Kolumne Die eine Frage: Der platte Wolf
Was für ein Grün-Schwarz erwartet uns in Baden-Württemberg? Es wird auf jeden Fall etwas mit Winfried Kretschmann zu tun haben.
E inhundertfünfzigJahre nach seiner regionalen Ausrottung wanderte im vergangenen Jahr ein Wolf aus der Schweiz nach Baden-Württemberg ein – und wurde auf der Autobahn überfahren. Bums, Wolf platt.
„Das hätte den Auguren zu denken geben müssen“, sagt ein CDU-Insider.
Offenbar hat die CDU Baden-Württemberg aber auch keine fähigen Auguren mehr, die den Götterwillen aus Tieren zu lesen verstehen. Weshalb die Partei mit einem Spitzenkandidaten namens Guido Wolf antrat. Der, mit Verlaub, ziemlich platt wirkte. Das – aus CDU-Sicht – fatale Ergebnis: Erstmals in der Geschichte des Bundeslandes ist man nicht mehr die stärkste Partei. Das sind jetzt die Grünen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Und nun also Grün-Schwarz?
Für Grün-Rot reicht es nicht mehr. Da der FDP-Fraktionsvorsitzende Rülke nicht mitregieren will und der Bundesvorsitzende Lindner offenbar auch nicht, bleibt gar nichts anderes übrig, um den Wählerwillen umzusetzen. Der lautet eindeutig: Kretschmann muss Ministerpräsident sein.
Frappante Entwicklung
Ein leeres Grab, ein verschwundener Leichnam – die Ostergeschichte ist auch ein Krimi. In der taz.am wochenende vom 26./27 März 2016 gibt es daher einen Tatort-Schwerpunkt: Wir zeigen Tatortbilder aus dem New York der zwanziger Jahre, sprechen mit einem Tatort-Forscher und gehen der Frage nach, ob man Verbrechen wirklich mit Hilfe des Gedächtnisses rekonstruieren kann. Außerdem: Eine Reportage aus dem Amtsgericht Neumünster. Und: Eine Sachkunde zum Thema Zeitumstellung. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Der frappante Entwicklungsschritt besteht darin, dass sich die uralte schwarz-grüne Gewissensfrage für die Grünen nicht mehr stellt. Diese Emanzipationsstufe hat die Partei in Baden-Württemberg übersprungen. Die Grünen sind mit dem Vertrauenspolitiker Kretschmann und dem Versprechen der wirtschaftsökologischen Wohlstandsbewahrung die Orientierungspartei im Land, der Rest muss sich an ihnen orientieren. Wie schnell Menschen eine als fantastisch geltende Umwälzung für den Normalzustand halten, konnte man am Wahlabend erleben. Da wurden die nie zuvor erreichten 30,3 Prozent fast schon als zu wenig eingepreist. Und die CDU jubelte voller Verzweiflung über desaströse 27 Prozent. Weil Grün-Rot „abgewählt“ war.
Kandidat Wolf hatte an diesem Abend seinen spektakulärsten Auftritt, als er nicht die Übernahme der Verantwortung ankündigte, sondern den Versuch, eine schwarz-rot-gelbe Regierung als Ministerpräsident anzuführen. Damit jagte er den Grünen richtig Angst ein. Viele verließen die Wahlparty weit vor Mitternacht und stocknüchtern. Inzwischen weiß man, dass das ein grelles Strohfeuer war, das heute nicht mal mehr glimmt. Die Deutungshoheit – es geht immer nur um die Deutungshoheit – hat längst die Einschätzung, dass Wolf damit der staatspolitischen Seriosität der CDU geschadet hat, weil er den Wählerwillen (Kretschmann!) dreist ignorieren wollte. „Staatspolitisch“ ist übrigens das CDU-Buzzword der Ostertage. Grün-Schwarz ist jetzt – wegen AfD – ihre „staatspolitische Verantwortung“.
Die Frage, was für ein politisches Grün-Schwarz das werden soll, kann man erst beantworten, wenn die CDU weiß, was sie sein will und sein kann. Wenn die amputierte Fraktion und die beiden Flügel sich sortiert haben, wenn klar ist, was der Landesvorsitzende Thomas Strobl wollen kann, was Wolf noch kann, was liberale und ökologische Spitzenpolitiker jenseits der Fraktion bewirken können. Und wie sich die einbinden lassen, die mit den Grünen nullkommanull zu tun haben möchten.
Links könnte es Raum geben
Werdie Modernisierung der verkrusteten und inhaltsschwachen Landes-CDU erhofft, muss bedenken, dass sie auf beiden Seiten verloren hat. Die einen gingen wegen seiner pragmatisch-humanistischen Flüchtlingspolitik zu Kretschmann, die anderen gingen wegen der pragmatisch-humanistischen Flüchtlingspolitik von CDU-Kanzlerin Angela Merkel zur AfD.
Da die Grünen für ihre Mehrheitspolitik dramatisch belohnt wurden, werden sie die bürgerliche Mitte sicher nicht verlassen. Für die CDU dagegen wird es Priorität haben, ihre ehemaligen Wähler von der AfD zurückzuholen.
Heißt theoretisch: Links könnte es Raum geben. Praktisch aber wird in Baden-Württemberg derzeit nur eine Ideologie gelebt: Auf den Kretschmann kommt es an.
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