Kolumne Jung und dumm: Auslieferung verweigert
Ganz Deutschland steht in Wäschereien, um Pakete abzuholen. Onlinebestellungen nerven. Außer natürlich Essensbestellungen.
![Eine Angestellte im Lager von Amazon schiebt einen Wagen Eine Angestellte im Lager von Amazon schiebt einen Wagen](https://taz.de/picture/3163424/14/amazon_lager.jpeg)
E s gibt Geschickte und Gesandte; aber wenn man schon bei der Bestellung scheitert, wird es auch mit der Versendung schwierig. Das hat Amazon immerhin ganz gut geschafft, die praktischen Funktionierhürden für Tastenkaufdrücken im Internet so weit zu senken, dass an Hochtagen bald ganz Deutschland in schwiemeligen Wäschereien und zweideutigen Nageldesignstudios steht, um übergelaufene Paketquader abzuholen (weil man ja sonst erst ewig in den Laden gehen müsste, Ärger, Scherereien … Sie wissen schon).
Nun leben wir in einer Zeit, in der, unter anderem solcher Komforts wegen, eine Bundesministerin den gesammelten Hass aller Leute bekommt, nicht wenn sie wieder einmal den inzwischen leichtsinnigerweise totgeglaubten Heile-Familien-Kinderhandel neu beleben will (Mama, Papa, Retourenrabatt), sondern sie, wiewohl falsch, sich so verstehen lässt, als bereite diese ständige Liefer- und Bestellbereitschaft, diese unsichtbare Totalversiegelung aller Landschaft ihr Unbehagen; das tut es selbstverständlich nicht.
Mir aber schon.
Als ich aufwuchs, war S-Bahn-Surfen noch eine Straftat. Nun ist es staatlich erwünscht. Wenn die flächendeckende Supervernetzung in wenigen Jahren auch im Land der Faxstuben vollendet sein wird, gibt es selbst im Stillstand endlich nirgendwo mehr Ruhe.
Überall Bildschirme
Das ist schön, denn dann weiß man schließlich stets, was man schlecht finden kann an der Welt. Und wenn der Blick nirgendwohin gleiten kann, ohne auf einen Bildschirm zu treffen – wie falsch ist es, auf ihn draufzuschauen, ihn zu benutzen? Gar nicht. Eben.
Bestellen wir also, weil wir hungrig sind und überdies erstaunlich immobil, etwas zu essen. Kaum etwas nervt ja so sehr wie der alltägliche Kreislauf des Nährens und Verzehrens, Kochens, Kaufens und Rührens; Essen bestellen ist der göttliche Aufschub in dürftiger Zeit. Essen bestellen ist außerdem der Vorzeigetummelplatz für multimediale Gesellschaftssysteme des 21. Jahrhunderts, und als solcher umkämpft. Und als solcher versumpft.
Es könnte so schön sein, es scheint ja auch so. Glatte Oberflächen tragen über Auswählklippen, alles nahtlos, ohne Unterbrechung. Doch nachdem man sich halbe Stunden lang endlich absendefertig gekämpft, alle Daten verschenkt und sich dabei selbst zum Konsumenten gebrandet hat, folgt die große Enttäuschung: Mit Geld kann man hier nicht zahlen, nirgendwo, nur mit bedrucktem Plastik.
Wenn ich nicht wüsste, dass sich auch dieser letzten aller Demütigungen der Großteil meiner Altersgenossen reglos-willig fügt, die immerhin gespenstische, aber doch betastbare Realität einem noch smootheren Schwachsinn unterwirft, dann würde ich drohen: mit Rache, mit Blut. So bleibt mir nur die Erschöpfung. (Und, für die ganz Verwegenen, der Hinweis auf ein Abenteuer: online Gerichte beim Restaurant der Wahl aussuchen, dort anrufen, und Wort für Wort die Wahrheit sprechen.)
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