Kolumne „Heult doch!“: In der Berliner Eltern-Blase
Gleichberechtigung ist noch längst keine ausgemachte Sache, weiß unsere Autorin und Mutter. Auch nicht an der Kaffeetafel bei Opa ICE.
N eulich war ich mit den Kindern bei Opa ICE. Opa ICE heißt so, weil man zu ihm mit dem Zug fahren muss, und zu dem anderen Opa, dem aus Berlin, nicht. So sortiert sich jedenfalls mein zweijähriger Sohn die Verwandtschaft auseinander. Opa ICE wohnt da, wo noch ein letzter Rest nordöstliches Ostwestfalen ins Niedersächsische ragt. Die Uroma hat jedenfalls Quark-Sahne-Torte gebacken, die Verwandtschaft hat Fragen. „Und, wie läuft’s in Berlin?“, fragen sie. Dann wollen sie wissen, wie viel ich arbeite, und wie viel mein Mann arbeitet, und wer sich denn dann nachmittags um die Kinder kümmere? Ich erzähle also Geschichten aus der fernen großen Stadt, von Ganztagsschulen und Kitas, die nachmittags ganz lange geöffnet haben. Hm, hm, sagt die Verwandtschaft. „Na, wenn du das alles so auf die Reihe bekommst, dann is’ ja gut.“
Nun ist es nicht etwa so, dass ich alleinerziehend wäre, oder die Verwandtschaft die Existenz meines Mannes vergessen hätte. Sie finden lediglich, dass die Kinder in erster Linie mein Job sind – und wenn ich unbedingt arbeiten gehen will, muss ich halt sehen, wie ich das hinkriege. „Tja, kannst du mal sehen, wie froh du sein kannst, dass ich dir so schön mit den Kindern helfe“, grinst mein Mann durchs Telefon. „Ja, da gratuliere ich mir auch“, sage ich.
Wenn man viel Zeit in der Berliner Eltern-Blase verbringt – insbesondere da, wo die Akademikerkinder zu Hause sind – kann man schon mal vergessen, dass das mit der Gleichberechtigung noch längst keine ausgemachte Sache ist. Denn natürlich nehmen die Väter Elternzeit, sie bringen die Kinder zur Kita, sie können wickeln, und gehen zum Kindertanz. Doch die Kaffeeklatschbemerkung meiner Niedersachsen-Verwandtschaft spiegelt eigentlich viel ehrlicher den Ist-Zustand der Republik wieder: nämlich den, dass Männer arbeiten gehen, und Frauen – tja, das irgendwie auf die Reihe kriegen, mit den Kindern und dem Job.
Moderne Großstadtväter
Denn auch der moderne Großstadtvater ist ja von der Statistik nicht gedeckt, man vergisst es nur leicht, wenn man gemeinsam beim Babyschwimmen planscht. Auch in Berlin nehmen vor allem Frauen die Elternzeitmonate, nämlich durchschnittlich zwölf von möglichen 14, wie das Statistische Bundesamt weiß. Und wenn die Mütter wieder arbeiten, dann tun zwei Drittel von ihnen das in Teilzeit. Bei den Männern? Schlappe sechs Prozent. Morgens, wenn ich den Kleinen zur Kita bringe, knien sehr viele Anzug-Väter mit mir in der Garderobe und fummeln ihren Kindern die Hausschuhe an die Füße, bevor sie ins Büro eilen. Nachmittags beim Abholen trifft man dagegen vor allem die Mütter. Die Väter sind längst überall? Ja, aber die Frauen gehen wegen der Kinder in Teilzeit.“
Damit ich nicht missverstanden werde: Ich finde es absolut okay, wenn frau beschließt, ein paar Jahre lang vor allem Mutter sein zu wollen. Ich finde nicht, dass die Entscheidung gegen Karriere und Vollzeitjob etwas ist, wofür sich jemand rechtfertigen muss.
Nur leider ist es eben meist keine Entscheidung, sondern ökonomischer Zwang, weil Männer die besser bezahlten Jobs haben. Mind the (gender pay) gap. Womit man dann doch wieder, der Kreis zum niedersächsischen Kaffeeklatsch schließt sich, bei der Haltungsfrage ist: Unternehmen entwickelten zwar die schönsten Ideen, wie man Kinder, Job und das bisschen Haushalt vereinbaren kann, sagte mir einmal ein Interviewpartner vom Fach – und denken dabei aber nur an ihre weiblichen Angestellten.
Wenn ich mir anschaue, was mein großer Sohn zuletzt zum „Vatertag“ in seiner Bastelmappe nach Hause trug, bezweifle ich, dass sich das in den nächsten ein, zwei Generationen ändert: Ein Bogen Papier, in Hemdform gefaltet, mit einem Stück Stoff draufgeklebt, das soll die Krawatte sein. Ich habe zum Muttertag letztes Jahr eine gebastelte „Damenhandtasche“ (O-Ton Sohn) bekommen. Liebe Kinder gebt fein Acht, Papa geht jetzt ins Büro, Mama geht einkaufen.
Ist bei uns zu Hause übrigens auch so, zumindest freitags. Ich arbeite in Teilzeit, mein Mann verdient mehr und arbeitet Vollzeit. Er findet, wir könnten das Modell fairer Weise ruhig mal umdrehen, aber Vollzeit ist bei meinem Arbeitgeber gerade nicht im Angebot. Ich hoffe, das bleibt so. Auch wenn die Gender-Statistik wahrscheinlich jede Vollzeit-Frau braucht: Ich habe meinen freitäglichen Mittagsschlaf einfach zu lieb gewonnen. Eher faul als unterdrückt also, sorry.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen