Kolumne Henningway: Ein Loch im Tag
Oberschenkelhalsbruch. Oder was daraus folgt, wenn man mit dem Fahrrad auf regennasser Fahrbahn in der Kurve weggeschmiert.
Oberschenkelhalsbruch ist ein Ungetüm von Wort. Aber sehr real für mich, denn ich bin mit meinem Fahrrad in der Kurve weggeschmiert. Und regennasse Fahrbahn und Blütenstaub kann eben Verderben bedeuten. Das Verderben heißt in meinem Fall Operation und Entschleunigung.
Das letzte Mal war ich 1981 im Krankenhaus. Ich hatte Eiter im Knie und musste eine Woche dort liegen, so lange, bis das Loch im Knie geheilt war. War es nicht auch im Mai? Ich hatte damals ein unfassbar wichtiges Basketballturnier verpasst und war so todtraurig, wie man mit 13 Jahren nur sein kann, wenn etwas passiert, was der Leidenschaft in die Quere kommt.
Damals hatte ich die „Ente“ kennengelernt und leider in der ersten Nacht im Bett neben sie gepinkelt. Mir war das Malheur furchtbar peinlich, und so habe ich nicht nach der Schwester gerufen. Nicht alles will erinnert werden. Dieses Mal kriege ich das mit der Ente gut hin, dafür rufe ich nach der Operation nachts nicht nach der Schwester, obwohl der Schmerz mich nicht schlafen lässt. Es passiert auch immer Neues im Krankenhaus.
Wieder zu Hause
Der Autor ist ehemaliger Basketballnationalspieler und Vizepräsident von Alba Berlin
Langsam „läuft“ das Leben, seitdem ich wieder zu Hause bin. Ich lese im Liegen, alle sind lieb und hilfsbereit und kommen ohne Blumen vorbei und ich genieße dazwischen die diversen Geräusche aus der Nachbarschaft und beobachte die Bäume ohne Äste und Blätter vor dem Fenster und frage mich, warum die eigentlich gerade in diesem Frühjahr so radikal gestutzt werden mussten.
Es geht immer viel schlimmer, sage ich mir und meine es auch so. Der Körper sagt, stimmt, und lässt die Rückenmuskeln, die es sich in dieser einen Lage schrecklich bequem gemacht haben, so verspannen, dass ich nachts schlimme Geräusche von mir gebe, wenn der Schmerz mich durchfährt – oh, ich liebe die Sprache! Den Besuch bitte ich, keine lustigen Sachen zu erzählen, denn Lachen ist Qual.
Aber mein Kopf ist heil und die Schmerzklopper sind endlich abgesetzt. Ich gewinne ein wenig Orientierung, meine ich zumindest zu merken. Ich kann mir ja auch schon selber die Socken anziehen. Traumatisiert vom Sturz bin ich trotzdem: Ich ziehe in Erwägung, einen Text zu schreiben, der den Fahrradhelm zum Thema hat. Der Physiotherapeut im Krankenhaus sagte mir, dass auch er lange Zeit ohne gefahren sei, aber dann wäre er ins Krankenhaus gekommen und seine erste Station dort sei die Neurologie gewesen. Seitdem fährt er immer mit.
Argumente für den Fahrradhelm
Was muss passieren, dass man versteht, was ein Helm mit einem macht? Ja, die Frisur leidet. Und ästhetisch mag es schwierig sein. Aber der Kopf ist geschützt. Komisch. Ich liege auf dem Bett, denke das und höre draußen Autoreifen über Pflastersteine rollen. Die Leute aus dem Viertel fahren raus in die Pampa, es ist Freitagnachmittag, es ist Mai, die Sonne strahlt, gleich sind hier eine Menge Parkplätze frei und es kehrt Ruhe ein. Sollen sie doch wegfahren. Mehr als die Hälfte aller Schwestern, Pfleger und Sanitäter, mit denen ich in den letzten Wochen geplaudert habe, haben einmal in meiner Nachbarschaft gewohnt.
Aber das ist lange her. Einer von ihnen erzählt mir im Krankentransportwagen, dass er jeden Tag die anderthalb Stunden von Schwedt in die Stadt pendelt. Der Song „Heute ist ein Loch im Tag“ von den „Quarks“ läuft gerade bei mir und das passt. In meinem Mai.
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