als Teil einer Partei. Es ist vielmehr der Wunsch, als Einzelner anerkannt zu werden. Der Hunger nach Partizipation ist also der Hunger als Einzelner, in seiner Besonderheit erkannt zu werden.

Das entspricht ja auch der Lebensform. Wir alle müssen heute unser Leben als Einzelne meistern. So möchten wir auch im Politischen als Einzelne anerkannt werden. Das mag verrückt sein in einer Massendemokratie, aber es scheint das grundlegende politische Bedürfnis der Gegenwart zu sein.

Und genau das bot Macron – nicht mit seinen Großauftritten, sondern mit den vielen kleinen Treffen überall im Land. Bürgerversammlungen im wahrsten Sinne: Das Zusammentreffen von Bürgern – nicht um der Rede eines Tribuns zu folgen, sondern um die Leute vor Ort zu Wort kommen zu lassen.

Der konkrete Einzelne

Diese Versammlungen sind also Orte, wo die Einzelnen gehört werden – Orte, die in klassischen Parteien in der Art nicht vorgesehen sind. Anders als in Bezirksgruppen oder Parteisektionen treffen sich da nicht Parteigenossen, um sich als Gleiche zu bestätigen. Hier treffen sich vielmehr ganz verschiedene Einzelne.

Hier können die Leute vorkommen – mit ihren Lebensgeschichten, mit ihren Problemen. Ohne in Kategorien, Gruppen, Identitätsenklaven eingesperrt zu werden. Sie müssen sich nicht verändern, sie müssen nicht Gleiche werden. Denn es sind Foren, die keine Grup­pen­identität vorgeben – weder als Nation noch als Klasse.

Macrons Zauberformel lautet also, den Einzelnen in der Massengesellschaft vorkommen zu lassen. Das ist es, was Begeisterung weckt. Es ist dies aber nicht der Einzelne des alten Liberalismus, der private Einzelne. Es ist auch nicht der Einzelne des alten Republikanismus, der Citoyen als Gleicher. Es ist vielmehr der jeweilige, konkrete Einzelne als neue öffentliche Sache – der Einzelne als res publica. Individualismus wird hier zur neuen Grundlage des Gemeinsamen. Und so, gemeinsam, ensemble, setzen sich diese verschiedenen Einzelnen en marche.

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7 Kommentare

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  • Woher diese Autorin dieses beeindruckende "Wissen" wohl her haben

     

    Man will ja nicht zu weit gehen, aber das hier ist kurz vor der Apotheose Macrons und erinnert mich an Artikel, die über den Führer und seine unglaublichen Fähigkeiten geschrieben worden sind.

     

    Ich finde seine geplante Politik widerwärtig und falsch. Denn der sog. Neoliberalismus in der Krise, hat Krisen noch mehr verstärkt. Schon vergessen unter Brüning? Und wer danach an die Macht kam, weiß wohl die Autorin noch oder?

  • Au man.....was für eine Schleimerei, sry.

     

    Die einzige Zauberformel von Macron war: Ich oder Le Pen.

  • Welche Gefühle Macron bei der Autorin auslöst, ist dem Artikel unschwer zu entnehmen, ähnlich müssen sich deutsche Journalistinnen vor mehr als 80 Jahren auch gefühlt haben.

     

    Bei mir löst Macron ganz andere Gefühl aus, aber die sind hier nicht zitierfähig.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Die Autorin vergisst dabei zu sagen, wieviele Menschen von dieser Art Politik zu machen betört sind: 15% der wahlberechtigten Bevölkerung und 1/3 derjenigen, die zur Wahl gegangen sind. Es ist also sehr vermessen da von einem Mainstreamfeeling zu sprechen, da gehört schon viel Wunschdenken dazu. Zukunftsweisend ist es auch nicht, denn unter den Jungwählern sind die meisten zu Hause geblieben und die, die zur Wahl gegangen sind, haben mehrheitlich für Jean-Luc Mélenchon gestimmt, den angeblichen Volkstribun, der eine basisdemokratische VI. Republik fordert, in der man ungeliebte und unfähige Volksvertreter mittels eines Referendums wieder abwählen kann. Partizipation ohne reelle demokratische Mitwirkung ist doch nur seichte Spinnerei und das haben die Mehrheit der Jungwähler geschnallt, die lieber unbeugsam sind als im Gleichschritt in eine glücksverheissende individualistische liberale Welt zu marschieren, wo jeder auf Augenhöhe mit seinem Chef einen massgeschneiderten Arbeitsvertrag aushandeln kann, ohne den lästigen Druck der kollektivistischen Gewerkschaften. Mit Macron finden die Menschen, die Freiheit wieder, die sie noch hatten, bevor der Rauschebart seine Kapitalismusanalyse vorgelegt hatte, diese Irrlehre von der die Latte-Macchiato schlürfende liberal progressive Elite, die weder links noch rechts sein will, aber unbedingt die Macht haben will, die totale, denn wie Stalin so schön sagte, es gibt nur eine Wahrheit und diese ist heute liberal, vor allem wirtschaftsliberal, nichts mehr wissen will. Und es wird tunlichst vergessen, dass über 50% der Wähler nicht gewählt haben und was immer sie auch für Gründe gehabt haben mögen, das En Marche-Feeling hat sie nicht an die Wahlurnen strömen lassen. Aber eins wird in diesem Artikel deutlich: Die Beschreibung einer neu entstandenen Sekte mit einem äusserst charismatischen Sektenführer.

    • @82236 (Profil gelöscht):

      Chapeau!

  • Danke für diesen Denk-Anstoß.

     

    Ich glaube allerdings nicht, dass Macron aktiv etwas „auslöst“ bei seinen Wählern. Ich denke, er ist nur geschickt genug, die ohnehin vorhandene zeitgeistige Bereitschaft vieler (vor allem junger) Menschen zur absoluten Ich-Begeisterung zu kanalisieren.

     

    Die erwähnte Bereitschaft ergibt sich in einer „Massengesellschaft“, in der Massenproduktion und Massenmedien eine auf Massenkonsum basierende (gefühlte) Massen-Identität herstellen, womöglich zwangsläufig. Schließlich ermöglichst sie es dem Einzelnen, psychisch halbwegs gesund zu bleiben und sich nicht zu verlieren in der Masse all der Gleichen oder doch sehr Ähnlichen.

     

    In sofern wäre Macrons „Zauberformel“ keine andere als die, die auch all seinen Vorgängern ins Amt geholfen hat. Jeder von ihnen war in sofern Volks-Vertreter, als er bereit und in der Lage war, als Projektionsfläche zu fungieren. Dass sich solche Projektionen bisher noch immer als Vorspiegelung falscher Tatsachen entpuppt haben in der Wahrnehmung der „Fans“, liegt in der Natur der Politik.

     

    Kein Politiker, sei er auch noch so smart, kann in der Praxis 7,8 Millionen verschiedenen Projektionen gerecht werden. Und keinem Politiker genügt es auf die Dauer, nur Projektionsfläche zu sein. Macron mag ja in seiner eigenen Ich-Begeisterung einen Prototypen abgeben. Er ist aber weder eine eierlegende Wollmilchsau, noch wird er sich mit der Macht um der Macht willen zufrieden geben (können). Auch er wird konkrete Ziele verfolgen (müssen), auch ihn wird man benutzen wollen. Wenn er es also nicht bald schafft, seinem Marsch eine bestimmte, über die Ich-Begeisterung hinausgehende Richtung zu geben, wird er wahrscheinlich nicht weit kommen.

     

    Enttäuschte Liebhaber haben schon manch einem den Marsch geblasen.

  • 3G
    39562 (Profil gelöscht)

    Sehr schöner Beitrag.

     

    Und er bringt auf den Punkt, warum das mit Martin Schulz nichts werden kann. Sein "Gebrüll" auf dem/den Parteitag(en) - das war der Stil von gestern. Damit kann man nicht mehr gewinnen.

     

    Wer sich mit der zutiefst menschlichen Sehnsucht, als Individuum gesesehen zu werden, befasst, wird viele neue Antworten auf viele Fragen des Lebens und der Politik bekommen.