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Kolumne Gott und die WeltFeinsinnige Unterscheidungen

Die ARD bezeichnet den Völkermord an den Armeniern als „Massaker“. Der Sender gibt sich so, als stünde er bereits unter Erdogans Kontrolle.

„Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau“: Erdogan beim G20-Gipfel Foto: dpa

Wäre es nicht wahr, man könnte es nicht glauben: Ausgerechnet die öffentlich-rechtlichen Fernseh­sender der Bundesrepublik Deutschland, namentlich die ARD, geben sich so, als ob sie schon jetzt unter der Kontrolle des türkischen Premiers Erdoğan stehen. Anlässlich des Verwirrspiels um die angebliche Nichtdistanzierung der deutschen Regierung von der Resolution des Bundestags zum Völkermord des Osmanischen Reichs an den Armeniern verlasen die Nachrichtensprecher einen Text, in dem davon die Rede war, „dass die von der Türkei begangenen Massaker an den Armeniern vom Deutschen Bundestag als Völkermord“ bezeichnet worden seien.

Das aber bedeutet nichts anderes, als dass sich die Redaktion der ARD in feinsinniger Weise die Differenzierung von „Massaker“ und „Völkermord“ zu eigen gemacht hat. Während es nicht einmal in der Türkei strittig ist, dass 1915/16 etwa 1,5 Millionen armenische Kinder, Frauen und Männer von osmanischen Truppen in die Wüste getrieben und zu Tode gebracht wurden, darf man es nicht behaupten, da dies eine gezielte Vernichtungsmaßnahme der damaligen osmanischen Regierung war.

Wenn man will, ähnelt die Unterscheidung von „Massaker“ und „Genozid“ der strafrechtlichen Unterscheidung von „Totschlag“ und „Mord“. Während „Totschlag“ etwas ist, das jemandem schon einmal passieren kann – sei es aufgrund von Affekten, mangelnder situativer Kontrolle oder sonstigen unglücklichen Umständen, gilt Mord stets als eine Handlung, die vorsätzlich begangen wird – wobei es hier unerheblich ist, ob die in der NS-Zeit hinzugefügte Qualifikation „aus niederen Beweggründen“ tatsächlich sinnvoll ist. „Massaker“, so will uns die Unterscheidung sagen, kommen im Zusammenleben politischer, religiöser, nationaler oder ethnischer Gruppen eben immer mal vor, stellen gleichsam soziale Naturkatastrophen dar, während erst Geno­zide als politisch und moralisch verwerflich gelten – Massaker sind zu bedauern, Genozide zu verurteilen.

Der Begriff des Genozids selbst wurde von dem Juristen Raphael Lemkin anlässlich des Völkermords an den Arme­niern erstmals erwogen, 1943 in Kooperation mit der polnischen Exilregierung anlässlich der Greueltaten der Nationalsozialisten in Polen von ihm begrifflich und systematisch geschärft – 1948 dann machte sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen den Begriff zu eigen. „Genozid“ ist auch nach deutschem Recht eine Straftat: Paragraf 6 des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs führt „Genozid“ als Straftatbestand auf.

Was also mag die ARD-Nachrichtenredaktion bewogen haben, das, was tatsächlich geschehen ist, die Ermordung von anderthalb Millionen Menschen, lediglich als „Massaker“ zu bezeichnen und sich der Bewertung „Genozid“ zu enthalten? Eine pseudojuristische Rechtfertigung lautet, dass es sich um „Genozid“ nicht gehandelt haben könne, da dieser Tatbestand erst mehr als dreißig Jahre später juristisch in Kraft gesetzt worden sei. Die Einordnung aber sei Sache der Gerichte, nicht politischer oder medialer Gremien.

Kein Öl ins Feuer gießen

Dann müsste man sich allerdings auch fragen, ob es legitim ist, zu behaupten, dass französische Heere unter Leitung dominikanischer Mönche einen Genozid an den katharischen Albigensern verübt haben? Als die Franzosen 1209 Béziers erstürmten, gaben ihre Anführer die Parole aus: „Tötet sie alle – Gott wird die Seinen schon erkennen“ und ermordeten etwa 20.000 Menschen. Ist historisch und juristisch ungebildet, wer diese Taten als Völkermord bezeichnet?

Falls dies doch zulässig sein sollte, warum ist es dann unzulässig, den Mord an den Armeniern – sie selbst bezeichnen ihn als „Aghet“ – als „Genozid“ zu bezeichnen? Die ARD, das dürfte jetzt deutlich geworden sein, hat sich mit seiner feinsinnigen Unterscheidung seines bisher untadeligen Rufs als unabhängige Rundfunkanstalt entledigt und sich in vorauseilendem Gehorsam als Staatsfernsehen der Bundesregierung offenbart. Die Argumente? Kann man sich denken: „Nur kein Öl ins Feuer gießen – wir müssen schließlich an das Wohl unserer Korrespondenten am Bosporus denken …“

Zur Erinnerung: Kurz vor dem Polenfeldzug, im August 1939, soll Adolf Hitler seinen Generälen zugerufen haben: „Wer denkt heute noch an die Ermordung der Armenier?“

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10 Kommentare

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  • Bei der ARD fällt schon lange auf, vielleicht mal von den Tagesthemen abgesehen, dass sie gerne die Diktatoren und Tyrannen und Wirtschaftsleute unterstützen, z.B. generell die Stellungsnahmen Putins nachplappern, aber die Stimme der demokratischen Revolution in der Ukraine unterschlagen. Regierungspolitik zählt, Zivilgesellschaft gar nicht.

    Als ich einmal Avnerys Kritik an Netanyahu und Co zitierte, wurde gar mein kleiner blogbeitrag als "antisemitisch" gelöscht (mein Adjektiv "rechtsextreme Politik" hatte das ausgelöst, das war keine neonazi-Gegenprojektion auf Israel).

     

    Bis auf Arte gucke ich schon lange nicht mehr diese per Zwangsabgabe finanzierten Programme, die gleichzeitig unfähig sind, neben dem panem/Brot die wichtigsten circensis/Spiele z.B. der Champions League oder der Bundesliga zu übertragen.

    Die ARD muss der politischen Kontrolle des Programmrats(CDU und SPD) entrissen u. anders finanziert werden. Ausser schlecht konstruierten Krimiskripts und Romanzen hat sie in der Hauptsendezeit nichts zu bieten. Trockenbrot und toter Zirkus.

  • Ich kann die Argumentation auch durchaus nachvollziehen, halte sie aber insgesamt für überzogen.

     

    Wie @Mowgli auch anmerkt, besteht die Frage, wie man es sonst formulieren sollte.

     

    Um darüber zu sprechen braucht man eben auch das "Was", also was der Bundestag als Völkermord bezeichnet.

     

    Ihrer Logik nach hätte man nur "Völkermord" oder "Genozid" als das "Was" verwenden dürfen, denn alles andere wäre ja ein Kuschen vor Erdogan.

     

    "Der Bundestag hat den Völkermord als solchen bezeichnet." wäre der einzige Satz, der Ihrer Logik nach korrekt wäre. So sehr ich diesem an sich Satz auch zustimmen mag, so halte ich ihn doch für tendenziös, was ja bei einer unabhängigen Berichterstattung nicht sein sollte.

     

    Ihre folgenden Ausführung, dass ein "lediglich" Massaker zu einem Völkermord steht wie Totschlag zu Mord, kann ich ehrlich gesagt schon von den Begrifflichkeiten her nicht nachvollziehen.

  • Irgendwoher muss der Begriff "Lügenpresse" ja kommen. Jetzt haben wir also deutsche Medien, die vor Erdogan kuschen und die Willensäußerungen der deutschen Gemeinschaft, die diese über den deutschen Bundestag kundgetan hat, schlicht ignoriert - und das ganze mit den Gebühren eben dieser deutschen Gemeinschaft - eigentlich eine Frechheit!

  • 1G
    1393 (Profil gelöscht)

    Machen wir uns nichts vor, nachdem hier der "Türke" schon als Sozialschmarotzer, Beschneidungskinderverstümmeler, Inzestbehindertekindererzeuger und nun als Diktatorgeiler Islamistterrorunterstützer herhalten muss, sind natürlich die todbringenden Maßnahmen der damaligen Jungtürkischen Regierung immer ein willkommener Anlass, den Türken als Verteidiger dieses mutmaßlichen Genozids darzustellen und damit abzuwerten.

     

    Was erwartet eine Redaktion von einem Artikel, die mit einer Lüge(!) aufwartet, dass unter den "Türken" kein Zweifel über 1,5 Millionen Ermordete geben würde?

     

    Tatsache ist, dass in der Türkei Zahlen um 500.000 gängig sind und Zweifel darüber herrschen, dass dies eine gezielte Ermordundsabsicht war.

     

    Leider gibt es hier in Deutschland, wo Türken regelmäßig übles nachgesagt wird, keine wissenschaftlich rationale Betrachtung:

     

    Fakt1) Der Arm. Regierung steht es nach wie vor frei, beim IGH einen Völkermord anzuklagen, wenn es denn einer war.

     

    Fakt2) Die hist. Zusammenhänge, dass sich Türkei in einem dreifronten Selbstverteidigungsüberlebenskrieg befand, wo in der Türkei hunderttausende Türken, wohl eher in Millionengröße Menschen an Lebensmittel&Medizinmangel gestorben sind, spielen hier nie eine Rolle. INSBESONDERE der Umstand nicht, dass armenische Freischärler in der Osttürkei einen Staat gründen wollten, trotzdem sie dort nur ca 20-30% der Bevölkerung gestellt haben. Wer wiss. hist. Urteile fällt, wird die ethnischen Reinheit in Armenien, wo die Moslems verschwunden sind, nicht ignorieren und folgern, was das für die Nichtchristen in der Osttürkei bedeutet hätte.

     

    Fakt3) Wenn 1&2 unerwähnt bleibt, kann es um keine ernsthafte Aufarbeitung geben, in der man nun mal den türk. Überlebenskampf mit Millionen Toten gegen imperiale Europäer und die Rolle der Kurden bei der Vertreibung nicht ausblenden kann!

     

    Fakt4) Mit Lügen und Zensur kann man heute nicht mehr vermeiden, dass sich die Menschen selber informieren.

  • "Lügenpresse" - der Begriff kommt nicht aus dem Nichts!

  • Hm. Jetzt wird also nicht nur von Muslimen erwartet, dass sie jedem "Unglauben" abschwören und sich zum "einzig wahren Glauben" bekennen, sondern auch von "den" Medien, hier in Gestalt der ARD.

     

    Bei allem Respekt für das Bekenntnis des Deutschen Bundestages (ich wünschte wirklich, die Damen und Herren Abgeordneten würden sich nur halb so entschieden zu den eigenen, aktuellen Fehlern und Versäumnissen bekennen) - ich finde, Micha Brumlik geht zu weit.

     

    Die Tagesschau soll informieren, nicht indoktrinieren. Eine Nachrichtensendung, die Partei ist, taugt nichts, das weiß der DDR-Bürger in mir aus Erfahrung. Judith Rakers und Jan Hofer sind weder Imame noch Kantoren. Sie sind nicht einmal Pressesprecher des Bundestages. Sie sollen Zuschauer in die Lage versetzen, sich selbst ein Urteil zu bilden. Und dazu ist es nun mal nötig, einen Streit abzubilden, nicht bloß das Ergebnis einer Bundestagsentscheidung darüber.

     

    Gut, man kann darüber streiten, ob das gelungen ist. Aber Micha Brumlik scheint mir irgendwie Opfer seiner eigenen Emotionen geworden zu sein. Verständlich, das. Wir Deutschen tun ja doch sehr gut daran, uns selbst immer mal wieder mit unserer Vergangenheit zu konfrontieren – wenn es schon andre nicht mehr tun. "Wehret den Anfängen", mag B. gedacht haben. Nur: War das ein Anfang?

     

    Wer die Entscheidung des Bundestages kommunizieren will, der muss sie abheben. Es ergibt keinen großen Sinn zu melden: "Der von der Türkei begangene Genozid an den Armeniern ist vom Deutschen Bundestag als Völkermord bezeichnet worden." Der Bildungsbürger grinst sonst bloß und sagt: "Die können ja tatsächlich noch Altgriechisch und Latein, die Abgeordneten."

     

    Mag ja sein, dass es Mord war und kein Unfall oder Totschlag. So, wie auch der Massenmord ab 1941 keine "soziale Naturkatastrophe[]" gewesen ist. Aber zwischen Mord und Totschlag zu unterscheiden, ist Aufgabe von Gerichten, nicht von Abgeordneten oder Journalisten. Die Gewaltenteilung hat ja schließlich einen Grund.

  • Werter Herr Brumlik -

     

    Ich verstehe was Sie sagen wollen mit Ihrer ernsten Warnung.

     

    Aber -

     

    "…zum Völkermord des Osmanischen Reichs an den Armeniern verlasen die Nachrichtensprecher einen Text, in dem davon die Rede war, „dass die von der Türkei begangenen Massaker an den Armeniern vom Deutschen Bundestag als Völkermord“ bezeichnet worden seien.…"

     

    Zu Ihren Vorwurf dazu - gebe ich folgendes zu - Bedenken:

     

    "Massaker ist der umgangssprachliche Ausdruck für einen Massenmord unter besonders grausamen Umständen, einGemetzel oder Blutbad, häufig im Zusammenhang mit Motiven wie Hass oder Rache. Das Wort leitet sich vomaltfranzösischen maçacre, „Schlachthaus“, her.

     

    In kriegerischen Konflikten versteht man darunter normalerweise die politisch oder ethnisch motivierte Hinrichtungvon Zivilpersonen, Soldaten oderparamilitärischen Kräften nach derenKapitulation oder nach der Kapitulation ihrer Stadt beziehungsweise ihres Dorfes. Massaker sind somit Massenmorde, die von bewaffneten Einheiten ohne militärische Notwendigkeit außerhalb der eigentlichen Kriegshandlungen verübt werden. Sie dienen der Verbreitung vonTerror oder der Abschreckung oder sie sind als systematische Rache- und Strafaktion organisiert. Bei Massakern größeren Ausmaßes an Menschen, die nach ihrer (nationalen, religiösen, ...) Gruppenzugehörigkeit ausgesucht werden, handelt es sich unter Umständen um Völkermord.

     

    Im Völkerrecht werden genauer definierte Begriffe wie Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwendet, weil die Bezeichnung Massaker unscharfe Nebenbedeutungen mit sich trägt und deshalb propagandistisch leichter missbraucht werden kann.…" https://de.m.wikipedia.org/wiki/Massaker

     

    ff

    • @Lowandorder:

      ff

       

      Massaker bezeichnet also allein Handlungen - & zwar unscharf - Daher im Strafrecht wg des Bestimmtheitsgebots nicht verwendbar - aber in einem Nachrichtentext?!

       

      Ein Strafgericht dürfte also nicht urteilen - "Die Angeklagten werden aufgrund der Massaker in … usw usf gemäß § 6 des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs wg „Genozid“ verurteilt." - klar!

       

      Totschlag & Mord - Herr Brumlik - von Ihnen angezogen - sind aber & zwar beide! - Strafrechtsnormen!!: Auch wenn diese Begriffe - wie Massaker auch - umgangssprachlich "unscharf" gebraucht werden.

       

      So in etwa - mit Verlaub.

      Was - anders gewendet - hätte

      Als Nachricht - wohlgemerkt -

      Gesagt werden sollen?!