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Kolumne Fremd und befremdlichEin Mittel der Vertuschung

Kolumne
von Katrin Seddig

Demonstrierenden ist das Vermummen verboten, Polizisten nicht. Der Staat will dadurch Überlegenheit herstellen. Aber mit welchem Recht?

Wollen nicht erkannt werden: Polizisten bei einer G20-Demonstration auf der Reeperbahn Foto: dpa

S ollen Polizisten Nummern tragen, nach denen sie später identifizierbar wären?, fragt sich nur wenig motiviert die Hamburgische Bürgerschaft. Unser Stadtteilpolizist hat ein Gesicht. Er hat den Kindern in der Schule erklärt, wie man über die Straße geht und was man tut, wenn ein Fremder einen anspricht. Jetzt sind die Kinder groß, er spaziert immer noch durch den Stadtteil, und ich grüße ihn.

Anders war es, wenn ich Polizisten gegenüber stand, die einen Helm trugen, die ganz in schwarz gekleidet waren und keine Augen hatten, keine Münder, aber Knüppel dabei und Schilder. Wenn ich solchen Polizisten gegenüber stand, dann klopfte mein Herz. Diese Polizisten konnten direkt in mein Gesicht starren, ohne dass ich es auch nur bemerkte, ich konnte nur auf ihren Plastikkopf sehen. Dass ich selber gar keine Art von Helm tragen oder mich schützen hätte dürfen, das brachte mich stets in Aufruhr. Sie können mich sehen, dachte ich, und ich sie nicht.

Ich weiß natürlich, dass Polizisten diese Helme zu ihrem Schutz tragen. Und dann weiß ich weiter, dass ich aber nicht berechtigt bin, mich während einer Demonstration zu schützen. Sie dürfen sich schützen, ich darf es nicht. Sie können mich sehen, ich sie nicht. Das Gesichtslose hat mich immer aggressiv gemacht. Es ist, wie wenn man hinter einem venezianischen Spiegel auf der Seite der Unwissenden steht, während auf der anderen Seite die Wissenden mich beobachten. Es wird eine staatliche Überlegenheit hergestellt.

Im Falle eines idealen Staates, im Falle einer idealen Polizei wäre das vielleicht ok. Denn die Polizei soll ja den Bürger beschützen. Aber es gibt keinen idealen Staat und keine ideale Polizei. Das liegt vor allem daran, dass die ganze Polizei aus Menschen besteht.

Menschen sind fehlerhaft. Manchmal machen Polizisten Fehler. Manchmal begehen sie Straftaten. Damit demonstrierende Menschen nicht unerkannt Straftaten begehen, ist ihnen das Vermummen verboten. Warum dies für Polizisten nicht gelten soll, das leuchtet mir nicht ein. Was fürchtet ein Polizist die Wiedererkennbarkeit?

Wenn ich solchen Polizisten gegenüber stand, dann klopfte mein Herz

Wenn ich auf einer Demonstration bin, dann werde ich nicht nur gesehen von all diesen Polizisten, ich werde zuweilen gefilmt. Öfter hat schon ein Polizist mir seine Kamera direkt in mein Gesicht gehalten, obwohl ich niemals einen Stein geworfen oder sonst eine strafrechtliche Handlung begangen habe.

Ich bin überhaupt kein Straftäter, ich tue nichts Verbotenes, im Gegenteil, ich sorge mich um die Welt. Ich möchte ein guter, ein verantwortungsvoller Mensch sein. Aber, wenn ich auf eine Demonstration gehe, werde ich vorsorglich wie ein Straftäter angesehen. Weil ich unter anderen bin, unter denen Straftäter sein könnten. Das trifft aber auch auf Polizisten zu.

Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ ist kürzlich bei Rowohlt Berlin erschienen.

Was kann es für einen Grund geben, sie nicht wiedererkennen zu wollen, durch, zum Beispiel, eine anonymisierte Kennzeichnung? In Hamburg sind sie bisher dagegen gewesen. Die Polizeigewerkschaft ist dagegen. Es ist die Rede von Generalverdacht, unter die man Polizisten nicht stellen will. Aber was ist mit mir? Warum stehe ich, nach dieser Logik, unter Generalverdacht?

Ich gehe, ebenso wie der Polizist, nicht zu meinem Vergnügen auf die Straße. Aber der Polizist wird bezahlt. Ich engagiere mich in meiner Freizeit für Dinge, die mir wichtig sind, und die auch das Leben des Polizisten betreffen können. Was schützt man denn, wenn man den Polizisten anonym agieren lässt? Und warum hält man ihn in diesem Agieren für schützenswerter als mich?

Ich finde, Polizisten sollten zu dem, was sie in ihrer Arbeitszeit tun, stehen. Mit ihrem Namen. Sie sollten sich verantwortlich fühlen, ein Vorbild sein. Sie repräsentieren den Staat, Recht und Gesetz, und in dieser Funktion sollten sie nichts vertuschen und verheimlichen wollen, es sollten ihnen alle Möglichkeiten dazu entzogen werden, denn wie will man Rechtschaffenheit vom Bürger einfordern, wenn der Polizei so an Mitteln der Vertuschung liegt?

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11 Kommentare

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  • Vermummen kann für Polizist_innen dann gerechtfertigt sein, wenn sie sonst das Risiko eingehen würden, in ihrem Privatleben verfolgt zu werden. Eine Identifikationsnummer dagegen birgt dieses Risiko nicht. Daher sollte eine Vermummung von Polizist_innen nur dann zulässig sein, wenn diese eine entsprechende Nummer tragen. Das Argument "Generalverdacht" kommt gerade von den Innenministern, die dabei sind, die Totalüberwachung zu etablieren. Wer die Identifizierbarkeit als "Generalverdacht" sieht, sollte auch Nummernschilder an Autos abschaffen. Doch selbst die Polizeifahrzeuge haben Nummernschilder - fragt sich vielleicht, wie lange noch...

  • Ich bin am Flughafen stets genervt, wenn ich durch die Scanner und meine Getränke abgeben muss, nur weil ab und zu ein Terrorist ein Flugzeug hoch jagt. Ich hasse diese Terroristen dann regelmäßig ganz besonders. Es gehört wohl dazu.

     

    Das gleiche gilt auch für die Polizisten. Sie müssen sich bei jedem Wetter in Vollmontur bei jeder Xbiliebigen Demo aufstellen, nur weil ein paar durchgedrehte Hornochsen Steine und anderes werfen. Schuld sind also nicht die Polizisten, sondern ebend jene Hornochsen. Es gehört halt dazu. Hassen Sie einfach diese steinewerfenden Hornochsen.

     

    Mit einem Generalverdacht gegen den einzelnen Demonstranten hat das nix zu zun. Als Vielflieger sehe ich mich jedenfalls auch nicht unter dem Gerneralverdacht eines Flugzeugbombers.

    • @DiMa:

      Schauen Sie sich mal die Videos von der genehmigten Demo „Welcome to hell“ an. Dann werden Sie sehen, dass „vermummte“ Polizisten zuschlugen, bevor ein Stein flog. Leider ist die Welt nicht so, wie wir sie uns wünschen oder zurechtlegen.

      • @Senza Parole:

        Meinen Sie etwa dieses Video: https://www.youtube.com/watch?v=Tl_pSZpH09s

         

        Vermumte, die Falschen und Böller auf die Polizisten werfen, nachdem bereits im Vorfeld der Demo angekündigt worden war, die Polizeikräfte "zu umfließen". Ein besseres Beispiel hätt ich für meine Argumentation nicht finden können. Besten Dank dafür.

        • @DiMa:

          Nee, ich meinte eher dieses z.B. : //digitalpresent.tagesspiegel.de/die-unerhoerte-luege-des-olaf-schulz

           

          Wer sich natürlich, wie Sie, lediglich auf Polizeivideos bezieht, wird nicht erfahren, was von Seiten der Polizei gemacht wurde. Da machen Sie das gleiche, wie das Hamburger Abendblatt, dass immer nur die Polizeipressemitteilungen abschreibt und für bare Münze verkauft.

          Vielleicht sollten Sie besser mal auf eine entsprechende Demo gehen und dann schauen, was da teilweise los. Bei der Gelegenheit, nicht dass ich Flaschen- und Steinewerfen auf Polizisten billige, aber das Thema war ja auch die Kennzeichnung von vermummten Polizisten und die ist dringend notwendig, wie auch diese Fälle zeigen:

           

          1) https://www.youtube.com/watch?v=DVqtKXeZrsw

           

          2)https://mmm.verdi.de/beruf/dann-kann-man-nicht-mehr-von-freier-presse-reden-24368

           

          Sind zwar schon etwas her, aber sehr eindrucksvoll. Merkwürdig, dass sich die Polizeigewerkschaften und Leute wie Sie sich dagegen wehren. Wenn sich die Polizisten einwandfrei verhalten, haben sie nichts zu befürchten.

          Apropos G 20, es laufen gut 100 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten, aber bisher wurde kein einziger angeklagt. Im Gegensatz dazu wurden Demonstranten, die vermeintlich Flaschen auf gepanzerte Polizisten geworfen haben zu drakonischen Strafen verurteilt.

          • @Senza Parole:

            Nach Ihrem Artikel habe ich lediglich bei Google "Welcome to hell" und "Polizei" eingegeben und bin als erstes auf dieses Video gestoßen.

             

            Bei dem von Ihnen veröffentlichten Video "Jolly Rogers" fliegt ein Gegenstand (0:45; wahrscheinlich eine kleine Flasche) aus der Menge auf die Polizisten, bevor es zu den ersten ernsthaften Auseinandersetzungen kommt. Wie in meinem Kommentar geschrieben, es gibt die Gefahr, dass Gegenstände von einzelnen Hornochsen auf Polizisten geworfen werden. Das Werfen von Gegenständen ist vom Demonstrationsrecht übrigens nicht gedeckt.

  • In einem "idealen Staat" wäre auf einer Demonstration gar keine Polizei nötig, weil es keine gewalttätigen Ausschreitungen gäbe.

  • Die Fragen, die Katrin Sedding stellt, hatte ich auch. Inzwischen kann ich sie beantworten. Auch, wenn ich davon ausgehe, dass Katrin Sedding ihre Fragen rein rhetorisch meint (wer fragt, der führt), möchte ich meine Antworten teilen. Wäre ja schade drum.

     

    Sollen Polizisten Nummern tragen, nach denen sie später identifizierbar wären? Natürlich. Die Prinzipien demokratischer Rechtsstaaten gelten für Bürger in Uniform nicht weniger als für solche ohne.

     

    Was fürchten Polizisten? „Den“ Polizisten gibt es nicht. Polizisten fürchten Unterschiedliches. Die Rache solcher Täter z.B., die Polizisten stellvertretend hassen oder Gesetze absichtlich brechen und das auch künftig tun wollen. Oder Strafen für Fehler, die ihnen im Affekt unterlaufen. Vor Gericht weiß man ja schließlich nie... Oder, dass der Rechtsstaat zu „lasch“ ist, Hilfe beim „Durchgreifen“ braucht und dabei nicht erwischt werden will. Die Aufzählung ist nicht abschließend.

     

    Welchen Grund gibt es für eine anonymisierte Kennzeichnung? Ungeteilte Herrschaft. „Schwarze Schafe“ sollen den Schutz der Herde nicht verlieren. Vorgesetzte sollen – i.S. patriarchaler Traditionen – das erste Zugriffs- und das Selektionsrecht in Bezug auf Delinquenten haben.

     

    Warum steht nach der Logik der Polizeigewerkschaft Bürger unter Generalverdacht, Polizisten aber nicht? Weil die Polizeigewerkschafter a) selbst Polizisten sind und b) Interessenvertreter von Polizisten sein wollen, nicht von Polizeiopfern.

     

    Was schützt man, wenn man den Polizisten anonym agieren lässt? Den Staus Quo. Man schützt einzelne Polizisten, aber auch Willkür, Machtmissbrauch, die Angst der Massen vor der Macht und damit die Machtverhältnisse ganz allgemein.

     

    Wie will eine Polizei, die ihre Fehler vertuscht, Rechtschaffenheit vom Bürger einfordern? Gar nicht. Schließlich: Aus dem Umstand, dass Bürger Recht und Unrecht nicht gut unterscheiden können, beziehen alle Machthaber in allen Staaten ihre angebliche Legitimität (Herrschaftswissen, Adels-Privileg).

  • Zum „Generalverdacht“: Diese Aussage ist ein groteskes Ablenkungsmanöver, bei der zudem ein an der Integrität des einzelnen Polizisten, der einzelnen Polizistin behauptet wird, wo es um den Zweifel an der allumfassenden inte3grität staatlichen Zwangshandelns insgesamt geht. Nicht „Obermeisterin Meier“ wird misstraut, sondern dem Staat an sich. UND DIES ZURECHT, DENN DARAUF FUSST JEDE MODERENE WESTLICHE VERFASSUNG. (Sorry für das Geschrei, aber die Ignoranz öffentlicher Stellen gegenüber basalsten Kenntnisse von Staatsrechts-Theorie ist manchmal nicht mehr auszuhalten.)

    Der ganze Grundrechtekatalog des GG ist auf den Generalverdacht möglichen staatlichen Fehlverhaltens gegründet, sonst bräuchte man gar keine kodifizierten Abwehrrechte gegen den Staat! Wenn der Staat allgütig und unfehlbar ist, dann braucht es keinen Artikel 1 GG. Da wir diesen aber haben, muss wohl jemand (die Mütter und Väter des GG, alles hochangesehen JuristInnen, nicht der schwarze Block…) dem Staat misstraut haben. Auch die anderen Artikel des Grundrechtskataloges strotzen vor einem gesunden Misstrauen gegenüber dem grotesken Bild des unfehlbaren, sich immer richtigen verhaltenden Staates. Gerade Art.19 belegt dies nachdrücklich: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt…“ Das habe ja keine linken Fanatiker ins GG geschrieben.

    Wollen die Politiker, welche in einer Kennzeichnungspflicht etwas ehrenrühriges Sehen evtl. auch Art.19 ändern? Diese Leute verachten insgeheim das GG: Sie wollen dass es schön klingt, aber angewendet soll es nicht werden! Da fällt einem der gute alte Degenhardt ein: „Sie berufen sich hier pausenlos auf's Grundgesetz. Sagen sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?“

    Ich hoffe, dass die Medien und die Öffentlichkeit das Grundgesetz UND dessen Umsetzung in den einfachen Gesetzen gegen solcherlei Desinformation verteidigen, bzw. gegen solcherlei rhetorische Tricks erzwingen. (Wenn es das juristische System selber schon nicht schafft: ein Trauerspiel.)

  • Die Weigerung des Staates, die in seinem Auftrag agierenden Polizeikräfte individuell identifizierbar zu machen (mit erinnerbaren Nummern/Symbolen, KEINE Namen nötig) ist verfassungswidrig aufgrund des Art.1, Abs.(1), Satz 1 UND Satz 2 und des Art.1, Abs.(3) in Verbindung mit Art.19, Abs.(4), Satz1. Dass dies in den Medien (geschweige der Politik) niemals thematisiert wird, ist ein alarmierendes Anzeichen für die Unkenntnis nur der ersten 20 GG Artikel, was man bei Journalisten und Politkern eigentlich verlangen kann:

    Art. 1 (1): „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

    Art. 1 (3): „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“

    Art19(4): „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen.“

    Aus dieser Kette an Verpflichten des Staates ergibt sich eindeutig, dass es dem Bürger gerade möglich sein soll, ein mögliches Fehlverhalten des Staates juristisch prüfen und ggf. auch sanktionieren zu lassen.

    Im Fall der Nicht-Kennzeichnung von z.B. Polizisten bei Demos läuft aber dieses Recht regelmäßig ins Leere, da in der Regel einzelnen Polizisten ein Fehlverhalten zugeordnet und nachgewiesen werden muss, um einen Prozess anzustrengen bzw. eine Verurteilung zu erreichen. Wenn diese Polizei-Person jedoch vom Objekt ihres Tuns nicht identifiziert werden kann, besteht eben genau jene Sanktionsmöglichkeit des Bürgers gegen den Staat nicht, welche im GG eindeutig gefordert wird.

    Wieso da noch niemand geklagt hat verstehe ich nicht. Bzw. verstehe ich schon, da eine Privatperson kaum 10 Jahre ihres Lebens, viel psychische Kraft und eine große Menge Geld für einen Streit mit dem Staat aufwenden kann.

    Wenn die deutschen Medien diesen Umstand der Rechtswidrigkeit einer großen Zahl an Landespolizeigesetzen stärker thematisieren würde, wäre ich froh.