Kolumne Habibitus: Außergewöhnliche Alman-Magie

Schluss mit Unterdrückungs- und Empowermentneid: Kartoffeln können sich nun endlich über eigene Zauberkräfte freuen.

Sigmar Gabriel und Angela Merkel langweilen sich im Bundestag.

Mundwinkel bis in den Keller hängen: Kartoffeln sind ja auch nicht für ihre Herzlichkeit bekannt Foto: ap

Man gibt es ja nicht gerne zu, aber weißsein verliert – abgesehen von den ollen Privilegien – ganz schön an Attraktivität, während Personen of Color und Schwarze Personen sich im Zuge des Empowerments richtig zelebrieren können.

Nun werden Eigenschaften, die üblicherweise rassifiziert wurden, sogar schon von mediokren weißen Frauen wie dem Kardashian-Nachwuchs Kylie Jenner angeeignet: buschige Brauen und dicke Haare statt des üblichen Drei-Strähnen-Looks, richtig Junk In The Trunk statt dem Handy in der Arschtasche der Jeans als einzige Rundung, Braids statt Bauernzopf. Kurzum Black Girl Magic statt Merlins billigem Hokuspokus. Und es geht über Beauty-Trends hinaus.

Früher in Deutschland als eklig geltende Küche wie etwa die koreanische gilt jetzt als Szene-Essen. Außergewöhnliche Namen machen viel mehr her als Jochen und Otto, die mittlerweile als Beschimpfungen fungieren. Kein Grund zu Feiern für Kartoffeln? Nicht ganz. Deutsche haben nämlich ihre eigenen Superpowers. Sie brauchen gar kein gut gewürztes Essen oder aneignungswürdige Ästhetik in Mode, Musik und Make-up.

Ihre geheime Magie besteht nämlich darin, wie von Zauberhand die Gefühle von allen im Raum Anwesenden zu kontrollieren. Funktioniert meistens nur in eine Richtung, nämlich nach unten, aber das allein ist schon bemerkenswert. Ist euch das schon mal aufgefallen? Kartoffeln sind leicht und oft schlecht gelaunt.

In Deutschland lebend ist belastend

Dafür gibt es viele Gründe: Das deprimierende Wetter, das fade Essen, das miese Fernsehprogramm, die bemerkenswert hohe Quote, sich Wertgegenstände klauen zu lassen oder sie zu verlegen, zersplitterte Smartphone-Displays, enttäuschende Fußball­ergebnisse, geschlossene Läden, limitierende Gema-Regelungen, überall Hundescheiße auf der Straße, you name it. In Deutschland leben heißt unter belastenden Umständen leben.

Kein Wunder, dass allen die Mundwinkel bis in den Keller hängen. Kartoffeln sind ja auch nicht für ihre Herzlichkeit und Besonnenheit bekannt. Nicht mal Trump, der Hund, wollte Merkel die Hand geben. Wer es trotzdem schafft, sich diesen Wermutstropfen zu entziehen, dem machen Kartoffeln dann mit ihren Zauberkräften einen Strich durch die Rechnung. Wenn sie irgendwo oder irgendwas verloren haben beispielsweise, ziehen sie so lange eine Fresse und meckern darüber, dass andere nach einer Zeit das Gefühl haben, es sei ihr eigener Geldbeutel, der in der Mittagspause geklaut wurde.

Oder sie seien dran schuld und müssten ihnen nun vielleicht ihren eigenen geben, auf jeden Fall aber einen Kaffee oder ein Bier ausgeben, damit sich ihre Laune ein bisschen hebt und etwas Ruhe einkehrt. Wie es sich wohl anfühlt, wenn einer_einem das Auto gestohlen, ein lauwarmes Bier serviert, an der Kasse der falsche Betrag abgerechnet, die Kieselsteine in der Einfahrt durcheinander gebracht werden oder das Abitur nicht bestanden zu haben, kann ich mir mittlerweile originalgetreu vorstellen, weil es Kartoffeln in meinem Umfeld bereits erlebt und mir das Gefühl übertragen haben. Wenn das keine außergewöhnliche Alman-Magie ist, was ist es dann?

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Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.

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