Kolumne Im Augenblick: Politischer Tanz
Das Newroz-Fest ist eine Feier der Freiheit und es Widerstands. Deshalb ist es für Kurd*innen so wichtig.
E s war ein Schock für mich, als die geplante Veranstaltung für das Newroz-Fest letztes Wochenende in Hannover seitens der Polizeidirektion verboten werden sollte. Eine vermeintliche Beziehung zur PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) war die Begründung. Eine falsche Begründung, wie das Verwaltungsgericht später entschieden hat.
Aber als die Nachricht vom Verbot kam, hatte ich für einen Augenblick gedacht, ich wäre in Syrien oder in der Türkei. Doch dann kam ich zu mir: Dort sind zwar fast alle politische Parteien verboten. Newroz kann man dort aber feiern. Denn Newroz, also Neujahr, ist nicht irgendein Fest, und es kann auch nicht von einer politischen Partei vereinnahmt werden.
Warum ist dieses Fest für die Kurd*innen denn so wichtig? Eine ähnliche Frage habe ich mal als Kind meinem Onkel gestellt. Wir waren am Abend vor dem 21. März, das ist der Newroztag, in der Stadt Qamishli unterwegs. Überall wurden Feuer gemacht, und drumherum tanzten die Leute, man sang und es wurden Süßigkeiten verteilt.
„Das Feuer ist für uns das Symbol der Freiheit und des Widerstandes“, sagte mein Onkel, und dann erzählte er mir den Newroz-Mythos: „Vor 2600 Jahren“, so ging die Geschichte, „gab es einen grausamen Tyrannen namens Duhak. Er hatte eine seltsame Krankheit: Auf seinen Schultern wuchsen zwei Schlangen. Um diese ruhig zu stellen und um nicht selbst von ihnen angegriffen zu werden, musste er ihnen täglich das Gehirn zweier Kinder zu fressen geben.“
Drei Kinder unterbrachen meinen Onkel in diesem Moment: Sie forderten Geld oder Süßigkeiten von ihm, und er beschenkte sie, wie es Brauch ist. Dann erzählte er weiter, wie der Henker jeden Tag immer wenigstens eines der beiden zum Opfer bestimmten Kinder freiließ und dessen Gehirn durch das eines Schafes ersetzte.
Ismail Ismail pendelt zwischen Lüneburg, Oldenburg und Hannover, wo er sich auf sein Studium vorbereitet. Was ihm unterwegs widerfährt und wem er begegnet, schreibt er hier auf.
„In den Bergen, wohin sie geflohen waren, errichteten die Davongekommenen mit der Zeit eine richtige Gesellschaft. Eines Tages aber entschied sich der Schmied Kawa zur Revolution gegen Duhak. Er enthauptete Duhak in seinem Palast, und dann entzündete er ein Feuer, zum Zeichen für die Menschen in den Bergen, dass der Tyrann tot sei und die Gefahr vorbei war. Und sie kamen aus ihrem Versteck und feierten die Befreiung“, so mein Onkel. „Von diesen Menschen aber stammen die Kurden ab.“
Dann schwieg er. Mit einem Holzstock stocherte er tief in Gedanken versunken in der Glut, um die Flammen anzuschüren. Nach einer Weile setzte er fort: „All diese Jahre hat dieses Volk immer zu Newroz seine Feuer angezündet und damit den Kampf für die Freiheit symbolisiert. Wir dürfen hier in Syrien jetzt feiern, weil mutige Menschen wie Syleiman Ade ihr Leben dafür geopfert haben. Mazlum Dogan verbrannte seinen Leib im Diyarbekir-Gefängnis um zu zeigen, dass Widerstand Leben ist und niemand uns unsere Freiheit rauben darf.“
Hier unterbrach ihn meine Großmutter: „Mazlum ist der Schmied Kawa unserer heutigen Zeit“, sagte sie. „Seitdem und wegen der Tapferkeit von Menschen wie ihm hat sich die Diktatur dem Willen dieses Volkes gebeugt und unfreiwillig das Newroz-Fest erlaubt“, bestätigte mein Onkel. Dann schloss er sich den Tanzenden an.
Als ich vor drei Jahren Newroz in Bonn gefeiert habe, habe ich mir zutiefst gewünscht, wieder mal in der Öffentlichkeit Newroz mit einem Feuer begehen zu dürfen, also so, wie es schon immer gewesen ist: Ein echtes Newroz feiern, mit Singen, Tanzen und Feuer! Ohne Feuer ist Newroz für mich wie ein aus Kunststoff erzeugter Baum.
Merkwürdigerweise war ich dieses Jahr froh, dass wir in Deutschland überhaupt feiern konnten, ohne gleich als Terroristen dargestellt zu werden.
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