piwik no script img

Kolumne Fremd und befremdlichIm Nirwana

Kolumne
von Katrin Seddig

Mein Besuch in einem Kundenzentrum der Stadt Hamburg wurde zu einer verdichteten Erfahrung von Ruhe und Stillstand.

Existentielle Erfahrung: Warten in einem Hamburger Kundenzentrum Foto: dpa

Lange Wartezeiten in Hamburgs Kundenzentren“, las ich letzte Woche auf der Seite vom NDR. Es sei eine „angespannte Situation in den Kundenzentren“, sagte Claas Ricker von der Finanzbehörde dem NDR im Interview.

Ich war selbst gerade in der Situation, dass ich einen Termin bei der Behörde machen musste, weil ich mich ummelden musste. Zwei Wochen hat man Zeit, sagt das Gesetz, innerhalb von zwei Wochen soll man sich umgemeldet haben. Aber wie, wenn man arbeiten geht, und es keinen freien Termin innerhalb von zwei Wochen im Kundenzentrum gibt? Und fast möchte man meinen, dass es so ist, dass es kaum bis gar keine freien Termine gibt. Aber so ist es gar nicht. Es sieht nur so aus, als gäbe es keine, aber am nächsten Tag gibt es da plötzlich einen, zwei, drei freie Termine.

Im Grunde kann man an jedem Tag zu fast jeder Stunde in irgendeinem Kundenzentrum Hamburgs einen Termin bekommen, auch wenn es zu manchen Zeiten gar nicht so aussieht, man kann im Grunde sogar drauf vertrauen. Wenn ich jetzt, zum Beispiel, an einem Montag um 11:41 Uhr im Bürgerservice „online-termine“ auf netapoint.de einen Termin zur Ummeldung innerhalb Hamburgs suche, dann könnte ich sofort heute um 14:10 Uhr, um 14:15 Uhr oder um 14:20 Uhr einen Termin im Kundenzentrum Billstedt bekommen, oder um 13:45 Uhr oder um 13:50 Uhr im Kundenzentrum Eimsbüttel, ferner gibt es heute freie Termine in Lokstedt oder Rahlstedt, oder morgen früh in Blankenese. Morgen sieht die Sache dann schon wieder anders aus, aber freie Termine gibt es immer irgendwo (wenn auch vielleicht nicht in Altona).

Setzt man sich dann in den Bus und fährt zum Beispiel in das Kundenzentrum Hamburg-Nord in der Lenhartzstraße, dann ist das so: Man betritt einen mit Teppichboden ausgelegten Raum, in dem einen ein Schild darauf hinweist, dass man, sofern man bereits eine Nummer hat, sich gerne dem Warten hingeben kann, man braucht sich dann nicht an die Information zu wenden. Da die meisten Menschen eine Nummer haben, braucht sich eigentlich niemand an die Information zu wenden, außer den wegen vielerlei Dinge in ihrem Leben erbosten Menschen, welche mit den Mitarbeitern erbittert wegen Sachverhalten streiten möchten, wie zum Beispiel Vordrucken.

Die Dinge verdichteten sich zur Essenz unseres Daseins in der Behörde und in der Welt
Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

An diesem Tag, an dem ich im Kundenzentrum Hamburg-Nord meine Ummeldung vorzunehmen gedachte, war das Kundenzentrum nur mäßig besucht. Die Sitze waren leer, eine staubige Ruhe lag im Raum und interessiert betrachtete ich die elektrische Anzeige, auf der irgendwann unsere Zahl auftauchen würde. Es beunruhigte mich, dass bereits sehr viel höhere Zahlen aufgerufen wurden als unsere. Es saßen einige Mitarbeiterinnen ruhig hinter ihren Tischen und schienen sich ebenso dem Warten hinzugeben wie wir. Ich sagte zu meinem Freund: „Lass uns da doch hingehen, diese Mitarbeiterinnen haben doch nichts zu tun, da können sie doch uns schon dran nehmen“.

„Nein“, sagte mein Freund, „da steht es doch, dass wir warten müssen, bis unsere Nummer aufgerufen wird.“

Unser Termin war erst in 20 Minuten angesetzt, und da warteten wir. Es wurden einige Nummern aufgerufen, mehrfach, deren dazugehörige Bürger aber offensichtlich allesamt nicht erschienen. Das ausgeklügelte System erlaubt es anscheinend nicht, dass in der für die nicht erscheinenden Bürger eingeplanten Zeit, andere Bürger einzuschieben oder vorzuziehen.

So saßen wir da und betrachteten sehnsüchtig die Anzeigetafel und den Teppichboden und die Uhrzeiger, und ich fühlte, wie sich die Dinge in diesem Zustand der Ruhe und des Stillstandes verdichteten, zu der Essenz unseres Daseins in der Behörde und in der Welt. Da sind wir in dem Kästchen, das für uns vorgesehen ist. Und das selbst, wenn wir nicht da sind. Auch als Abwesende sind wir immerhin ein Kästchen, eine Umrandung, in dessen Rahmen unsere Abwesenheit stattfindet. Außerhalb dieses Kästchens aber sind wir ein Nichts.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!