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Kolumne Fremd und befremdlichGeneration Abbruch

Kolumne
von Katrin Seddig

Die meisten Handwerksberufe führen heute nur noch zu stumpfen Dienstleistungen. Deshalb brauchen wir uns über Azubis, die ihre Lehre abbrechen, nicht zu wundern.

Waren früher angesehen und sind es heute nicht mehr: Maurer Foto: dpa

J ede/r achte Auszubildende in Niedersachsen bricht die Lehre ab. Unter den Köchen ist es sogar jede/r zweite. War das früher anders? War es besser? Waren die Jugendlichen früher besser? Lag das daran, dass man strenger mit ihnen war?

Die Älteren, also die Jugendlichen von damals, die sind dieser Ansicht. Ich bin auch eine Ältere, ich habe viele Sachen in meiner Jugend begonnen und abgebrochen. Ich bin die Königin der Abbrecherinnen. Ich habe Ausbildungen versucht, diverse Studiengänge, ich wechselte die Arbeitsstellen, die Wohnungen. Ich war ein Mensch der neuen Anfänge. Ich sehe mich aus diesen Gründen nicht in der Position, die Jugendlichen von heute zu verurteilen.

Tatsächlich war es früher aber anders. Tatsächlich haben meine Klassenkameraden damals alle ihre Ausbildung beendet und würden vermutlich, wenn nicht die DDR vorbeigegangen wäre, alle immer noch in diesen Berufen arbeiten.

Sie würden nicht besonders viel verdienen, aber sie hätten ein bisschen was gespart, einen Garten, ein Häuschen. So ist das Leben gewesen. Und jetzt ist es anders. Jetzt lässt sich mit dem Einkommen eines Kochs und einer Friseurin kein Haus mehr zusammensparen. Jetzt gibt es aber Köche, die können sich Villen leisten. Jetzt kennen wir diese Köche, weil sie im Fernsehen sind.

Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Die Jugendlichen meiner Zeit wollten Friseurin werden, Kindergärtnerin, Kfz-Mechaniker. Ich hatte eine Klassenkameradin, die hatte kein anderes Ziel, als Friseurin zu werden. Es war so, dass die Friseurinnen in der Kleinstadt jemand waren. Es war eine Ehre, sie zu kennen.

Angesehene Bäcker

Ähnlich war es mit anderen Berufsbildern. Die Kinder vom Bäcker, vom Fotografen, die waren angesehen, die lernten die selben Berufe wie ihre Eltern und übernahmen das Geschäft. Und darum schien es wohl erstrebenswert, einen solchen Beruf zu lernen, um am Ende eine ebensolche Größe zu werden.

Heute arbeiten die Friseure bei mir um die Ecke für den Mindestlohn. Kaum jemand kennt sie, und diese Friseurläden verschwinden so schnell, wie sie entstehen. Warum soll ein Jugendlicher so eine Karriere für erstrebenswert halten? Warum soll er nicht nach höheren Früchten greifen und sich den Fernsehkoch als Vorbild wählen? Der Fernsehkoch lebt ein großartiges Leben, er bekommt Anerkennung, Ruhm.

Wenn ich ein Jugendlicher wäre, ich würde auch solche Träume wählen, statt der realistischeren, als ausgebeuteter Koch im Niedriglohnsektor arbeiten zu dürfen. Das Problem sind nicht die Jugendlichen, die Erwartungen haben, die unrealistisch sind, die Träume haben, die utopisch sind, das Problem sind die Verhältnisse, die den Jugendlichen oft keine wirklich gute Wahl lassen.

Maurer in Anzügen

Mein Vater war Maurer und wir haben dies als Kinder gern erzählt. Wir waren stolz auf diesen Beruf unseres Vaters. Die Maurer, die ich hier auf den Baustellen sehe, die tragen keine weißen Anzüge mehr, wie mein Vater sie Zeit seines Lebens trug, sie sind unausgebildet und können sich kaum verständigen, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Wer denkt denn jetzt noch mit Stolz und Freude daran, ein Maurer zu werden? Und ist es denn die Schuld der Jugendlichen oder ist es die der Gesellschaft, die solchen Handwerksberufen kaum mehr Wertschätzung entgegenbringt?

Wie kann man dem Jugendlichen sagen, er solle froh sein, einen solchen Beruf lernen zu dürfen, wenn am Ende aber keiner so froh über eine Handwerksleistung ist, als dass er sie anständig vergüten würde? Es ist doch so, dass aufgrund dieser Entwicklung, die meisten ehemaligen Handwerksberufe nur noch in stumpfen Dienstleistungen münden. Es werden nur noch im Akkord Räder gewechselt oder Brötchen „fertiggebacken“.

Wir kaufen Industriemöbel und Aufbackbrötchen, und unsere Jugend, das ist nun mal unsere Saat.

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12 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Was ist gleich eine Kolumne? Eine journalistische Meinungsbildung. Das ist doch wohl gelungen. Inhaltlich sind viele Kommentare zur Kolumne deutlich besser! Drei von vier gewerblichen Auszubildenden, die mir beruflich über den Weg laufen sind: uninteressiert, lahmarschig, smartphoneverliebt, wohnen bei Mutti, pennen bei Soffie, kommen ständig zu spät, vergessen Werkzeug, vergessen Schutzkleidung und sind überdurchschnittlich oft krank. Sorry vielmals!

  • Der gemeinsame Nenner all der unterschiedlichen (Teil-)Fragen ist, dass sich im Trend niemand mehr verschulden will.

  • Eines der Probleme ist, das man selbst mit einem Gehalt das satt über dem Durchschnitt liegt, sich einen gut ausgebildeten deutschen Handwerker eigentlich nicht mehr leisten kann (mal abgesehen das derren Preise oft abartig sind - mir hat n Erdbauer mal aus Unwissenheit 1300€ abgeknöpft für eine Leistung die max. 500€ wert war - und selbst dabei habe ich noch großzügig gerechnet.)

     

    jahrelang niedrige Löhne und wie sagte es mein Kollege: er kennt keinen Handwerker ohne Haus und fettes Auto (also der Besitzer des Betriebes)... sorgen dafür das deutsches Handwerk langsam ausstirbt. Außerdem, als damals die Jugoslawen hier Zuflucht suchte meinte mal n Handwerker: Toll, hier arbeitet jetzt sogar einer mit Doktortiltel (als Maler) - denkt selbstständig und man muss alles nur einmal sagen.

    • @danny schneider:

      Meinten Sie, Sie können sich den Handwerker nicht mehr leisten, oder den Betrieb, bei dem er arbeitet? :-)

       

      Es könnte sich auch um einen Hinweis darauf handeln, dass Ihr Einkommen, ich sage mal mutig 'Lohn', zu gering (geworden ist).

  • Wer Aufbackbrötchen kauft und beim Discounter Billigware aus irgendwelchen Nahrungsmittelfabriken, hat es vielleicht auch nicht besser verdient. Auch Mandy und Kevin aus dem Hatz-IV-Haushalt wollen im Angeberzeitalter mithalten können und sind froh, daß es KIK, Takko & Co. gibt. Daß das "fair" gehandelte Shirt hundert Euro kostet anstatt drei, ist für den sozial Benachteiligten kaufentscheidend. Um im Dorf jemand zu sein, muß es Wertschätzung geben. Die gibt es nicht nur heute nicht mehr. Ganz im Gegenteil sogar. Wer Bäcker, Maurer oder Schlachter lernen "muß", wird als dämlich gedisst. Wie ist es zu dieser andauernden Angeber- und Wichtigtuerei gekommen ? Wenn ein Fußballspieler nach einem Spiel gefragt wird, ob das Spiel denn gutgewesen sei, antwortet er heute ungefähr so: "Also auf die Fragestellung nach der spielerischen Qualität in bezug auf unser Ergebnis, würd ich Ihnen da persönlich eher ein Stück weit im emotional negativen Bereich antworten wollen." Noch vor einiger Zeit wäre die Antwort gewesen:"Nein". Die Entwicklung ist befremdlich. Aber es machen irgendwie auch fast alle mit. Es gibt keine "Fragen" mehr, sondern nur noch "Fragestellungen". Ein "technisches" Problem, ist heute immer ein "technologisches" und das "extrem" rein logischerweise einen nicht steigerbaren Wert darstellt, ficht keinen an, von noch "extremerem" Wetter zu schwadronieren. Diese neunmalkluge Gespreiztheit ist überall. Haben alle auf einmalMinderwertigkeitskomplexe oder was ist passiert ?

  • "Es ist doch so, dass aufgrund dieser Entwicklung, die meisten ehemaligen Handwerksberufe nur noch in stumpfen Dienstleistungen münden. Es werden nur noch im Akkord Räder gewechselt oder Brötchen „fertiggebacken“.

    Woher haben Sie denn diese Weisheit, Frau Seddig?

    Nur zu Ihrer Information:

    Ein Mechaniker hat weit mehr Aufgaben als "Räder wechseln" und in den "Backshops" in denen die Teiglinge "fertiggebacken" werden, arbeiten keine Bäcker.

    Zudem schließen Sie in diesem Satz von subjektiv gefühlten "Image" des Berufs und dessen Vergütung auf die Anforderungen an die Fachkraft. Wie kommen Sie darauf?

    Vielleicht weil Maurer und Friseurinnen in der DDR heiß begehrt für feierabendliche Freundschaftsdienste waren und Verkäufer über die Bückware herrschten?

    Mal umgekehrt und ganz direkt gedacht:

    In Ihrem Artikel "Hamburg kann wirtschaften. Ich nicht" vom 17. Januar beschreiben Sie ihre prekären Verhältnisse. Nach Ihrer Argumentation muss ich nun darauf schießen, dass Sie lediglich "stumpfe Dienstleistungen" anbieten und besser davon geträumt hätten, eine Joanne K. Rowling zu sein.

    Das Problem der Auszubildenden im Handwerk ist vor allem, dass ihnen zumeist grundlegende Kenntnisse un Fertigkeiten fehlen. Als Ausbilder und Prüfer der Handwerkskammer kann ich dies durchaus beurteilen.

    Es ist eine groteske Lernunwilligkeit zu beobachten, gerade weil vollkommen realitätsfern von einer Karriere als "GNTM" oder "DSDS" oder zumindest "Schauspieler*in oder Sänger*in" geträumt wird.

    • @Saccharomyces cerevisiae:

      Danke, Sie sparen mir die Mühe die Richtigen Worte zu finden.

    • @Saccharomyces cerevisiae:

      ++