Kolumne Fremd und befremdlich: Generation Abbruch
Die meisten Handwerksberufe führen heute nur noch zu stumpfen Dienstleistungen. Deshalb brauchen wir uns über Azubis, die ihre Lehre abbrechen, nicht zu wundern.
J ede/r achte Auszubildende in Niedersachsen bricht die Lehre ab. Unter den Köchen ist es sogar jede/r zweite. War das früher anders? War es besser? Waren die Jugendlichen früher besser? Lag das daran, dass man strenger mit ihnen war?
Die Älteren, also die Jugendlichen von damals, die sind dieser Ansicht. Ich bin auch eine Ältere, ich habe viele Sachen in meiner Jugend begonnen und abgebrochen. Ich bin die Königin der Abbrecherinnen. Ich habe Ausbildungen versucht, diverse Studiengänge, ich wechselte die Arbeitsstellen, die Wohnungen. Ich war ein Mensch der neuen Anfänge. Ich sehe mich aus diesen Gründen nicht in der Position, die Jugendlichen von heute zu verurteilen.
Tatsächlich war es früher aber anders. Tatsächlich haben meine Klassenkameraden damals alle ihre Ausbildung beendet und würden vermutlich, wenn nicht die DDR vorbeigegangen wäre, alle immer noch in diesen Berufen arbeiten.
Sie würden nicht besonders viel verdienen, aber sie hätten ein bisschen was gespart, einen Garten, ein Häuschen. So ist das Leben gewesen. Und jetzt ist es anders. Jetzt lässt sich mit dem Einkommen eines Kochs und einer Friseurin kein Haus mehr zusammensparen. Jetzt gibt es aber Köche, die können sich Villen leisten. Jetzt kennen wir diese Köche, weil sie im Fernsehen sind.
Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.
Die Jugendlichen meiner Zeit wollten Friseurin werden, Kindergärtnerin, Kfz-Mechaniker. Ich hatte eine Klassenkameradin, die hatte kein anderes Ziel, als Friseurin zu werden. Es war so, dass die Friseurinnen in der Kleinstadt jemand waren. Es war eine Ehre, sie zu kennen.
Angesehene Bäcker
Ähnlich war es mit anderen Berufsbildern. Die Kinder vom Bäcker, vom Fotografen, die waren angesehen, die lernten die selben Berufe wie ihre Eltern und übernahmen das Geschäft. Und darum schien es wohl erstrebenswert, einen solchen Beruf zu lernen, um am Ende eine ebensolche Größe zu werden.
Heute arbeiten die Friseure bei mir um die Ecke für den Mindestlohn. Kaum jemand kennt sie, und diese Friseurläden verschwinden so schnell, wie sie entstehen. Warum soll ein Jugendlicher so eine Karriere für erstrebenswert halten? Warum soll er nicht nach höheren Früchten greifen und sich den Fernsehkoch als Vorbild wählen? Der Fernsehkoch lebt ein großartiges Leben, er bekommt Anerkennung, Ruhm.
Wenn ich ein Jugendlicher wäre, ich würde auch solche Träume wählen, statt der realistischeren, als ausgebeuteter Koch im Niedriglohnsektor arbeiten zu dürfen. Das Problem sind nicht die Jugendlichen, die Erwartungen haben, die unrealistisch sind, die Träume haben, die utopisch sind, das Problem sind die Verhältnisse, die den Jugendlichen oft keine wirklich gute Wahl lassen.
Maurer in Anzügen
Mein Vater war Maurer und wir haben dies als Kinder gern erzählt. Wir waren stolz auf diesen Beruf unseres Vaters. Die Maurer, die ich hier auf den Baustellen sehe, die tragen keine weißen Anzüge mehr, wie mein Vater sie Zeit seines Lebens trug, sie sind unausgebildet und können sich kaum verständigen, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Wer denkt denn jetzt noch mit Stolz und Freude daran, ein Maurer zu werden? Und ist es denn die Schuld der Jugendlichen oder ist es die der Gesellschaft, die solchen Handwerksberufen kaum mehr Wertschätzung entgegenbringt?
Wie kann man dem Jugendlichen sagen, er solle froh sein, einen solchen Beruf lernen zu dürfen, wenn am Ende aber keiner so froh über eine Handwerksleistung ist, als dass er sie anständig vergüten würde? Es ist doch so, dass aufgrund dieser Entwicklung, die meisten ehemaligen Handwerksberufe nur noch in stumpfen Dienstleistungen münden. Es werden nur noch im Akkord Räder gewechselt oder Brötchen „fertiggebacken“.
Wir kaufen Industriemöbel und Aufbackbrötchen, und unsere Jugend, das ist nun mal unsere Saat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!