Kolumne Die gute Ausländerin: Hauptsache, Hitler sauer machen
Mein Sohn versucht zu begreifen, warum für die Nazis nur Deutsche weiß waren und Jesse Owens 1936 Gold holen musste.
M ein Sohn Ryan muss morgen für die Schule einen Vortrag halten. Über Jesse Owens, den schwarzen US-Amerikaner, der bei den Olympischen Spielen 1936 die vier Gold-Medaillen gewonnen hat. Das Thema hat er selbst ausgesucht und die Recherche ganz alleine gemacht. Jetzt bin ich am Badezimmerputzen und er labert mich voll zu beziehungsweise klärt mich auf.
„Und Hitler war voll sauer auf ihn! Total sauer! Und weißt du, warum, Mama?“
„Warum?“, frage ich. Ich höre schon zu, konzentriere mich aber nicht besonders. Morgen kommen seine deutschen Großeltern, und das letzte Mal, als sie mich besucht haben, haben sie mir hinterher einen Putzeimer geschenkt.
„Hitler war so sauer, weil er wollte, dass ein Deutscher das gewinnt. Rate mal, warum, Mama!“
„Warum?“
„Weil er dachte, dass die Deutschen die stärksten Menschen der Welt wären!“
„Ach so“, sage ich.
„Was für ein Idiot, oder, Mama?“
„Ja“, sage ich.
„Ich bin so glücklich, dass Jesse Owens gewonnen hat und Hitler voll sauer gemacht hat. Ich meine, schade, ne, Mama, dass es kein Engländer gewesen war, der gewonnen hat, aber Hauptsache, den doofen Hitler sauer machen!“
„Ja, aber damals gab es nicht so viele schwarze Engländer“, sage ich.
„Wie, Mama?“
„Wir hatten nicht so viele schwarze Engländer damals. Wir hatten ein paar und viele Roma und Juden und so, aber die Schwarzen und die Inder kamen später, zu der Zeit nämlich, als deine Großeltern nach England gekommen sind, da kamen die meisten.“ Ich blicke hoch. Ryan guckt mich interessiert an. „Warum willst du nur, dass ein Schwarzer gewinnt?“, fragt er. „Hauptsache, Hitler sauer machen!“
„Ja“, sage ich. „Aber Hitler war deswegen so sauer, weil Jesse Owens schwarz war.“
„Aber warum?“
Ach Scheiße. Ryan scheint während seiner Recherche über Jesse Owens diese kleinen Details über Hitlers „racial supremacy“ übersprungen zu haben.
„Hitler wollte beweisen, dass weiße Menschen stärker als nichtweiße Menschen sind.“ Mein Sohn guckt mich skeptisch an. „Nein, der wollte beweisen, dass die deutschen Menschen stärker als andere Menschen sind, Mama.“
„Ja“, sage ich. Ich seufze. „Aber für Hitler und die Nazis waren nur weiße Menschen deutsch. Deswegen haben sie die Juden umgebracht. Obwohl sie doch weiß sind, fanden sie sie nicht weiß.“ Ich habe ein voll schlechtes Gewissen, Ryan das zu erzählen, aber was kann man machen? Irgendwann einmal muss er das herausfinden.
Ryans Augen leuchten, geschockt. „Sie dachten, dass nur weiße Menschen deutsch waren?“, fragt er.
„Ja“, sage ich.
„Bist du sicher?“, fragt er.
„Ja“, sage ich.
„Was für Idioten!“, sagt er. „Das ist total unlogisch!“
„Ja“, sage ich und fange an die Toilette zu putzen. Total unlogisch, eigentlich, der Holocaust und alles.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen