Kolumne Fernsehen: Willkommen zur großen Lottoziehung
Das Oberlandesgericht München schert sich nicht um Journalisten? Von wegen: Noch nie haben deutsche Richter für solch eine Show gesorgt.
H aben Sie das gesehen? Alles schien doch schon so klar – und dann doch Spannung und Zittern bis zur letzten Minute. Wird uns das Glück hold sein? Nur raus mit dem Ding! Raus! Nichts anbrennen lassen. Der Blick auf die Uhr: Wie lange noch? Wir hatten es doch schon in der Hand. Es kann doch nicht alles umsonst gewesen sein!
Und dann: Schluss, aus, vorbei, Brigitte. Die Sieger jubelten, die Verlierer schoben und schieben Frust. Es war das Fernsehevent des Jahres: „Die NSU-Tombola – powered by Süddeutsche Klassenlotterie“, natürlich bei Phoenix.
Auch in Mainz hatten sie völlig unerwartet bangen müssen. Dabei war das ZDF doch eigentlich gesetzt. Zwei Plätze waren zu vergeben aus dem Lostopf „Auf Deutsch publizierende Medien mit Sitz im Inland, Untergruppe ’Öffentlich-rechtliches Fernsehen‘“. Allen war klar: Einen wird’s für die ARD geben, einen fürs Zweite. Aber nicht mit dem Oberlandesgericht München! Immer wieder wurde den Richtern vorgeworfen, dass sie sich einen Dreck um die Teilnahme der Öffentlichkeit an dem NSU-Prozess scherten. Dabei ist das Gegenteil Realität: Beim OLG München sorgen sie selbst für die Showelemente. Noch nie hat sich ein Gericht derart für die Medien ins Zeug gelegt.
Dementsprechend blieb das Los, das das ZDF in den Topf geworfen hatte, ungezogen. Die beiden Plätze gingen an die ARD und den WDR, der selbst Teil der ARD ist. Zwei Lose, ein Sieger. Unfair ist das. Höhnisches Gelächter bei den Zuschauern. Die Schurkin: die Losfee. Jeder Entwickler von Fernsehformaten weiß, wie wichtig es ist, einen oder mehrere Buhmänner im Programm zu haben. Bei „Popstars“, „Germany’s next Topmodel“ oder „Leopard, Seebär und Co.“ ist das stets eine Zicke, die die anderen voll nicht leiden können, weil die sich total unnatürlich und falsch vor der Kamera gibt. Und so.
Das Publikum zetterte und wütete
Und die Pein fürs Publikum ging weiter: In der „Untergruppe Privatrechtliches Fernsehen“ setzten sich Ebru TV und Kabel 1 durch. Der eine Kandidat war dem Publikum unbekannt, bei dem anderen hätten sie nie gedacht, dass der überhaupt teilnimmt. Dann der „Privatrechtliche Rundfunk“ (obwohl es eigentlich hätte „Hörfunk“ heißen müssen, doch der Shownotar mit dem roten Telefon schritt nicht ein), die gezogenen Lose: TOP FM (fragende Blicke), Charivari (wie schreibt man das?) und Radio Lotte Weimar (ah, Radio Lotte! – nie gehört).
Die Zuschauer wüteten. So unfair durfte es nicht zu Ende gehen! Und die Provokationen gingen weiter: Pforzheimer Zeitung, Oberhessische Presse Marburg, Straubinger Tagblatt, RTL 2. Wo blieb der Publikumsliebling ZDF mit seinen Spitzenquoten? Im Sendezentrum in Mainz schwitzten die Hände der Verantwortlichen: Was machen wir, wenn wir nicht vom NSU-Prozess berichten dürfen? Holen wir noch mal die alten „Derrick“-Folgen aus dem Keller?
Dann die Erlösung: Das ZDF ist über den letzten Lostopf doch noch reingerutscht. Gelöste Spannung auf der Showbühne, Konfetti. Am Ende wurde wieder einmal alles gut. Ein herzlicher Dank ans OLG München und alle an der Produktion Beteiligten!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen