Kolumne Flimmern und Rauschen: „Kontext“ hat Arsch in der Hose
Die Wochenzeitung aus Stuttgart muss sich vor Gericht mit einer Unterlassungsklage auseinandersetzen. Moralisch hat sie jetzt schon gewonnen.
H eute geht es hier mal um eine Angelegenheit in eigener Sache. Gut, genau genommen ist es eine Art Kollegialangelegenheit, denn es betrifft die KollegInnen von Kontext. Nicht das Fachblatt für Systemische und Familientherapie, sondern die immer Mittwochnacht online gehende Wochenzeitung aus Stuttgart, die am Wochenende auch gedruckt von der taz huckepack genommen wird.
Kontext wird getragen vom Verein für ganzheitlichen Journalismus, und ganz grundsätzlich hat Kontext Arsch in der Hose. Und muss deshalb am Donnerstag bei der Pressekammer des Mannheimer Landgerichts vorbeischauen.
Denn Kontext hatte sich, wie auch die taz, Buzzfeed und die Zeit, für das ganzheitliche Zusammenarbeiten von Abgeordneten der AfD und ihrer MitarbeiterInnen in den Parlamenten interessiert. Und war bei der Durchsicht von Facebook in mindestens einem Fall auf recht eindeutige – sagen wir mal – Haltungen gestoßen. Beziehungsweise, wie Kontext schrieb, „ausländerfeindlich, antisemitisch, antidemokratisch und menschenverachtend“.
„Das war ich gar nicht“
Medienprofi Steffen Grimberg (früher taz, NDR und ARD, jetzt MDR) bringt jeden Mittwoch Unordnung in die aufgeräumte Medienwelt
Bei den Betreffenden kommen solche Treffer nicht immer gut an, zumal auch die amtierenden Abgeordneten in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Also wird auf Unterlassung geklagt, –gern mit dem Argument: „War ich nicht“ – und der in solchen Angelegenheiten fliegende Gerichtsstand der Presse bemüht. (Weil es ein mühseliges Geschäft ist, wird jetzt der Name der betreffenden Person nicht genannt, denn hier geht es um etwas anderes.)
An der Haltung von Kontext ist aber nichts zu deuteln – und das ist auch gut so. „Wir meinen, dass es von öffentlichem Interesse ist, wenn Menschen mit verfassungsfeindlicher Einstellung in einer demokratischen Institution wie dem Landtag von Baden-Württemberg für Abgeordnete Anträge und Texte vorbereiten und Zugriff auf teilweise sensible Regierungsdokumente haben“, so die Redaktion.
Das ist in Zeiten, in denen gerade kleinere Medien oder freie Journalistinnen mit der juristischen Keule teilweise schon während ihrer Recherchen eingeschüchtert werden sollen, ein wichtiges Zeichen. Journalismus gibt es eben nur als Ganzes. (Weshalb übrigens auch das ständige Gerede vom Qualitätsjournalismus etwas müßig ist: Entweder es hat Qualität, oder es ist kein Journalismus.)
Weshalb Kontext im konkreten Fall – zumindest moralisch – gar nicht unterliegen kann. Und es gibt noch ein ermutigendes Zeichen, das belegt, das engagierter Journalismus wirkt: Das Präsidium des baden-württembergischen Landtags hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause eine neue Hausordnung für den Landtag beschlossen, nach der Mitarbeitende in Zukunft genauer überprüft werden sollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW