Kolumne Fremd und befremdlich: Kinder sind auch nur Menschen
In Hamburg hat ein Café, das kleinen Kindern den Zutritt verwehrt, viel Unmut auf sich gezogen. Ich finde es Okay, dass es solche Cafés gibt.
Ich liebe Kinder“, sagt jemand zu mir. „Wirklich, alle?“, frage ich zurück. Ich persönlich liebe Kinder so sehr oder gar nicht, wie ich Menschen liebe. Wenige liebe ich, einige mag ich, und der Rest ist mir egal oder ich lehne ihn sogar ab. Manche Menschen lösen Gefühle von Abscheu in mir aus. Kinder sind ja auch nur Menschen und ich sehe wirklich nicht, wie man sie alle lieben können soll. Manche Kinder können wirklich sehr unangenehm sein.
Ich sehe allerdings ein, dass man an Kinder nicht dieselben Ansprüche stellen kann, wie an Erwachsene. Kinder lernen ja noch das ganze Benehmen und Sich-in-die-Gesellschaft-einfügen. Man muss es ihnen nachsehen, dass sie zuweilen sehr laut herumschreien oder ihre körperlichen Bedürfnisse offen und ungehemmt ausleben möchten. Sie wissen oder sie können es noch nicht besser.
„Es sind ja Kinder“, sagen die Leute dann, und dieser Spruch ist gar nicht mal so selten von einem etwas verkniffenem Lächeln begleitet. Denn die Sache ist ja die, auch wenn wir wissen, dass Kinder nur Kinder sind, dass es also unsere Aufgabe ist, über das Geschrei oder das Gespucke, das Rumgerenne und Getobe hinwegzusehen, uns großzügig und verständnisvoll zu zeigen, auch dann stört uns diese Begleiterscheinung der Kinder zuweilen nicht wenig. Wir zeigen es nicht, aber es stört uns.
Ich möchte an dieser Stelle gerne erwähnen, dass auch Erwachsene sich auf diese Art benehmen, zum Beispiel nach dem Genuss von Alkohol, beim Karneval, Schlagermove oder Fußballspiel, und dann möchte ich des Weiteren erwähnen, dass es Kinder gibt, die durchaus eine Stunde still auf einem Stuhl sitzen können, während die Eltern einen Kaffee trinken, aber das ist ein anderes Thema.
ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.
Als ich nach der schweren Geburt meines zweiten Kindes das erste Mal in einem guten Restaurant essen ging – endlich hatten wir einen Babysitter, endlich hatte ich wieder elegante Kleidung an, die nicht bespuckt war –, da saß uns gegenüber eine junge Familie mit Baby, und das Baby schrie. Sie versuchten, es zu beruhigen, aber es ließ sich nicht beruhigen. Da brach ich in Tränen aus.
Über dieses Thema habe ich viel diskutiert seither. Warum, dachte ich damals, müssen sie mit dem Baby in dieses gute Restaurant gehen? Warum, wenn es nun mal so ist, und das Baby schreit, können sie jetzt nicht gehen? Weil sie auch ein Recht auf ein gesellschaftliches Leben haben, sagen einige. Aber ich? Habe ich kein Recht auf ein ruhiges Essen? Das habe ich gesagt und da scheiden sich die Geister.
Es kam vor kurzem zu einem Farbanschlag auf ein Café in Hamburg, das Kindern unter sechs Jahren den Zutritt verwehrt. Kinderfeindlich finden die Menschen das. Ich finde es OK, dass es Cafés gibt, in denen keine kleinen Kinder rumtoben. Gerade weil ich selber Kinder habe. Ich liebe nicht alle Kinder, und selbst die, die ich liebe, stören mich mitunter. Wenn es sehr viele Cafés gibt, in denen kleine Kinder willkommen sind, warum soll es dann nicht auch einzelne Cafés geben, die den Bedürfnissen von Menschen wie mir entgegenkommen?
Kein Eintritt in Raucherkneipen, Bars, Clubs und Spielhallen
Handelt es sich um Diskriminierung? Die Kinder werden weder aufgrund ihrer religiösen Orientierung, noch aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe ausgeschlossen. In allen Raucherkneipen ist Kindern in Deutschland übrigens auch der Zutritt untersagt. Ebenso in Bars, Clubs und Spielhallen. Da ist es unbestritten, dass ein Kind in eine solche, für das Kind schädliche Atmosphäre, nicht mitgenommen werden darf. Aber ist denn ganz allein nur das Wohl des Kindes von Bedeutung?
Ich, als erwachsener Mensch, bin ich nicht ebenso wichtig und bedeutsam für die Gesellschaft wie jedes Kind? Ich bemühe mich um ein solidarisches und rücksichtsvolles Leben, ich leiste meinen Teil in dieser Gesellschaft, und kann ich nicht erwarten, dass auch meine Bedürfnisse respektiert werden? Und wenn es dazu auch ein paar Orte braucht, an denen keine kleinen Kinder rumschreien?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe