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Kolumne Geht’s noch?Kapitalismushintergrund

Heiko Werning
Kolumne
von Heiko Werning

Der Bombenleger von Dortmund hatte wohl Unerhörtes im Sinn: Geld verdienen auf Kosten von Menschenleben. Das kannte man so bisher natürlich nicht.

Terror mit Börsenhintergrund? Kann doch nicht wahr sein Foto: @TOM

N ichts ist spannender als Wirtschaft: Nach der vermutlichen Aufklärung des Bombenanschlags auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund erweist sich der alte Slogan der Wirtschaftswoche als geradezu prophetisch. Denn der Attentäter hat offenbar keinen islamistischen, sondern einen Börsenhintergrund.

Statt 72 Jungfrauen lockten ihn 3 Millionen Euro Rendite. Dafür hat er streng ökonomisch-rational gehandelt: Am besten verdient hätte er, wenn möglichst viele Dortmunder Spieler umgekommen wären. Nun ist das Entsetzen über diese Variante der Gewinnoptimierung groß. Geldverdienen auf Kosten von Menschenleben! Hat es so etwas jemals gegeben in der Geschichte des Kapitalismus?

Gegen die Kritik an der Entscheidung, das Spiel einen Tag nach dem Anschlag zu wiederholen, wurde eingewendet, es gebe nun mal zwingende Sachgründe (sprich: wirtschaftliche Notwendigkeiten), außerdem sei es ein wichtiges Zeichen gegen den Terror. Und was sagt uns dieses Zeichen nun? Dass die Wertschöpfungskette nicht unterbrochen werden darf, nur weil dabei ein paar Leute draufgehen? So viel zur Symbolik.

Natürlich ist die Tat von Dortmund in besonderer Weise erschreckend. Denn anders als etwa bei Lebensmittelspekulationen oder Finanztransaktionen in der Öl-, Textil- oder Technologiebranche gab es diesmal nicht abstrakte indirekte Opfer in irgendwelchen Entwicklungsländern, sondern es waren ganz reale Auswirkungen auf Champions-League-Ergebnisse zu befürchten, und da hört der Spaß nun mal auf. Einen solchen Anschlag auf unsere westlichen Werte können wir uns nicht gefallen lassen.

taz.am wochenende 22./23. April

In Frankreich wird gewählt. Für Europa geht es um viel. Die taz.am wochenende vom 22./23. April setzt auf europäische Freundschaft – und hat die KollegInnen der französischen Libération eingeladen, die Zeitung mitzugestalten. Außerdem: Smartphones im Unterricht? Da kriegen manche Lehrer Ausschlag. Aber ist es vielleicht trotzdem die Zukunft? Ein Gespräch mit Schauspieler Tom Schilling über Krawatten und Mitte-30-Sein. Und: Philipp Maußhardt vereint die englische und die spanische Küche. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

Observiert Christian Lindner!

Was aber tun? Muss der Verfassungsschutz künftig nicht nur islamistische Hassprediger, sondern auch Christian Lindner observieren?

Werden Börsianer demnächst als Gefährder mit elektronischen Fußfesseln gesichert?

Müssen die Waffengesetze auf Optionsscheine ausgeweitet werden? Und wird der Wirtschaftsteil der FAZ endgültig als Terrorpropaganda verboten?

Immerhin, eine neue Debatte über den Umgang mit Ausländern dürfte dieser Terroranschlag, obwohl der ­Täter Deutschrusse war, nicht auslösen. Denn anders als bei all den Isla­misten kann man diesmal wohl festhalten: Integration weitgehend ge­lungen.

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Heiko Werning
Autor
Heiko Werning ist Reptilienforscher aus Berufung, Froschbeschützer aus Notwendigkeit, Schriftsteller aus Gründen und Liedermacher aus Leidenschaft. Er studierte Technischen Umweltschutz und Geographie an der TU Berlin. Er tritt sonntags bei der Berliner „Reformbühne Heim & Welt“ und donnerstags bei den Weddinger „Brauseboys“ auf und schreibt regelmäßig für Taz und Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: „Vom Wedding verweht“ (Edition Tiamat).
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18 Kommentare

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  • Hätte er doch ein Utopia ohne Fußball zum Ziel gehabt. Das wäre revolutionär!

  • „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, {...} 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“

     

    Ein Zitat von P.J. Dunning (1860), das Karl Marx in einer Fußnote im „Kapital“ bekannt machte.

  • Lustig, die ganzen Kommentare, die empört dem Satz "Das kannte man so bisher natürlich nicht" aus dem Artikel widersprechen und dabei den ironischen Sarkasmus des Artikels komplett überlesen.

     

    Sauguter Artikel, Herr Werning - klug, beißend, kapitalismuskritisch, triefend sarkastischer Humor zum ernsten Thema. So mag ich die taz - auch wenn sie immer weniger so ist und die Aussage scheint's leider nicht von allen kapiert wird.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Eigentlich ist das nur eine höhere Form der Wegelagerei und des Räubertums - Menschen ermorden um sich selbst zu bereichern - das hats vorm Kapitalismus gegeben , wird es vermutlich auch nachm Kapitalismus geben.

  • Der Kapitalismus geht über Leichen. Das ist ja keine neue Erkenntnis.

    Dass dies jedoch unmittelbar und unter Umgehung der Exportwirtschaft und der Lohn- und Sozial-Dumping betreibenden Firmen geschieht, ist ein ungewohntes Szenario.

  • Eine Antwort wäre, entnommen aus Twitter:

    "Nach Anschlag Dortmund: Trump sichert Merkel Solidarität zu und kündigt mehr Mittel zur Auslöschung der Kapitalistenmiliz an"

    https://twitter.com/zoolooy/status/855497704880971782

  • Ich vermute der "Idiot" hat sich die Strategie bei Rüstungskonzernen abgeschaut und um eine abartige direktere Variante erweitert.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Schon fast beruhigend, dass es sie auch noch gibt:

     

    Diese ganz profanen geldgierigen, über Leichen gehenden Kapitalverbrecher.

  • Genau so isses!

    Danke für diesen treffenden Kommentar!

  • Würde es nicht um Menschenleben gehen, wäre das Ganze ja eine schöne Pointe. Der Kapitalismus frisst seine Kinder.

  • "Das kannte man so bisher natürlich nicht." ....?

     

    Abgasskandal -> durch Schadstoffe sterben Menschen; die Tabaklobby; Schleuser, die Flüchtlinge in Schlauchboten transportieren; Urwaldrohdung; Gammelfleischskandale; Kosten für in Entwicklungsländern notwendige Impfungen werden hochgehalten; usw. usf.

     

    Unterschied ist nur der Vorsatz statt der üblichen Fahrlässigkeit.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Warner Schwester Dot:

      Schon was dran, aber der Vergleich hinkt.

      Der Bombenleger hatte es aus niederer Geldgier auf ganz bestimmte Menschen einer kleinen Gruppe abgesehen und kannte die beabsichtigten Opfer zumindest aus den Medien.

      Die Opfer aus Ihren Beispielen bleiben aber stets anonym.

      • @571 (Profil gelöscht):

        Nicht zu vergessen - wär er nicht schnell entlarvt worden, wärs wieder an den üblichen Verdächtigen hängen geblieben, besonders perfide.

  • Hat es so etwas jemals gegeben in der Geschichte des Kapitalismus?

     

    Der Kapitalismus funktioniert nur auf Kosten der Mitmenschen und Ressourcen. Für den Kapitalismus sind Menschen auch nur Ressourcen und nur von Bedeutung, wenn sie Gewinn einbringen.

    Unter anderen, wird z.B. bei Waffenhändlern, das Töten billigend in Kauf genommen.

    Wir haben in Deutschland jedes Jahr mehr Tote im Straßenverkehr als bei 9/11 umgekommen sind. Dies wird zu Gunsten der Autoindustrie billigend in Kauf genommen.

  • Die Antwort kannte heute nach BVB - gleich wieder -

    FrozenThomas DeHugo'nott - in bekannt vollintegrierter -

    Staatlich - Gefährder Manier!

    Nur "das Glasauge schaute menschlicher!"

    Normal.

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Gesichtserkennung

      • @571 (Profil gelöscht):

        So - wie alle die mir irgendswie mal mitläufig waren -;) & ab von couleur &

        Na. - aber sowas von - aber Hallo!

        Stante pede & subbito - "ihre"

        Schlapphutakte "an Land zogen!"

        Werden solcherart Leporellos -

        ",Schlotternde Lumuren aus Sehnen Bändern&Gebein…" Niemals!

        Nichemal probeweise dorten eingespeist werden - vllt.

        Denn dich zu unappetitlich - wa!

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Lowandorder:

          In diesem speziellen Fall bedarf es glaub' ich keiner "Einspeisung"...