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Kolumne Die eine FrageEr machte es, weil er es konnte

War Joschka Fischer wirklich der letzte Rock'n'Roller? Eine Würdigung zum siebzigsten Geburtstag des einzigen grünen Außenministers ever.

Joschka Fischer im März 2018 Foto: dpa

J oschka Fischer steht für das, was wir sind. Und das nehmen ihm manche übel. Ah, Moment, jetzt höre ich schon die ersten Zwischenrufe: „Mit Verlaub, Herr Kolumnist, Sie sind ein Arschloch.“ In diesem Denken ist Fischer so geworden, wie die Bösen, gegen die man einst gemeinsam kämpfte. Erst Krieg geführt, dann viel Geld verdient, und stets ein Kotzbrocken. Während man selbst aufrecht und integer geblieben ist. Nun ja, für Selbstbetrug kann nicht belangt werden. Aber ich würde jetzt für die offenen Ohren gern meine Argumentation vortragen.

Fischer, der in dieser Woche 70 wurde, ist ein „Deutscher durch und durch“, wie er im taz FUTURZWEI-Gespräch sagte. Das bedeutet 2018 etwas ganz anderes als 1968. Es bedeutet ein Europäer und ein Verteidiger der res publica zu sein – und zwar ohne Wenn und Aber. Das Problem mit diesem liberal-europäischen Deutschland haben heute Gauland und die Nationalisten.

Fischer ist das Role Model für die Entwicklung dieser Demokratie und des Teils der Gesellschaft, der 1968 als Beginn von etwas Besserem, weil Liberalem, Emanzipatorischem und Anti-Autoritärem versteht. Dass er den gesellschaftlichen Fortschritt innerparteilich mit autoritären Methoden vorangebracht hat, gehört zu den Widersprüchlichkeiten des menschlichen Lebens.

Unangenehmes zugemutet

Was die Grünen angeht, so heißt es jetzt im unnachahmlichen Partei-Sound, er habe ihnen „Unangenehmes zugemutet“. Äh, ja, nämlich die Realität. Das war der radikale Paradigmenwechsel, durch den die Partei heute noch existiert. Was auch er bei allen Verdiensten, angefangen von der Ditfurth-Verabschiedung, nicht geschafft hat: Die Grünen kulturell und professionell so zu entwickeln, dass sie nach 40 Jahren bei Bundestagswahlen auch nur knapp zweistellig wären.

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Und damit zum Kern der Fischer-Story: Er hat sein Ding durchgezogen. Weil er es konnte. Ihm ströme heute aus jeder Pore, dass seine Zeit als ungelernter Taxifahrer für ihn schon in den frühen 70ern nur eine Station auf dem Weg ins Außenministerium war. Sagte Robert Habeck, der Vorsitzende der Grünen, unlängst beim taz-Gespräch mit Heinz Bude und mir in Leipzig. Im Grunde, ich paraphrasiere aus dem Gedächtnis, hätten der rotgrüne Außenminister und sein Cohiba-Kanzler Schröder die Erzählung der jungen wilden Kerle gelebt, die seit der Romantik die führende sei: Selbstverwirklichung ist, die Welt mit der mehrheitsfähigen Kraft einer Sehnsucht nach seiner Vorstellung zu formen, damit man am Ende das hat, individuell und gesellschaftlich, was man anstrebt – und irgendwie gelingt das auch. Aber dafür muss man selbst auch von dieser Welt sein.

Kein Masterplan

Das ist überhaupt nicht nur positiv. Aber das machte Joschka Fischer wirklich zum letzten Rock' n Roller. Denn das ist vorbei. Niemand kann im 21. Jahrhundert auch nur annähernd mit seinem Masterplan kommen, nach dem die Realität sich zu richten hat. Und es gibt in einer liberalen, emanzipierten, ausdifferenzierten Gesellschaft keinen vergleichsweise simplen gemeinsamen Traum, wie es 1968 das befreite eigene Leben war. Dafür einen Aufhebungs-Traum von der autoritären Seite, der in Europa und anderswo an Dynamik gewinnt, eine neue Weltordnung und eine neue chinesisch dominierte Wirtschaftsordnung. Es geht jetzt um die Grundpfeiler unserer Welt und auch knallhart darum, ob es unsere bleibt.

Heute fangen die Grünen in Berlin an, über ihr neues Grundsatzprogramm zu sprechen. Es wäre für manche eine Horrorvorstellung, wenn Fischer urplötzlich dort auftauchen und einen seiner Welterklärungsmonologe halten würde, beginnend mit dem 30jährigen Krieg. Aber genau das wird jetzt als Grundlage gebraucht.

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Peter Unfried
Chefreporter der taz
Chefreporter der taz, Chefredakteur taz FUTURZWEI, Kolumnist und Autor des Neo-Öko-Klassikers „Öko. Al Gore, der neue Kühlschrank und ich“ (Dumont). Bruder von Politologe und „Ökosex“-Kolumnist Martin Unfried
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8 Kommentare

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  • Ok - einer geht noch - vom Mailmann!;)

     

    "Mowgli hat`s fein ausdifferenziert. (Und Rocker sind keine Rock`n`Roller)

     

    Von Fischer lernen heißt biegen lernen. Ohne Rückgrat geht`s natürlich leichter.

    Hätte taz nicht gnädig den Mantel des Schweinens über diese Nichtgestalt werfen können?

     

    Fischer geht so lange den Bach runter, bis er ganz oben ankommt, und er glaubt nun, er sei gegen den Strom geschwommen. Das hat schon was von See Genezarette sich wer kann

    und zieht Jünger in den Bann.

    Doch Achtung, Fischer weiß, wo die Steine liegen und lagen.

    Wer ihm nachfolgt, kann absaufen."

     

    Ja - so kann noch vor Wort zum Sonntag - Wochenende werden.

    Danke. Gellewelle!;)

  • Klar doch - Fischer war schon irgendwie ein „ganz großer Fisch“. Nur mit den Grünen und mit Rock'n Roll hat er doch so gar nix am Hut - weder gestern, noch heute.

    Da muss wohl eine Verwechslung mit Katrin Göring-Eckardt vorliegen, die in einem Interview einmal stolz verkündete: „Anders als Joschka kann ich auch Rock'n Roll mit Überschlag.“

    https://www.tagesspiegel.de/politik/interview-mit-katrin-goering-eckardt-wir-liegen-nicht-in-den-schuetzengraeben-wie-damals-joschka-fischer/19918874.html

  • Der letzte Rock'n'Roller? Wie "letzte" verstehen: 1. oder 2. Bedeutung?

    Da hatte doch schon Gotthilf, sein Namensvetter, Spaßkokser und folk music -Legende mehr Drive.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Die Frage, ob Fischer ein Rock´n Roller sei, ist schnell beantwortet:

    N e i n, das ist er nicht.

     

    Ein Rock' Roller ist ein Rock'n Roller, bleibt ein Rock'n Roller. Von Pflastersteinen in Frankfurt, über Tabubrüche im Bundestag bis hin zu transatlantischen Freundschaften und der späten Unkenntlichkeit seiner frühen Ideen: Für mich ist Fischer ein Transitreisender.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Aber - sähr DEUTSCHLAND* - der Häär!

      Mit zwei & dem ersten & zweiten - kerr! Verfassungs&Völkerrechtswidrigen Kriegen an den Hacken!

      *…von dem ja bekanntlich nie wieder ein Krieg ausgehen sollte!"

       

      Aber - Mit GerdimDütt - "Wir sind wieder wer!" Subsuboptimal!

      No. "Weil wir's können!" Gaaaaahrrpp!

      kurz - PU - "mir graut vor dir." - Punkt.

  • Noch da zu sein, ist nicht unbedingt ein besonderes Verdienst. Grippeviren gibt es schließlich auch immer noch. Sogar die Pest soll immer mal wieder ausbrechen. Anders als Viren und Bakterien hat der Mensch allerdings die Freiheit, nein zu sagen. Wenn er keinen sinnvollen Beitrag mehr zu leisten vermag, kann er abtreten von der (Welt-)Bühne. Die Chance dazu hat Fischer immer mal wieder ungenutzt verstreichen lassen der eigenen Eitelkeit zuliebe. In diesen Momenten war er einem Virus sehr viel ähnlicher als einem Politiker.

     

    Ja, Fischer ist das Role Model für die Entwicklung dieser Demokratie. Leider. Er, der Deutschland angeblich zu „etwas Besserem, weil Liberalem, Emanzipatorischem und Anti-Autoritärem“ machen wollte, war im Grunde kaum weniger autoritär, anti-emanzipatorisch und illiberal als die, gegen die er gekämpft hat. Er wollte die Freiheit immer nur für sich. Und heute müssen wir uns herumärgern mit denen, die sein wollen wie er, weil er es ja „geschafft“ hatte. Fischer kann tun, was er tun kann. Ohne Rücksicht. Ohne Stopschild. Das wollen sie auch.

     

    Ja, „Fischer steht für das, was wir sind“: Asozial und stolz darauf. Darüber, ob das wirklich ein „Fortschritt“ ist, der uns „vorangebracht“ hat, sollte man bei Gelegenheit mal diskutieren. Vielleicht mit einem Syrer, dem der Familiennachzug verwehrt wird. Oder mit den Angehörigen eines Schwarzen, der im Mittelmeer ertrunken ist. „Es geht jetzt um die Grundpfeiler unserer Welt und auch knallhart darum, ob es unsere bleibt“. Danke, Joschka.

     

    Nun ja. Loblieder singen, so viel steht fest für mich, muss man natürlich dürfe auf den Aufsteiger F. Auch ohne gleich als „Arschloch“ bezeichnet zu werden. Und wenn ich nun „von dieser Welt“ wäre, würde mir Herr Unfried vielleicht schreiben. Aber seine Argumentation vorzutragen, ist ihm vermutlich schon genug. Und vielleicht bin ich tatsächlich ein Geist ohne Adresse. Man weiß so wenig über die Realität! Wahrscheinlich ist das aber nicht. Ich denke, also bin ich. Nur: Wo?

  • Booey. Kann das bitte mal jemand anders runtertragen!

    Will heute noch gut gute Musik machen. Woll.

     

    Dank im Voraus.

    Nich to glöben.

    Aber ~> Sondermüll. Gellewelle.

    Newahr.

    • @Lowandorder:

      Jau. Danke. Fründe stonn z'samme.

      (op jot Kölsch - die einzige Sprache -

      Die maa trinke kann - … ehs Alt wäät!;)

      No. Mäiltütenfrisch aus 'schlandschen

      Landen - frisch ins Gesicht ~>

       

      "PU, watt`n Schlawiner.

       

      Wer Fischer (und Konsorten) ablehnt ist für Gauland - Solche Winkelzüge müssen einem erst mal einfallen...

      Mit Verlaub, Herr Unfried, Sie sind nicht einmal ein Arschloch.

       

      " `...schlaaaand!"