Kolumne Knapp überm Boulevard: Nur ideologisches Zuckerbrot
Political Correctness wird den Linken oft zum Vorwurf gemacht. Sie sei narzisstisch, moralistisch und lähme den Klassenkampf, also den richtigen.
Die tröstliche Bezeichnung lautet: Zyklus. Zyklus ist ein besserer Begriff als Unausweichlichkeit für das Gefühl, das einen angesichts der gegenwärtigen politischen Entwicklungen beschleicht. Ein Gefühl, das schon länger in einem schwelte, das aber mit der Trumpisierung unabweislich geworden ist: das Gefühl, das Politische sei zu so etwas wie einer Epidemie geworden, die Epidemie des Rechtspopulismus, oder zu einer tektonischen Verschiebung – auf jeden Fall etwas, dem man nichts entgegensetzen kann. Etwas, das man nicht gestaltet, beeinflusst, sondern das seinen Gang geht. Als wären politische Entwicklungen Naturereignisse. Da ist „Zyklus“ deutlich beruhigender.
Zur Beruhigung und zur Abwehr der eigenen apokalyptischen Neigungen dient das Genre der „Was tun?-Texte“. Ebenso wie die rituellen Selbstgeißelungen der Linken, die lieber selbst an der Misere schuld sein wollen, als dass sie einem widerfährt. Lieber hat man versagt. Politisches Flagellantentum ist immer noch besser als Nichtteilhabe an der Gestaltung des Geschehens.
Ich möchte dazu zwei Anmerkungen beisteuern. Die erste zur emphatischen Wiederentdeckung des Klassenkampfs. Dieser kehrt zurück wie ein Verdrängtes – als Symptom. Diese Rückbesinnung auf den Klassenkampf geht heute Hand in Hand mit einer Denunzierung der Political Correctness. Diese habe die Oberhand gewonnen, heißt es. Diese sei schuld daran, dass man, dass die Linke, den Klassenkampf, also den richtigen, aus den Augen verloren habe.
Die Anschuldigungen gegen die Political Correctness reichen vom Vorwurf des individualisierenden, narzisstischen Moralismus bis hin zur Behauptung, sie sei das Feigenblatt des Neoliberalismus – als wäre das Zugeständnis von gesellschaftlichen Freiheiten nur jenes ideologische Zuckerbrot, jene Ruhigstellung, hinter der die Ausbeutung ungeniert vorangetrieben werden könne.
Liberale Kultur ein Elitenprojekt?
Das ist die Lieblingsargumentation der Žižek-Fraktion, die damit Trumps eigene „Argumentation“ übernimmt: nämlich die, dass die liberale Kultur ein Elitenprojekt sei, das sich gegen die Arbeiter richtet. Es kommt gerade jetzt darauf an, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Deshalb muss man daran festhalten:
Wir haben es heute mit zwei Formen der Ungleichheit zu tun. Mit der „alten“ ökonomischen Ungleichheit, die die weiße Arbeiterklasse und den weißen Mittelstand betrifft. (Aber natürlich nicht nur diese.)
Und mit der „neuen“ Ungleichheit, der Ungleichheit der pluralisierten Gesellschaft: Diese ist die Diskriminierung, die Gruppen, Minderheiten betrifft – ein ebenso realer Ausschluss wie der andere. Diese zwei Arten von Ungleichheit bestehen nicht nur gleichzeitig, sondern diese Gleichzeitigkeit ist auch das Problem.
Die unmögliche Allianz
Die Rechten spielen die eine Ungleichheit gegen die andere aus: die abgehängte Arbeiterklasse gegen die diskriminierten Minderheiten. Das funktioniert offensichtlich. Die Linken hingegen stehen vor einem kaum lösbaren Problem: dem Problem, dass sich die beiden Ungleichheiten nicht verbinden lassen. Sie sind – mittlerweile – so gegeneinander gerichtet, dass es das eine, was nottäte, verunmöglicht: die strategische Allianz der Unterdrückten.
Zweitens möchte in Erinnerung rufen: Identitätspolitik wird nicht nur aufseiten der Political-Correctness-Fraktion betrieben (mit all ihren Exzessen). Das, was Trump und Konsorten tun, ist reine Identitätspolitik. Da liegt das weitere Problem einer Linken, die das Terrain der Auseinandersetzung wieder auf die soziale Frage verlagern will.
Deren Angebote – von Sozialdemokraten bis zur „Linken“– sind nicht mehr sexy. Warum? Weil die soziale Frage nicht nur von Zahlen handelte, sondern ein Identitätsangebot mittransportiert hat. Ein Identitätsangebot, das auf einem Arbeitsethos beruhte. Dieses Ethos greift heute nicht mehr.
Lohnarbeit kann in Zeiten schwindender Vollbeschäftigung und prekarisierter Arbeitsverhältnisse nicht mehr ein Ermächtigungsdiskurs sein. Und als Mittel gegen diese ökonomischen und narzisstischen Kränkungen ist das nationale Identitätsangebot (mit dem die „Linke“ ja auch immer wieder liebäugelt) als Ermächtigungsangebot, scheint’s, attraktiver.
Leser*innenkommentare
Oskar
Leider ist das nicht ganz falsch.
Die Liberalisierung der Gesellschaft war nach Weimar nie mehr das Projekt des klassischen Proletariats Was danach kam wurde vor allem erstritten von Aktivisten mit einem bürgerlichen Hintergrund die sich natürlicherweise mit Problemen befassen die sie selbst mehr betreffen
Prekarisierung, Arbeitslosigkeit ect sind nicht das Projekt einer mehr und mehr studentisch geprägten Linken
So wundert es umgekehrt eben auch nicht das sich die Arbeiterscahft nicht mit diesem Projekt identifizieren kann. Sie ist das Projekt einer anderen gesellschaftlichen Schicht.
Und die Kultur dieser höheren Schicht Schicht ist der Arbeiterschaft fremd aber gleichzeitig das Markenzeichen dieser bestimmten Schicht.
Ein großer Teil der Arbeiterschaft kann aufgrund seiner Lebenssituation mit den Themen"Gender " oder Homphobie nichts anfangen. Man ist dort mit seiner eigenen Unterdrückungsform beschäftigt und nicht mit Gender. Viele weiße Frauen Trump gewählt? Die Frage nach Jobs und Rente treibt sie einfach mehr um als die gender Gap. Dan verspricht offenbar selbst Trump diesen Leuten mehr als Clinton obwohl das von der Faktenlage her natürlich Unsinn ist.
Gleichzeitig wird die liberale Kultur als Teil von "denen da oben" als deren Markenzeichen gesehen. So ist der Keil zwischen das getrieben das für den Erfolg unbedingt zusammen gehört, Aktivisten und Arbeiter.
An dieser Stelle haken die Rechten unter, sie nutzen die Möglichkeit die Linke als Teil der Problems der Arbeiterklasse da zu stellen, sie auf eine Stufe zu stellen mit der deutschen Bank oder anderen Institutionen
Der Artikel ist gut geworden. Wirklich gut denn er beleuchtet eine Entwicklung die gefährlich ist.
Es gilt nun die Lücke zwischen den Lebenswirklichkeiten zu schließen. Wenn jemand das Gefühl hat man interessiert sich für seine Probleme dann wird der sich nach einer Zeit auch für die der Anderen interessieren. Es ist eine Frage der Zeit und der des Willens der Linken
Puschel_69
Was den Linken damals in den 68iger und später nochmals massiv in den 80iger Jahren eine politische und gesellschaftliche Heimat war, das hat leider längst ausgesdient. Der Kapitalismus, der Umstieg auf das Bequeme und der zunehmende Individualismus und Egoismus haben sicher ihren Teil dazu beigetragen. Heute begreifen sich Populisten, Fremdenfeinde, Homophobe und z. B. Nazis als "neue rechte Bewegung". "Vergessene"gehen wieder auf die Straße, treffen Gleichgesinnte und fühlen sich wieder beheimatet. Vom Gefühl her wohl gleichzusetzen mit den Anti-Atom-Demos der 80iger. Denen ist eine Politik á la Merkel schon links, wobei Die Groko alles andere als linke Politik betreibt. Und wer heute links wählen will, muss sozusagen das Original "Die Linke" wählen. Spätestens seit der Agenda 2010 betreibt die SPD eher eine mitte-rechts-Politik, ebenso wie die Grünen mit ihrer Klientelpolitik. Ist es denn gleich eine linke Politik, wenn Merkel 2015 den humanitären Imperativ ausruft und in Ungarn gestrandete Flüchtlinge aufnimmt? Es hätte vielleicht eine werden können, hätte sie die Humanität nicht aufgegenen, um den "Volksfrieden" zu bewahren. Letzteres, um wiedergewählt zu werden. Nach dem Stimmungsumschlung in der Bevölkerung ist Merkels Politik wieder extrem weit nach rechts gerutscht: Türkei-Deal, sichere Herkunftsstaaten, erleichterte Abschiebungen, Familiennachzug, nur subsidiärer Schutz
Solange linke Politik allenfalls in einer auf Dauer angelegten kleinen Oppositionspartei zu finden ist, sehe ich für eine Art linker Gegenbewegung schwarz.
hessebub
Absolut korrekt, dass es diese zwei Sorten Ungleichheit gibt. Trotzdem legen die Zizekianer ihren Finger in eine Wunde: die Grünen sind doch in weiten Teilen das klassische Beispiel einer inzwischen pseudo-linken Partei, die ihren Kuchen haben und essen will indem sie kapitalismusfreundliche Klientelpolitik für Besserverdienende betreibt und die Emanzipation in nicht klassendefinierten Gesellschaftbereichen als Beweis für ihre weiterhin progressiv-linke Gesinnung fördert. Linke Identitätspolitik mag im 20. Jahrhundert gerade in den USA eine unvermeidliche Reaktion auf die dortigen Machtstrukturen gewesen sein, aber sie wird zur Sackgasse in einer Zeit, in der Bündnisse gegen die neoliberale Hegemonie zwischen diversen benachteiligten Gruppen unabdingbar geworden sind. Neu ist das übrigens auch nicht, wussten schon die Black Panthers.